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»Stimmt, Euer Exzellenz. Gehen wir am besten g-g-... gleich zu Ihnen, die Sache eilt.« Ohne viel zu fragen, lief der General schnurstracks auf sein Haus zu. Schweigend schritt er aus, warf nur dann und wann einen verhohlenen Blick auf seinen Begleiter.

Sie gingen geradewegs in Karatschenzews großes, oval geschnittenes Arbeitszimmer und setzten sich einander gegenüber an den langen, mit grünem Tuch bedeckten Tisch. »Swertschinski, halten Sie sich zur Verfügung!« rief der Polizeipräsident. »Vielleicht brauche ich Sie.«

Kaum hatte die ledergepolsterte Tür sich lautlos geschlossen, fragte Karatschenzew ungeduldig: »Was gibt es? Eine Spur?«

»Noch besser«, gab Fandorin kund. »Den T-... Täter leibhaftig. Darf ich rauchen?« Zigarrepaffend unterbreitete Fandorin dem General seinen neuesten Ermittlungsstand. Karatschenzews Gesicht verdüsterte sich zusehends. Am Ende kratzte er sich besorgt die hohe Stirn, strich eine widerspenstige rötliche Strähne zurück.

»Und wie deuten Sie diese verzwickte Geschichte?«

Fandorin stippte ein Säulchen Asche von seiner Zigarre.

»Sobolew hatte irgendeine tolldreiste Demarche geplant. Vielleicht einen Umsturz im Stile des achtzehnten Jahrhunderts. Ungefähr das, was die Deutschen einen P-... Putsch nennen. Wir wissen, wie populär der Mann bei der Armee und im Volk war. Und mit der Autorität der Obrigkeit ist es derzeit ja nicht weit her ... Aber wozu erzähle ich Ihnen das, dafür hat Ihre Behörde das Ohr an der Masse.«

Der Polizeipräsident nickte.

»Über diese Verschwörung konnte ich bislang nichts Näheres in Erfahrung bringen«, sprach Fandorin weiter. »Entweder sah Sobolew sich selbst als Bonaparte, oder, was wahrscheinlicher ist, er beabsichtigte irgendeinen Verwandten des Zaren auf den T-... Thron zu hieven. Das weiß ich nicht und will darüber nicht spekulieren. Für Ihre und meine Aufgabe ist es auch unerheblich.«

Karatschenzew reagierte nur mit einem Zucken des Kopfes, und er knöpfte sich den goldbetreßten Kragen auf. Oberhalb seiner Nasenwurzel zeichneten sich Schweißtröpfchen ab.

»Jedenfalls hegte unser Achilles böse Pläne«, fuhr Fandorin ungerührt fort und blies einen Rauchstrahl von solcher Eleganz zur Decke, daß es eine Augenweide war. »Er muß aber heimliche, einflußreiche Widersacher gehabt haben, die von seinen Absichten Wind bek-k-kommen hatten. Klonow respektive Pewzow ist deren Mann. Mit seiner Hilfe gedachte die Anti-Sobolew-Gruppe sich des Möchtegern-Bonapartes zu entledigen, und zwar ohne Aufhebens, es sollte wie ein natürlicher Tod aussehen. Und so geschah es. Dem Exekutor zur Hand war unser lieber Churtinski, der K-... Kontakte zur Anti-Sobolew-Gruppe hatte und allem Anschein nach ihre Interessen in Moskau vertrat.« »Mal langsam, Fandorin!« bat der Polizeipräsident. »Mir schwirrt der Kopf. Von was für einer Gruppe reden Sie? Wo soll die sein? Bei uns im Innenministerium?«

Fandorin zuckte mit den Schultern.

»Durchaus möglich. Ihr Chef, Graf Tolstow, muß jedenfalls die Hände im Spiel haben. Denken Sie nur an den Brief, der Churtinski rechtfertigen sollte, und die Depesche, die Pewzow deckt. Hofrat Churtinski agierte nur als gemeiner Vollstrecker. G-... Gierig, wie er nun einmal war, verfiel er der Verlockung der Sobolewschen Million und beschloß, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Die zentrale Figur in der ganzen Geschichte ist und bleibt jedoch der Blonde mit den Wasseraugen.«

An dieser Stelle durchfuhr es den Detektiv wie ein Blitz.

»Nein, warten Sie ... Vielleicht ist die Sache ja noch viel vertrackter! Aber natürlich!«

Er war aufgesprungen und fing an, im Arbeitszimmer des Generals auf und ab zu laufen. Der Gastgeber folgte seinem umtriebigen Untergebenen mit stummem Blick, da er dessen scharfsinnige Gedankengänge nicht zu stören wagte.

»Ein Innenminister kann unmöglich für die Ermordung des Generaladjutanten Sobolew gesorgt haben, ganz gleich, was der auf dem Kerbholz hatte! Das ist Nonsens!«

Vor Aufregung vergaß Fandorin zu stottern.

»Unser Klonow ist sehr wahrscheinlich gar nicht identisch mit jenem Hauptmann Pewzow, von dem der Graf schreibt. Vermutlich ist der wirkliche Pewzow gar nicht mehr am Leben. Hier riecht alles nach einer schlauen Intrige, so eingefädelt, daß sich im Falle des Mißlingens alles auf Ihre Behörde abwälzen ließe, Herr General! So muß es sein, genauso!« Der Kollegienassessor war in seinen Phantasien nicht mehr aufzuhalten. Jetzt klatschte er mehrmals rasch hintereinander in die Hände - General Karatschenzew, der gespannt zugehört hatte, mußte an sich halten, um nicht vor Schreck hinter dem Tisch hervorzuspringen. Und Fandorin sprach bereits wieder.

