Выбрать главу

»Weil Eugene auch das hier vor mir verheimlicht hat.«

»Was ist das?«

»Eine Nachricht von Michele an mich. Sie muß der Depesche beigelegen haben. Aus irgendeinem Grund hat Eugene sie mir nicht gegeben.«

Fandorin nahm das Papier zur Hand. Man sah, daß es in Eile geschrieben war.

Liebe Sissi, komm bitte unbedingt mit Eugene nach Moskau. Es ist sehr wichtig. Ich kann es dir jetzt nicht erklären, doch es könnte sein, daß wir uns lange nicht mehr Wiedersehen.

Im hinteren Teil des letzten Satzes war etwas durchgestrichen. Fandorin ging zum Fenster und legte den Zettel an die Scheibe, um es besser zu erkennen.

»Geben Sie sich keine Mühe, ich weiß schon, was da steht«, sagte Gräfin Sinaida hinter seinem Rücken mit bebender Stimme. »Da steht: >... daß wir uns zum letzten Male sehen. <« Fandorin raufte sich die eben erst gekämmten nassen Haare. Sobolew hatte also gewußt, daß ihm Gefahr drohte? Und der Herzog auch? Sieh einer an ... Er wandte sich nach der Gräfin um.

»Vorerst kann ich Ihnen dazu gar nichts sagen, Madame, doch ich werde aufdecken, wie alles zusammenhängt, das verspreche ich Ihnen!«

Und da er die Bestürzung im Blick der Gräfin gewahrte, fügte er hinzu: »Selbstverständlich in aller Diskretion.«

Als die Gräfin gegangen war, setzte sich Fandorin an den Tisch und begann wie üblich, wenn er sich konzentrieren wollte, mit einer kalligraphischen Übung: Er malte die Hieroglyphe »Ruhe«. Doch beim dritten Versuch - bis zur Vollkommenheit war es noch weit - klopfte es erneut. Nachdrücklich, ungestüm.

Mit einem erschrockenen Blick auf seinen Exerzitien abhaltenden Herrn schlich Masa auf Zehenspitzen zur Tür und öffnete.

Draußen stand Jekaterina Golowina, das Goldköpfchen, Achilles' Geliebte. Wutentbrannt, was ihre Schönheit noch unterstrich.

»Sie waren einfach weg!« schleuderte sie Fandorin anstelle eines Grußes entgegen. »Ich warte, werde vor Ungewißheit fast wahnsinnig. Wie sind Ihre Ergebnisse? Ich habe Ihnen wertvolle Informationen geliefert, und Sie sitzen hier und malen! Ich verlange eine Erklärung! Ich ... «

»Wenn einer Erklärungen zu verlangen hat, dann bin ich es, Verehrteste!« schnitt Kollegienassessor Fandorin ihr barsch das Wort ab. »Ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.« Er nahm die unverhoffte Besucherin beim Arm, geleitete sie zum Sessel und zog sich einen Stuhl heran.

»Sie haben mir einiges verschwiegen, meine Dame. Was plante Sobolew? Warum fürchtete er um sein Leben? Was war der heikle P-... Punkt seiner Reise? Wozu mußte er das viele Geld mitnehmen? Wozu überhaupt die ganze Geheimniskrämerei? Ja, und wieso haben Sie sich mit ihm zerstritten? Soll ich Ihnen sagen, Frau Golowina, was passiert ist, weil Sie mir nur die Hälfte erzählen wollten und ich die Situation darum falsch eingeschätzt habe? Ein

Mensch ist zu T-... Tode gekommen, ein herzensguter Mensch. Und ein paar weniger gute dazu, die ja doch auch eine Seele hatten.«

Die Golowina ließ den Kopf hängen. Ein ganzes Spektrum heftiger und einander widerstreitender Gefühle spiegelte sich auf ihrem hübschen Gesicht. Sje begann mit einem Eingeständnis.

»Es stimmt, ich habe Ihnen weisgemacht, ich hätte Micheles Beweggründe nicht gekannt. Er war der Meinung, Rußland sei vom Tode bedroht, und er wollte es retten. In der letzten Zeit redete er von nichts anderem als von Konstantinopel, von der deutschen Bedrohung, Großrußland ... Und bei unserem letzten Treffen vor einem Monat sprach er plötzlich von Bonaparte und fragte mich, ob ich nicht seine Josephine werden wolle. Ich war entsetzt. Wir waren schon immer unterschiedlicher Ansicht gewesen. Er glaubte an die historische Mission des Slawentums und an einen besonderen russischen Weg, wogegen ich meinte und immer noch meine, daß Rußland Kultur und eine Verfassung nötiger hat als die Dardanellen.«

Jekaterina Golowina bekam Schwierigkeiten mit ihrer Stimme und schwang gereizt die Faust, als könnte sie damit den Frosch im Hals besiegen.

