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»Warte, Mischa.« Der Näselnde zog den Anführer beim Ärmel. »Mach ihn noch nicht kalt. Der hat was zu singen.«

»Grüße von Herrn Churtinski, Pjotr Parmenytsch, hochachtungsvoll!« flötete Fandorin und zwinkerte Mischa zu. Dabei sah er genau hin: Stimmte die Hypothese? Doch Mischa zuckte diesmal mit keiner Wimper.

»Ach was. Der Alte markiert den wilden Mann. Faselt was zusammen. Parmenytsch, wer soll das sein? Wir werden ihm das Hirn schon zurechtrütteln. Kur, du setzt dich auf seine Beine. Gib die Zangen, Pronja. Gleich kräht er wie ein Hahn, der elende Misthaken.«

Da verstand Fandorin, daß der Monarch der Chitrowka ihm hier kein Licht aufstecken würde - zu sehr fürchtete er die eigenen Leute.

Fandorin seufzte tief, und für einen Moment verengten sich seine Augen zu einem Schlitz. Rachsucht ist eines der heikelsten Gefühle überhaupt. Manch ein Unternehmen ist durch sie schon vereitelt worden.

Fandorin öffnete die Augen wieder, lächelte Mischa an und schleuderte erst die rechte und dann die linke Hand hinter dem Rücken hervor. Sch-scht! Sch-scht! schwirrten zwei 83

kleine kreiselnde Schatten durch die Luft. Der erste drang Kur in die Kehle, der zweite Pronja. Blut spritzte, die zwei röchelten, schwankten, wußten noch nicht, daß sie starben, als der Detektiv schon das Nunchaku aufgehoben hatte und auf den Beinen stand. Der Kleine Mischa schaffte es nicht einmal, die Hand zu heben, geschweige den Knopf an der Waffe zu finden, bevor der Knüttel ihn traf - nicht sehr heftig, nur zur Betäubung. Hingegen bekam der kräftige Bursche, der vorhin Schucha genannt worden war, kaum daß er den Mund aufgerissen hatte, einen so gewaltigen Schlag auf den Scheitel, daß er umfiel und sich nicht mehr rührte. Der letzte der »Füchse«, dessen Spitzname Fandorin nicht mehr erfahren sollte, zeigte sich seinen Gefährten zunächst überlegen: Geschickt sprang er zur Seite und entging dem Hieb des Nunchaku, zog das Finnmesser aus dem Stiefelschaft, vermochte auch dem zweiten Schlag auszuweichen, ehe die gnadenlos pfeifende Acht erst die Hand brach, welche das Messer hielt, und dann den Schädel des Messerhelden zertrümmerte. Fandorin hielt inne und suchte seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Zwei der Banditen krümmten sich auf dem Boden, scharrten mit den Beinen und mühten sich vergeblich, die aufgeschlitzten Kehlen zuzupressen. Zwei lagen reglos. Der Kleine Mischa saß da und schüttelte benommen den Kopf. Der brünierte Stahl des Herstal schimmerte in sicherer Entfernung.

Ich habe soeben vier Menschen getötet und bereue es nicht! sprach Fandorin zu sich selbst. Während dieser furchtbaren Nacht war die Seele ihm taub geworden.

Fürs erste packte Fandorin Mischa, der wie gelähmt schien, beim Kragen, schüttelte ihn ordentlich und verpaßte ihm zwei saftige Backpfeifen - dies nicht aus Rache, sondern damit er schneller zu sich kam. Doch die Wirkung war von geradezu magischer Art. Klein Mischa zog den Kopf ein und wimmerte: »Nicht schlagen, mein Herr! Ich will ja alles sagen! Nicht totschlagen! Wozu noch ein Lebenslicht ausblasen!«

Fandorin blickte auf diese weinerlich verzerrte Visage und wollte Augen und Ohren nicht trauen. Immer aufs neue wußte die menschliche Natur mit ihrer Unberechenbarkeit zu verblüffen. Wer hätte für möglich gehalten, daß der allmächtige Räuberkönig, Schrecken der Moskauer Polizei, sich von zwei Ohrfeigen so aus der Fassung bringen ließ? Testhalber schwang Fandorin nur ein wenig das Nunchaku, das Wimmern hörte sofort auf. Gebannt starrte Mischa auf den gleichmäßig schwingenden blutigen Knüttel, zog den Kopf zwischen die Schultern und zitterte. Tatsächlich: Es funktionierte. Extreme Grausamkeit ist die Kehrseite extremer Feigheit! kam Fandorin ein philosophischer Gedanke. Was im Grunde nicht verwunderlich ist - zählt beides doch zu den miesesten Charakterzügen, die man bei Menschenkindern findet.

