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Nur gut, daß Onkel Hassan zufällig in der Stadt war.

Als erstes drohte der Onkel der Bediensteten, er würde ihr Nase und Ohren abschneiden, worauf sie zum Kreispolizeichef lief und angab, sie hätte sich in dem Mann versehen. Alsdann suchte Hassan den Polizeichef persönlich auf, legte fünftausend Rubel in Silber auf den Tisch - alles, was der Schmuggel letzthin eingebracht hatte -, und der Arrestant kam frei.

Ahimaaz schämte sich. Als der Onkel ihn sich vornahm, konnte er ihm nicht in die Augen sehen. Schließlich beichtete er die ganze Wahrheit: über Kikin, über den Inspektor.

Nach langem Schweigen seufzte Hassan nur und sagte: »Allah führt ein jedes Geschöpf seiner Bestimmung zu. Genug gelernt, Junge, jetzt geht es ans Geschäft.« Und ein neues Leben begann.

2

Früher hatte Hassan seine aus der Türkei und Persien herübergeschmuggelte Ware an Hehler gegeben. Jetzt brachte er sie selbst an den Mann - in Jekaterinodar, Stawropol, Rostow und auf dem Jahrmarkt von Nishni Nowgorod. Sie fand guten Absatz, denn Hassan hielt die Preise niedrig. Der Handel wurde per Handschlag und mit einem kleinen Umtrunk besiegelt. Anschließend kam Ahimaaz zum Zuge. Er jagte dem Käufer hinterher, schlug ihn tot und brachte die Ware zurück - zum nächsten Verkauf.

Den meisten Erfolg hatten sie 1859 in Nishni Nowgorod. Ein und dieselbe Partie Persianer, zehn Ballen, verkauften sie dreimal. Das erste Mal für eintausenddreihundert (Ahimaaz fing den Kaufmann nebst Gehilfen auf einem Waldweg ab und erstach die beiden mit dem Dolch), das zweite Mal für eintausendeinhundert (der Handelsmann konnte gerade noch ach! sagen, da hatte sein Reisegefährte, ein freundlicher Student, ihm die zweischneidige Klinge schon in die Niere gestoßen), ein drittes Mal für eintausendfünfhundert (und im Gürtel des Armeniers fanden sich noch einmal knapp dreitausend - welch ein Fang!).

Beim Töten war Ahimaaz ganz ruhig; nur wenn der Tod nicht umgehend eintrat, haderte er mit sich. Doch das kam selten vor. Er hatte eine sichere Hand.

Dies ging drei Jahre so. In der Zeit nahm Fürst Barjatinski den Imam Schamil gefangen, wodurch der lange Kaukasus-Krieg sein Ende hatte. Onkel Hassan heiratete ein Mädchen aus den Bergen, das einem edlem Geschlecht entstammte, und nahm später noch eine zweite Frau von etwas ärmerer Abstammung dazu - die Papiere wiesen sie als seine Adoptivtochter aus. Er kaufte in Solenowodsk ein Haus mit großem Garten, durch den kreischende Pfauen spazierten. Hassan wurde dickleibig und fand Gefallen daran, auf der Veranda Champagner zu trinken und zu philosophieren. Die Schmuggelware aus dem Gebirge herunterzubringen war er inzwischen zu faul, sie wurde ihm von zuverlässiger Seite angeliefert. Mit diesen Leuten saß er lange beim Tee und stritt über die Preise. Kamen die Verhandlungen ins Stocken, ließ Hassan Ahimaaz rufen. Der brauchte nur einzutreten, die Hand höflich an die Stirn zu legen und den störrischen Gast wortlos mit seinen hellen, ruhigen Augen anzusehen: Das half.

Einmal zur Herbstzeit - ein Jahr, nachdem Rußlands Bauern von der Leibeigenschaft erlöst worden waren - kam Hassans alter Freund und Geschäftspartner Abylgasi zu Besuch. Er erzählte, es gebe da in Semigorsk einen zugezogenen Neuchristen mit Namen Lasar Medwedjew. Der war letztes Jahr hergekommen, um seine Leibschmerzen zu kurieren, und geblieben, weil es ihm gut gefiel. Er hatte geheiratet (die Braut ohne Mitgift, aber hübsch), ein Haus mit Säulenportal an den Hang gebaut und drei Quellen gekauft. Jetzt kurten alle Gäste nur noch bei Medwedjew, und außerdem hieß es, er expediere allwöchentlich zehntausend Flaschen Mineralwasser nach Sankt Petersburg und Moskau. Was indes am aller-interessantesten war: Dieser Lasar besaß ein eisernes Zimmer. Er traute nämlich den Banken nicht und zeigte sich darin als kluger Mann. Sein vieles Geld hortete er im Keller unter seinem Haus. Dort gab es eine Kammer, deren Wände ganz aus Eisen waren, dazu eine Tür, auf die man mit einer Kanone hätte schießen können, ohne sie zu löchern. In so eine Kammer einzudringen sei freilich schwer, sagte Abylgasi, weshalb er für seine Geschichte auch keinen Vorschuß verlange; er sei vielmehr einverstanden, die Rechnung später aufzumachen, und auch hierbei wolle er bescheiden sein: einen Zehner von jedem erbeuteten Rubel, nicht mehr. »Ein eisernes Zimmer ist eine harte Nuß«, sprach Hassan, gravitätisch nickend, in Wirklichkeit hatte er von einem solchen noch nie gehört. »Darum sollst du, wenn Allah mir gnädig ist, pro Rubel einen Fünfer kriegen, mein Freund.«

