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Der Fürst hob bekümmert die Arme und sagte zu Fandorin, der sichtlich wie vom Schlag getroffen war: »So sieht's aus, mein Lieber. Eine überraschende Wendung. Aber der Chef muß es wissen.«

Fandorin war blaß geworden und langsam aufgestanden. Von der Strafe des Monarchen, die nicht eigentlich streng, nein, die nur gerecht zu nennen war, wurde ihm kalt ums Herz. Am ärgsten aber war, daß seine mit Aplomb vorgetragene Version sich so schmählich zerschlagen hatte. Einen geheimen Regierungsagenten für den Haupttäter zu halten! Welch ein Fauxpas!

»Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie jetzt ins Hotel entlasse, während der General und ich noch ein wenig weiterberaten. Ruhen Sie sich aus. Und lassen Sie den Mut nicht sinken!« sagte Dolgorukoi mitfühlend. »Sie sind mir ans Herz gewachsen, ich werde mich in Petersburg für Sie verwenden.«

Zerknirscht begab der Kollegienassessor sich zur Tür. Als er sie fast erreicht hatte, rief Karatschenzew ihn zurück.

»Was war es denn, was Sie in dem Notizbuch entdeckt haben?« fragte er und zwinkerte dabei verstohlen: Halb so schlimm, da wächst Gras drüber! schien er sagen zu wollen. Fandorin zögerte, ehe er zur Antwort gab: »Nichts von Belang, Euer Exzellenz.«

Im Hotel angekommen, verkündete Fandorin noch in der Tür:

»Masa, ich bin in Unehren entlassen und unter Hausarrest gestellt. Gruschins Tod ist meine Schuld - Punkt eins. Mir fällt dazu nichts mehr ein - Punkt zwei. Das Leben ist zu Ende - Punkt drei.«

Fandorin wankte zum Bett, fiel, ohne die Kleider abzulegen, hinein und war sogleich eingeschlafen.

ZWÖLFTES KAPITEL,

in welchem die Falle zuschnappt

Das erste, was Fandorin sah, als er die Augen aufschlug, war ein rosa Sonnenuntergang, der den Rahmen des Fensters vollständig ausfüllte. Auf dem Fußboden vor dem Bett saß, die Hände feierlich auf den Knien liegend, sein Diener Masa im schwarzen Paradekimono, mit einem frischen Verband um den Kopf, und hatte ein strenges Gesicht aufgesetzt.

»Wozu hast du dich so herausgeputzt?« fragte Fandorin neugierig.

»Ihr sagtet, Herr, Ihr seid in Unehren entlassen, und Euch fällt nichts mehr ein.« »Ja, und?« »Mir ist etwas Gutes eingefallen. Ich habe mir die Sache überlegt und darf Euch einen würdigen Abgang aus der schlimmen Situation vorschlagen, in der wir uns beide befinden. Zu all den Vergehen, die ich mir zuschulden kommen ließ, kam noch hinzu, daß ich gegen die europäische Regel verstieß, die es verbietet, Frauen ins Badezimmer vorzulassen. Daß ich den seltsamen Brauch nicht verstehe, rechtfertigt meinen Fehltritt nicht. Ich habe sage und schreibe sechsundzwanzig Seiten im Wörterbuch auswendig gelernt, vom einfachen Wörtchen Bückling bis zum schwierigen Wort Burgfriedensbruch, aber auch diese harte Probe hat mir die Last nicht von der Seele genommen. Was Euch angeht, mein Herr, so sagtet Ihr selbst: Das Leben ist zu Ende. Darum laßt uns gemeinsam aus diesem Leben gehen, Herr. Ich habe alles vorbereitet. Sogar Tusche und Pinsel für das Abschiedsgedicht.« Fandorin räkelte sich, genoß das wohlige Ziehen in den Gliedern.

»Hör auf damit, Masa«, sagte er, herzhaft gähnend. »Mir fällt etwas Besseres ein. Was duftet da eigentlich so lecker?«

»Ich habe frische Kringel gekauft, das Zweitbeste, was es in Rußland gibt, nach den Frauen«, erwiderte der Diener in wehmütigem Ton. »Die Suppe aus vergorenem Kraut, die hier alle essen, schmeckt grauenvoll, aber Kringel sind eine prima Erfindung. Ich möchte meinem Hara etwas Gutes tun, bevor ich es mit dem Dolch aufschneide.«

»Ach, du Aufschneider!« Der Detektiv drohte seinem Diener mit der Faust. »Her mit den Kringeln, ich habe einen Riesenhunger. Nach dem Essen geht es frisch an die Arbeit.« »Herr Klonow aus?« fragte der Hoteldiener zurück, der sich, wie es hier im »Metropol« merkwürdige Sitte war, mit dem deutschen Wort Kellner ansprechen ließ. »Aber ja doch, natürlich erinnere ich mich an den Herrn Kaufmann. Darf ich annehmen, Mister, daß Sie mit ihm bekannt sind?«