»Wenn du möchtest, daß ich dich der Polizei überantworte, statt dich auf der Stelle totzuschlagen, dann beantworte meine Fragen!« sagte der Detektiv mit normaler, nicht mehr den Narren spielender Stimme.

»Wenn ich das tue, verschonst du mich?« fragte Mischa ängstlich und schniefte. Fandorin runzelte die Stirn. Irgend etwas stimmte hier nicht. So ein Schlappschwanz konnte unmöglich die Verbrecherwelt einer ganzen großen Stadt in Schach halten. Dazu brauchte es eisernen Willen, einen Charakter von Format. Oder immerhin etwas, das diese Qualitäten zu ersetzen vermochte. Was konnte das sein?

»Wo steckt die Million?« fragte Fandorin finster.

»Da, wo sie immer war«, erwiderte der Kleine eilfertig.

Das Nunchaku begann wieder bedrohlich zu schwingen.

»Nichts für ungut, Mischa. Ich habe dich gewarnt. Mir ist es sowieso lieber, wenn ich die Rechnung für meine Freunde persönlich mit dir begleiche.«

»Nein, wirklich! So wahr mir Gott helfe!« Das schmächtige, eingeschüchterte Männlein legte sich die Hände um den Kopf. Von der ganzen Szene wurde Fandorin auf einmal schrecklich übel.

»Ich sag die Wahrheit, mein Herr. Heiliges Ehrenwort! Der Zaster steckt im Portefeuille. Wo er war.«

»Und das Portefeuille ist wo?«

Mischa schluckte, seine Lippen zitterten.

»Hier im Haus. In einer Geheimkammer«, sagte er kaum hörbar.

Fandorin schleuderte das Nunchaku beiseite (es wurde nicht mehr benötigt), hob seinen Herstal vom Boden auf und stellte Mischa mit einem Ruck auf die Füße.

»Los, zeig es mir.«

Während Mischa die Stiege hinauftappte, piekte Fandorin ihn von unten mit dem Pistolenlauf in den Hintern und stellte weitere Fragen: »Woher wußtest du von dem Chinesen?«

»Von Churtinski und seinen Leuten.« Mischa wandte sich um, hob die schmalen Hände. »Wer sind wir denn! Wir sind doch auf die angewiesen. Pjotr Churtinski ist unser Gönner, unser Fürsprecher. Dafür will er immer alles ganz genau wissen. Und streicht von allem die Hälfte ein, wohlgemerkt.«

Na großartig! dachte Fandorin zähneknirschend. Ganz phantastisch. Der Chef der Geheimkanzlei, rechte Hand des Generalgouverneurs, war Pate und Schutzpatron der Moskauer Unterwelt. Nun ließ sich begreifen, warum Mischa, dieser Abschaum, nie zu fassen gewesen war und wie er in der Chitrowka so viel Macht gewinnen konnte. Churtinski. Der wackere Herr Hofrat.

Sie krabbelten hinaus auf den finsteren Korridor und gelangten von da in ein Labyrinth enger, modriger Gänge. Zweimal bogen sie nach links ab und einmal nach rechts. Vor einer niedrigen, leicht zu übersehenden Tür blieb Mischa stehen und gab ein kompliziertes Klopfzeichen. Fiska öffnete - im bloßen Nachthemd, die Haare gelöst, das Gesicht verschlafen und verkatert. Sie war nicht erstaunt über den Besuch, würdigte Fandorin keines Blickes. Ohne zu zögern, schlurfte sie über den Lehmboden zurück zum Bett, plumpste hinein und schien sofort wieder eingeschlafen. Ein erlesener Trumeau stand in der Ecke, offensichtlich dem Boudoir einer Dame entstammend. Darauf stand rußend ein Leuchter.

»Hier bei ihr hab ich's versteckt«, erklärte der Kleine. »Sie ist dumm, aber verschwiegen.« Fandorin packte den Schwächling beim dünnen Hals, zog ihn zu sich heran, sah ihm in die runden Fischaugen und fragte eindringlich, jede Silbe betonend: »Was hast du mit General Sobolew angestellt?«

»Nichts.« Mischa schlug drei flüchtige Kreuze. »Ich will am Galgen baumeln, wenn ich was damit zu tun habe. Von dem General weiß ich nichts, rein gar nichts. Churtinski hat mir nur aufgetragen, das Portefeuille aus dem Safe zu klauen, in sauberer Arbeit. Keiner würde dasein, auch keiner dazukommen, hieß es. So hab ich's eben geklaut, warum auch nicht. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist, hat er gesagt, machen wir halbe-halbe, und ich lotse dich mit astreinen Papieren aus der Stadt. Wenn er mich brauchte, würde er mich finden, hat er gesagt. Churtinski kann man das glauben.«