Anschließend rief er den Neffen zu sich und berichtete, was er vom alten Abylgasi erfahren hatte. »Fahr nach Semigorsk«, trug er ihm auf, »und sieh nach, was das für ein Zimmer ist.«

3

Schneller als erhofft bot sich Ahimaaz Gelegenheit, einen Blick auf das eiserne Zimmer zu werfen.

Angetan mit einem grauen Cutaway und einem Zylinder von gleicher Farbe, machte er Medwedjew seine Aufwartung. Zuvor hatte er ihm aus dem Hotel eine Visitenkarte überbringen lassen, auf die in goldenen Lettern gedruckt war: »Handelshaus Hassan Radajew« AFANASSIPETROWITSCH WELDE, Kompagnon Medwedjew ließ ausrichten, er habe vom Handelshaus des hochverehrten Hassan Radajew viel gehört und bitte um unverzüglichen Besuch. Ahimaaz begab sich also zu dem neuen, schönen Haus am Rand der Stadt, das über einem Steilhang gelegen und von einer hohen Steinmauer umgeben war. Es ließ eher an eine Festung als an ein Wohnhaus denken. Hier konnte man eine Belagerung aussitzen.

Der Eindruck verstärkte sich noch, als Ahimaaz durch das eichene Tor trat: Zwei mit Stutzen bewaffnete Wächter (die sogar uniformiert waren, nur die Schulterstücken fehlten) patrouillierten über den Hof.

Der Hausherr war kahlköpfig, mit kantigem Schädel, stattlichem Bauch und berechnenden schwarzen Augen. Er ließ den jungen Mann am Tisch Platz nehmen, bot Kaffee und eine Zigarre an. Nach zehn Minuten höflicher, betulicher Unterhaltung über Politik und die Wollpreise kam die Frage, womit man dem verehrten Herrn Radajew denn zu Diensten sein könne.

Ahimaaz schlug hierauf ein Geschäft vor, das er sich als Vorwand hatte einfallen lassen. Man solle doch den Mineralwasseraustausch zwischen Solenowodsk und Semigorsk in Schwung bringen, sagte er.

»Ihr Wasser heilt den Magen, unseres ist gut für die Nieren. Vielen Gästen ist an dem einen so gut wie an dem anderen gelegen. Und um den Leuten die beschwerlichen hundert Werst durchs Gebirge zu ersparen, könnte man in Solenowodsk ein Geschäft der Fa. Medwedjew eröffnen und in Semigorsk eine Filiale des Handelshauses Radajew. Zu Ihrem und unserem Vorteil.«

»Ein guter Gedanke«, lobte der Neuchrist Medwedjew. »Ein sehr guter sogar. Nur leider gibt es an der Strecke viele Wegelagerer. Wie soll ich meinen Gewinn von Solenowodsk sicher herüberbringen?«

»Wozu das denn? Man kann ihn doch zur Bank tragen.«

Medwedjew fuhr sich mit der Hand durch den lockigen Haarkranz. Er lächelte.

»Ich traue den Banken nicht, Herr Weide. Ich ziehe es vor, mein Geld im Haus zu haben.«

»Aber ist das nicht viel zu gefährlich? Fürchten Sie keinen Raubüberfall?« Ahimaaz wiegte mißbilligend den Kopf.

»Hier gibt es keinen Raubüberfall«, verkündete Medwedjew und zwinkerte dabei schlau. »Erstens habe ich Soldaten im Haus, ExKantonisten, die auf dem Hof rund um die Uhr Wache stehen. Und zweitens kann ich mich auf meinen Panzerraum verlassen. Da kommt außer mir keiner rein.«

Ahimaaz wollte gerade fragen, was das denn für ein Raum sei, da machte der Hausherr selbst den Vorschlag: »Wollen Sie vielleicht einen Blick darauf werfen?«