»Nehmen wir an, der Minister weiß von Sobolews Verschwörungsplänen und läßt den General observieren - Punkt eins. Dann ist da noch jemand, der davon weiß, und der will Sobolew ermorden - Punkt zwei. Im Unterschied zum Minister ist dieser Mann oder sind diese Männer - nennen wir sie die Gegenverschwörer - nicht auf das Gesetz vereidigt, sie verfolgen ihre eigenen Ziele.«

»Was für Ziele denn?« wagte der konsternierte Polizeipräsident mit zaghafter Stimme zu fragen.

»Macht und Einfluß, nehme ich an«, erwiderte Fandorin lässig. »Worum sollte es sonst gehen, wenn eine Intrige von solchen Ausmaßen gesponnen wird? Die Gegenverschwörer hatten einen überaus findigen Aktivisten zu ihrer Verfügung, den wir unter dem Namen Klonow kennen. Daß er kein Kaufmann ist, steht außer Frage. Ein ungewöhnlicher Mann mit phänomenalen Begabungen. Nicht zu sehen, nicht 111

zu greifen, gibt sich keine Blöße. Weiß bestens Bescheid und ist immer vor uns da, schlägt als erster zu. Wir konnten noch so schnell sein, wir hatten immer das Nachsehen.«

»Und wenn er nun doch Gendarmeriehauptmann ist und mit Billigung des Ministers handelt?« fragte Karatschenzew. »Und ...« Er schluckte. »... der Mord an Sobolew wäre von höchster Seite sanktioniert gewesen? Mit Verlaub, Fandorin, wir sind beide gestandene

Sicherheitsbeamte und wissen, daß zur Wahrung von Staatsinteressen bisweilen unkonventionelle Mittel Anwendung finden.«

»Wozu hätte dann das Portefeuille gestohlen werden müssen, noch dazu aus der Gendarmerieverwaltung?« fragte Fandorin achselzuckend. »Das Ding war doch schon an Ort und Stelle, Sie hätten es ohnehin auf dem Behördenweg nach Petersburg geschickt, dem Grafen Tolstow auf den Tisch. Wozu mit der Kirche ums Dorf? Nein, das Ministerium hat damit nichts zu tun. Ein Volksheld wie Sobolew läßt sich nicht einfach so ins Jenseits befördern. Er war kein General Piche-gru, den man mal eben im Verlies erdrosselt. Einem Michail Sobolew an den Kragen gehen, ohne Urteil, ohne Gericht? Nein, Herr General, bei aller Unzulänglichkeit unserer Institutionen, das wäre ein zu starkes Stück. Das kann ich nicht glauben.«

»Da haben Sie recht«, gab Karatschenzew zu.

»Außerdem ist es eine Stilfrage. Daß einer mit so leichter Hand mordet wie dieser Klonow. Das sieht dem Geheimdienst überhaupt nicht ähnlich.«

Abwehrend hob der Polizeipräsident die Hand.

»Hübsch mit der Ruhe, nicht gleich übertreiben. Wieso mordet? Wir wissen noch gar nicht sicher, ob Sobolew ermordet oder nicht doch eines natürlichen Todes gestorben ist. Die Obduktion behauptet jedenfalls letzteres.«

»Es war Mord«, blieb Fandorin fest. »Unklar ist nur, wie es gelang, die Spuren zu vertuschen. Hätten wir damals gewußt, was wir heute wissen, hätten wir Professor Welling zu einer gründlicheren Analyse angehalten. Er war von Anfang an der Meinung, der Tod sei auf natürlichem Wege eingetreten, und Voreingenommenheiten können viel bewirken. Außerdem ...« Fandorin blieb vor dem General stehen.

»Außerdem ist es ja nicht bei Sobolew geblieben. Klonow hat alle möglichen Mitwisser beseitigt. Ich bin mir sicher, daß auch Knabes rätselhafter Tod auf sein Konto geht. Geben Sie zu, es leuchtet nicht sehr ein, daß die Deutschen einen Offizier ihres eigenen Generalstabs ermordet haben sollen, nur weil ihnen der Schreck in die Glieder gefahren ist. In zivilisierten Ländern ist dergleichen nicht üblich. Allenfalls hätte man ihm nahegelegt, sich selber zu erschießen, aber nicht diese Schlächterei mit dem Fleischermesser. Unwahrscheinlich! Klonow hingegen kam die Sache sehr gelegen - so durften Sie und ich den Fall für geklärt halten. Wäre nicht zufällig das Portefeuille mit der Million aufgetaucht, wir hätten einen Punkt hinter die Ermittlungen gesetzt. Höchst verdächtig ist des weiteren der plötzliche Tod eines Hoteldieners im >Metropol<. Dieser arme Timofej hatte vermutlich nur das Pech, Klonow zu einer Komplizin verholfen zu haben - Wanda. Nehmen Sie's mir nicht übel, Herr General, mir kommt auf einmal alles verdächtig vor! Auch der Tod des Kleinen Mischa! Auch der Selbstmord Churtinskis!«