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JEWGENIJA

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Mit zwanzig war Ahimaaz Weide ein höflicher, schweigsamer Bursche, der älter aussah, als er war. Dem Publikum, das sich zur Genesung an den berühmten Solenowodsker Quellen einfand, wie auch der ansässigen Bevölkerung galt er als wohlerzogener Sproß einer begüterten Kaufmannsfamilie und Student an der Charkower Universität, der sich hier einer längeren Heilkur unterzog. Die Wissenden hingegen, die ihr Wissen ungern mit anderen teilten, sahen in Ahimaaz Weide einen soliden, ernst zu nehmenden Mann, dem gelang, was immer er anpackte. Sie nannten ihn, seiner Augen wegen, Axahir, das heißt: weißer Zauberer. Ahimaaz akzeptierte den Beinamen - sollten sie ihn für einen Zauberer halten. Wobei Zauberei keineswegs im Spiel war, alles hing ab von Berechnung, Kaltblütigkeit und Psychologie.

Den Studentenausweis der Kaiserlichen Universität Charkow hatte der Onkel für dreihundertfünfzig Rubel erworben - kein sehr hoher Preis. Das Reifezeugnis des Gymnasiums mit Wappensiegel und echten Unterschriften hatte ihn mehr gekostet. Kurz nach jenem Ereignis in Chanacha hatte Hassan seinen Neffen in das stille Städtchen Solenowodsk zur Schule geschickt, die Rechnungen für drei Jahre im voraus bezahlt und war in die Berge davongefahren. Ahimaaz wohnte in einem Pensionat mit anderen Jungen, deren Väter in entlegenen Garnisonen dienten oder Karawanen von West nach Ost, vom Schwarzen zum Kaspischen Meer, und von

Nord nach Süd, von Rostow nach Erzurum führten. Ahimaaz pflegte keinen Umgang mit seinen Alters gefährten - sie gingen ihn nichts an. Er wußte etwas, das sie nicht wußten und kaum je erfahren würden. Hieraus erwuchs gleich im ersten Jahr, als Ahimaaz in die Vorbereitungsklasse zum Gymnasium ging, eine Schwierigkeit. Ein stämmiger, breitschultriger Mitschüler namens Kikin, der das gesamte Pensionat tyrannisierte, hatte es auf den »Balten« abgesehen, und die anderen schlossen sich der Hetzjagd an. Da allein gegen alle kaum etwas auszurichten war, übte Ahimaaz sich in Langmut, doch davon wurde es nur noch ärger. Eines Abends fand er sein Kopfkissen mit Kuhmist bestrichen vor, und er begriff, daß etwas geschehen mußte. Ahimaaz wägte die in Frage kommenden Varianten gegeneinander ab.

Er hätte die Rückkehr des Onkels abwarten und ihn um Hilfe bitten können. Doch wann Hassan zurückkehrte, war ungewiß. Vor allem aber hätte Ahimaaz es sehr bedauert, wenn die Hochachtung, die nach dem Vorfall von Chanacha in den Augen des Onkels aufgeflammt war, wieder erloschen wäre.

Er hätte versuchen können, Kikin zu verprügeln, doch das versprach wenig Aussicht auf Erfolg: Kikin war älter und kräftiger als er und prügelte sich nie Mann gegen Mann.

Er hätte sich beim Aufseher beschweren können. Doch Kikins Vater war Oberst und Ahimaaz ein Niemand, Neffe eines Wilden aus den Bergen, der Pension und Schulgeld mit Goldmünzen aus einem Lederbeutel berappt hatte.

Der einfachste und beste Weg war ein anderer: Kikin sterben zu lassen. Ahimaaz strengte sein Gehirn an und ersann eine Möglichkeit, wie das sauber und akkurat zu bewerkstelligen war.

Während Kikin dem »Baltenbastard« Tritte verpaßte, Reißzwecken in den Kragen schüttete und mit dem Blasrohr gekaute Papierkügelchen auf ihn schoß, geduldete sich Ahimaaz, bis es Mai wurde. Im Mai brach der Sommer an, und die Zöglinge liefen zum Baden an die Kuma hinunter. Hier hatte Ahimaaz schon seit Anfang April, als das Wasser noch eisig war, Tauchen geübt. Bis zum Mai hatte er gelernt, mit offenen Augen unter Wasser zu schwimmen, hatte den Grund des Flusses gründlich untersucht, und es machte ihm keine Mühe, eine ganze Minute die Luft anzuhalten. Alles war vorbereitet.

Und die Sache lief so glatt, wie er es sich ausgemalt hatte. Es kam der Tag, da alle am Fluß waren. Ahimaaz tauchte, packte Kikin von unten am Bein und zog ihn mit einem Ruck unter Wasser. In der Hand hielt Ahimaaz einen Strick, dessen anderes Ende fest an einem Baumstamm hing, der mit Wasser vollgesogen war und darum schwer am Grund des Flusses lag. Von Hassan hatte er den Kabardinerknoten gelernt, den man in Sekundenschnelle knüpfte und den keiner aufbekam, der den Trick nicht kannte.