Der idyllische Sonnenuntergang hatte einem kalten Wind und um sich greifender Düsternis Platz machen müssen. Im Nu war der Himmel bezogen, Nieselregen setzte ein, der sich am späteren Abend zu einem Platzregen auszuwachsen drohte. Fandorin hatte beschlossen, den Elementen zu trotzen und sich auf die Wetterkapriolen einzustellen: Er trug eine Schirmmütze mit gewachstem Schild, eine wasserdichte Schwedenjacke aus Glaceleder und Gummigaloschen. Sein Aussehen war denkbar exotisch und erklärte die kuriose Anrede des »Kellners« ohne weiteres. Eine Stunde nach zwölf ist 103 es eins, was man tut! dachte der Detektiv, der seit neuestem ein flüchtiger Arrestant war, und er raunte, über den Tresen gebeugt: »Bekannt durchaus nicht, Verehrtester. Gendarmeriehauptmann Pewzow, sehr erfreut. Es geht um einen brisanten G-... Geheimfall.«

»Ah, verstehe!« flüsterte der »Kellner« zurück. »Augenblick, das haben wir gleich.«

Er blätterte in seinem Anmelderegister.

»Hier ist er. Kaufmann erster Gilde Nikolai Nikolaje-witsch Klonow. Ankunft am 22. morgens aus Rjasan. Abreise in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag.«

»Wie?« rief Fandorin aus. »Vom 24. zum 25.? Noch in der Nacht?«

»Jawohl, mein Herr. Ich war selbst nicht zugegen, aber hier ist der Eintrag, schauen Sie. Die Endabrechnung hat der Nachtdienst vorgenommen, um vier Uhr dreißig.«

Fandorins Herz machte einen Sprung. Ein Fieber ergriff ihn, wie es nur der passionierte Jäger kennt. Betont lässig fragte er nun: »Wie sah er denn aus, der Herr Klonow?«

»Eine achtbare Person, solide Erscheinung. Wie man sich einen Kaufmann erster Gilde vorstellt.«

»Ja, wie denn? So mit Bart und Bauch? Beschreiben Sie sein Äußeres. Gibt es besondere Kennzeichen?«

»Nein, kein Bart, und die Figur ... jedenfalls nicht dick. Kein Großmaul oder Knauser vom alten Schlag, mehr so der moderne Handlungsreisende. Europäisch gekleidet. Und sonst ...« Der Kellner dachte nach. »Eher unauffällig. Von den Haaren her blond. Besondere Kennzeichen ... Vielleicht die Augen. Ganz helle, wie die Balten sie haben.«

Wild vor Eifer, knallte Fandorin die flache Hand auf den Tresen. Volltreffer! Er hatte die Hauptperson im Visier. Dienstag angekommen, zwei Tage vor Sobolew, und abge taucht just zu der Stunde, da die Offiziere den toten General in die ausgeraubte zurückschleppten. Die Spur war heiß, sehr heiß!

»Solide Erscheinung, sagten Sie? Da hat er wohl auch B-... Besuch bekommen, Geschäftspartner und so weiter?«

»Überhaupt nicht. Höchstens, daß ein paar Mal Kurierpost für ihn kam. Es hatte ganz den Anschein, als wäre er nicht geschäftlich hier gewesen, sondern vergnügungshalber.« »Woher der Anschein?«

»Nun ja ... «

Der »Kellner« lächelte verschwörerisch. Das Folgende raunte er in Fandorins Ohr.

»Kaum hier, hat er sich als erstes nach dem weiblichen Geschlecht erkundigt. Wo denn in Moskau die schicken Dämchen zu finden wären und so weiter. Unbedingt blond und schlank, mit schmaler Taille, jaja. Der Herr war äußerst anspruchsvoll im Geschmack.« Fandorin runzelte die Stirn. Jetzt wurde es seltsam. Hauptmann Pewzow und Blondinen, das paßte nicht zusammen.

»Waren Sie derjenige, mit dem er darüber sprach?«

»Nein, nein, das hat mir unser Timofej erzählt. Er war bis vor kurzem bei uns Kellner, hier auf diesem Platz.« In gespielter Bekümmernis rang er sich einen Seufzer ab. »Am Samstag ist Timofej verschieden, Gott hab ihn selig. Morgen wird er begraben.«

»Verschieden, was heißt das?« wagte Fandorin zu fragen. »Woran verschieden?«

»Wie das Leben so spielt. Abends auf dem Heimweg ist er ausgerutscht und mit dem Kopf auf die Steinplatten geschlagen. In einer Passage nicht weit von hier. So schnell kann es gehen. Wir alle sind in Gottes Hand.«