»Als er mir mit Josephine kam, erschrak ich. Weil ich sah, daß Michele wie eine furchtlose Motte in dem lodernden Feuer verbrennen würde, in das ihn sein Ehrgeiz trieb. Noch mehr schreckte mich der Gedanke, er könnte sein Ziel erreichen. Er hatte das Zeug dazu. Zielstrebig, stark und erfolgsgewohnt, wie er war ... War! Ich meine, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, das Schicksal von Millionen zu besiegeln - wer weiß, was aus ihm geworden wäre? Ich mag nicht daran denken. Er wäre nicht mehr Michele gewesen, sondern ein ganz anderer.«

»Und darum haben Sie ihn denunziert?« fragte Fandorin scharf.

Die Golowina prallte erschrocken zurück.

»Wie können Sie so etwas glauben? Nein, ich habe nur gesagt: Du kannst wählen - zwischen mir und deiner Mission. Und ich wußte, wie die Antwort sein würde.«

Sie wischte sich wütend die Tränen.

»Ich konnte doch nicht ahnen, daß das Ganze in solch einer widerlichen und gemeinen Farce enden würde. Der künftige Bonaparte - wegen eines Bündels Banknoten ermordet! >Daß die Stolzen zuschanden würden< - genau wie es in der Bibel steht.«

Sie wedelte mit den Armen - Schluß! hieß das, ich kann nicht mehr! - und brach in Tränen aus.

Fandorin wartete, bis der Weinkrampf seinen Höhepunkt überschritten hatte, und sagte leise: »Ich vermute, es ging gar nicht um das Bündel Banknoten.«

»Worum denn sonst?« schluchzte die junge Frau. »Er ist doch ermordet worden, oder nicht? Ich glaube ja immer noch, daß Sie eines Tages bis zur Wahrheit vorstoßen werden. Schwören Sie, daß Sie mir dann alles erzählen werden! Alles, wie es wirklich war!« Verlegen wandte sich Fandorin ab. Frauen sind doch unvergleichlich bessere Geschöpfe als die Männer! dachte er. Aufrichtiger, ergebener, konsequenter. Vorausgesetzt natürlich, daß sie wirklich lieben.

»Ja doch, gewiß!« murmelte er und wußte genau, daß er der Golowina nie und nimmer die ganze Wahrheit über den Tod ihres Geliebten zumuten würde.

An dieser Stelle mußte das Gespräch beendet werden, denn ein Bote des Generalgouverneurs kam Fandorin abholen.

»Hat sich im Tresor etwas angefunden, Euer Exzellenz?« fragte der Kollegienassessor den General. »Irgendwelche interessanten Dinge?«

»Massenweise!« Der Polizeipräsident zeigte eine zufriedene Miene. »Es ist viel Licht in die dunklen Machenschaften des Toten gekommen. Die Aufschlüsselung der Transaktionen wird noch etwas knifflig werden. Unser Bienchen hat an vielen Blüten Honig gesammelt, nicht nur mit Hilfe des Kleinen Mischa. Und was ist bei Ihnen herausgekommen?«

»So dies und das«, erklärte Fandorin bescheiden.

Die Unterhaltung begab sich im Arbeitszimmer des Generalgouverneurs. Dieser ließ auf sich warten - nach Auskunft des Sekretärs saß er noch beim Mittagessen.

Endlich erschien Dolgorukoi. Mit einem sonderbar amtlichen Gesichtsausdruck setzte er sich, hüstelte offiziell.

»Meine Herren, Petersburg hat auf meinen ausführlichen Rapport hin zurücktelegrafiert. Postwendend, woraus zu ersehen ist, für wie wichtig die Angelegenheit erachtet wird. Mich dürfen Sie hierbei nur als übermittelnde Instanz ansehen. Graf Tolstow schreibt das Folgende: Geehrter Herr Wladimir Andrejewitsch, bezugnehmend auf Ihre Depesche gebe ich Ihnen zur Kenntnis, daß Hauptmann Pewzow sehr wohl dem Gendarmeriekorps zugehörig und derzeit in besonderem Auftrag nach Moskau beordert ist. Vornehmlich hat er Order zur diskreten Sicherstellung eines Portefeuilles, welches mutmaßlich Dokumente von staatswichtiger Bedeutung enthält. Die Ermittlungen im Todesfall des Generaladjutanten Michail Sobolew sind als abgeschlossen zu betrachten, ein entsprechendes Dekret geht General Karatschenzew in Bälde zu. Der Sonderbeauftragte Fandorin ist wegen Eigenmächtigkeit - Hinzuziehung einer Privatperson in eine Geheimermittlung mit Todesfolge betreffender Person - auf Geheiß Seiner Kaiserlichen Hoheit vom Dienst zu suspendieren und bis auf weitere Verfügung unter Hausarrest zu stellen. DmitriA. Tolstow, Innenminister.