Eine Bewegung genügte, und der Knoten saß straff am Knöchel seines Feindes. Ahimaaz schwamm hinauf an die Oberfläche und kletterte ans Ufer. Er zählte bis fünfhundert, bevor er von neuem tauchte. Kikin lag am Grund, Mund und Augen offen. Ahimaaz, der in sich hineinhorchte, spürte nichts als eine gelassene Befriedigung über die gute Arbeit. Er löste den Knoten und tauchte wieder auf. Die Jungen waren dabei, sich gegenseitig zu bespritzen, und kreischten dabei. Kikin vermißten sie nicht so bald.

Nachdem diese Schwierigkeit gelöst war, wurde das Leben im Pensionat viel angenehmer. Ohne Kikin als Anstifter gab es keinen mehr, der auf den »Balten«

Jagd machte. Ahimaaz wurde von Klasse zu Klasse versetzt. Seine Leistungen waren weder besonders gut noch besonders schlecht. Er ahnte schon, daß all die Wissenschaften ihm im Leben kaum etwas nützen würden. Wenn Hassan sich sehen ließ, was selten genug geschah, nahm er Ahimaaz für ein, zwei Wochen mit in die Berge, um zu jagen und das Nachtlager unter dem Sternenhimmel aufzuschlagen.

Gegen Ende der sechsten Klasse entstand für Ahimaaz eine neue Schwierigkeit. Ein Stück weit vor der Stadt, drei Werst die Stawropoler Landstraße hinaus, gab es ein Freudenhaus, wohin abends die männlichen Kurgäste fuhren. Auch Ahimaaz, der im sechzehnten Lebensjahr in die Länge geschossen war und in den Schultern zugelegt hatte, von daher gut als Zwanzigjähriger durchgehen konnte, war dieser Gewohnheit verfallen. Das hier war das Wahre, nicht das Pauken altgriechischer Brocken aus der »llias«.

Einmal hatte Ahimaaz Pech. Unten im Gesellschaftsraum, wo die geschminkten Dirnen ihre Limonade tranken und darauf warteten, daß einer mit ihnen nach oben ging, stieß er auf den Inspektor seines Gymnasiums, Kollegienrat Tenetow - hier in Zivil und mit falschem Bart. Tenetow, dem ein Blick von Ahimaaz genügte, um zu wissen, daß er erkannt worden war, sagte zwar nichts, hegte jedoch von dem Tag an einen wilden Haß auf den blonden jungen Mann. Bald schon war klar, was der Inspektor im Schilde führte: ihn bei den Sommerexamen durchfallen zu lassen. Sitzenzubleiben war peinlich und öde obendrein. Ahimaaz überlegte, was er tun konnte.

Wäre es nicht Tenetow gewesen, sondern ein x-beliebiger anderer Lehrer, dann hätte Hassan ihn bestechen können. Tenetow hingegen nahm kein Geld an und war darauf sehr stolz. Wobei ihm der Verzicht gewiß nicht schwer fiel, denn vor zwei Jahren hatte der Kollegienrat eine Kaufmannswitwe geehelicht und einhundertvierzigtausend Rubel Mitgift eingeheimst, das beste Haus in der Stadt obendrein.

Das Verhältnis zu Tenetow zu bereinigen schien unmöglich: Der Inspektor brauchte Ahimaaz nur zu sehen und fing zu zittern an.

Ahimaaz ging alle Möglichkeiten durch und verfiel auf die sicherste.

In jenem Frühjahr wurde Solenowodsk von Räubern unsicher gemacht: üblen Typen, die sich an späte Passanten anschlichen und ihnen das Messer ins Herz rammten, um Uhren, Brieftaschen oder Brillantringe zu entwenden. Es hieß, die berüchtigte Fleischerbande aus Rostow gebe in der Stadt ein Gastspiel. Eines Abends, als der Inspektor, von Petrossows Gastwirtschaft kommend, auf dem Heimweg war, lauerte ihm Ahimaaz in einer dunklen, menschenleeren Straße auf und stieß ihm seinen Dolch ins Herz. Dann nahm er dem Toten die Uhr an goldener Kette sowie die Brieftasche ab. Uhr und Brieftasche warf er in den Fluß, das Geld - siebenundzwanzig Rubel - behielt er.

Hiermit glaubte er auch diese Schwierigkeit gelöst zu haben, doch es ging böse aus. Eine Bedienstete hatte aus dem nächstliegenden Haus mit angesehen, wie Ahimaaz den Dolch an einem Büschel Gras abwischte und sich dann eilig vom Tatort entfernte. Das hintertrug sie der Polizei, und Ahimaaz landete im Karzer.