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Während sie in den Keller hinabstiegen (es gab einen extra Eingang vom Hof her), erzählte Medwedjew, ein Ingenieur aus Stuttgart habe ihm die Schatzkammer gebaut. Mit einer acht Zoll dicken Stahltür. An der Tür ein Schloß mit achtstelliger Zahlenkombination. Die kenne nur er, Medwedjew, und ändere sie jeden Tag.

Sie kamen in den Vorraum, wo eine Petroleumlampe brannte. Ahimaaz sah die Stahlwand und die schmiedeeiserne, mit runden Nietenköpfen besetzte Tür.

»So eine kriegt niemand auf, nicht mal mit Sprengstoff«, prahlte der Hausherr. »Sogar der Stadthauptmann bewahrt seine Ersparnisse bei mir auf, auch der Polizeichef und die hiesigen Kaufleute. Ich lasse es mir gut bezahlen, aber das ist den Leuten egal. Hier liegt ihr Geld sicherer als auf jeder Bank.«

Ahimaaz nickte ehrfürchtig. Daß nicht nur Medwedjews Geld in dem eisernen Zimmer lagerte, war eine interessante Neuigkeit.

Und es folgte ein weiterer überraschender Vorschlag.

»Richten Sie Ihrem verehrten Onkel aus, Gott möge ihn segnen mit Gesundheit und geschäftlichem Wohlergehen, und er soll sich nicht sorgen. Ich bin noch nicht lange hier im Kaukasus, aber wen ich kennen muß, den kenne ich schon. Meine Hochachtung Herrn Radajew und besten Dank für die Aufmerksamkeit gegenüber meiner Person. Was den Wasseraustausch angeht, so ist das eine feine Idee. Stammt die von Ihnen?«

Gönnerhaft klopfte Medwedjew dem jungen Mann auf den Rücken und sprach eine Einladung aus: Donnerstags pflegte sich die bessere Gesellschaft von Semigorsk in seinem Haus zu versammeln.

Daß der Mann gerissen und noch dazu gut unterrichtet schien, war noch die geringste Schwierigkeit. Kompliziert wurde es erst, als Ahimaaz am darauffolgenden Donnerstag der Einladung in das Haus am Hang folgte, um die Anordnung der Räume zu studieren.

Vorerst sah sein Plan so aus: Man mußte nachts die Wache überwältigen, dem Hausherrn den Dolch an die Kehle setzen und sehen, was ihm mehr wert war: seine Schatzkammer oder sein Leben. Ein ausgesprochen simpler Plan, der Ahimaaz nicht sonderlich gefiel.

Erstens würde er nicht ohne Helfer auszuführen sein. Zweitens gab es Leute, denen Geld allemal über ihr eigenes Leben ging, und sein Instinkt sagte ihm, daß Lasar Medwedjew zu ihnen zählte.

Die Schar der Donnerstagsgäste war groß, und Ahimaaz durfte hoffen, zu etwas späterer Stunde, wenn alle bei Tisch saßen und zechten, sich unbemerkt entfernen und eine Besichtigung des Hauses vornehmen zu können. Doch dazu kam es nicht. Denn gleich zu Beginn des Abends ergab sich die schon erwähnte Komplikation.

Als der Hausherr dem Gast seine Frau vorstellte, fiel Ahimaaz zunächst nur auf, daß der alte Abylgasi nicht gelogen hatte. Sie war jung und ansehnlich: aschblondes Haar mit einem goldenen Schimmer, die Augen hübsch geschnitten. Jewgenija war

ihr Name. Doch gingen die Reize der Madame Medwedjewa Ahimaaz nichts an, weshalb er sich, nachdem die schmale, weiße Hand der Gattin geküßt war, schleunigst in die Tiefe des Salons begab und im hintersten Winkel postierte, nahe der Portiere, von wo er die ganze Gesellschaft ebenso gut im Blick hatte wie die Tür, die zu den verborgenen Gemächern führte.

Hier nun spürte die Hausherrin ihn auf. Nahe herantretend, fragte sie leise: »Bist du es, Lia?« Worauf sie sich selbst die Antwort gab: »Du bist es. Solche Augen hat nur einer.«

Ahimaaz schwieg, von einer seltsamen, nie zuvor empfundenen Starre erfaßt, während Jewgenija in hastigem, sich überstürzendem Flüsterton weitersprach:

»Was willst du hier? Mein Mann sagt, du seiest ein Gauner und Mörder und wolltest ihn ausrauben. Stimmt das? Du mußt nicht antworten, mir ist das gleich. Ich hab so lange auf dich gewartet! Irgendwann hab ich aufgehört zu warten und geheiratet, und jetzt bist du da. Holst du mich weg von hier? Bist du mir böse, daß ich die Geduld verloren habe? Du erinnerst dich doch an mich? An Shenja aus dem Waisenhaus?«

Plötzlich sah Ahimaaz klar und deutlich vor sich, woran er all die Jahre kein einziges Mal gedacht hatte: Wie Hassan ihn aus dem Skirowsker Heim geholt hatte und das dürre Mädchen wortlos hinter dem Pferd hergerannt war. »Lia, ich warte auf dich!« hatte sie, wenn er nicht irrte, zuletzt gerufen.

Dies war nun eine Schwierigkeit, die sich mit den erprobten Mitteln nicht aus der Welt schaffen ließ. Das merkwürdige Verhalten der Frau Medwedjewa wußte Ahimaaz nicht zu deuten. War das womöglich die Liebe, von der in den Romanen die Rede war? Er glaubte ihnen nicht und hatte nach dem Gymnasium keinen einzigen mehr angefaßt. Die Sache war heikel und unangenehm.

Ahimaaz verließ die Gesellschaft, ohne zu Jewgenija ein einziges Wort gesagt zu haben. Er schwang sich auf sein Pferd und ritt zurück nach Solenowodsk. Dem Onkel berichtete er von dem eisernen Zimmer und der Schwierigkeit, die sich aufgetan hatte. Hassan dachte nach und meinte: »Eine Frau, die ihren Mann verrät - das ist nicht gut. Doch die Winkelzüge des Schicksals zu beurteilen steht uns nicht an. Wir haben zu tun, was das Schicksal von uns will. Und das Schicksal will es, daß wir mit Hilfe von Medwedjews Frau in das eiserne Zimmer gelangen. Soviel steht fest.«

4

Den Weg hinauf zu Medwedjews Anwesen gingen Hassan und Ahimaaz zu Fuß, um die Wachleute nicht durch das Getrappel von Hufen hellhörig zu machen. Die Pferde hatten sie im Wäldchen unterhalb des Hangs stehen lassen. Unten im Tal leuchteten nur noch vereinzelte Lichter - Semigorsk schlief schon. Über den schwarzgrünen Himmel glitten durchscheinende Wolken, wodurch die Nacht von einer Minute auf die andere Minute aufhellte und wieder finster wurde.

Den Plan hatte Ahimaaz entworfen. Jewgenija würde auf ein ver einbartes Klopfzeichen die Gartenpforte öffnen. Sie würden sich durch den Garten zum Hof schleichen, die beiden Wächter unschädlich machen und in den Keller hinabsteigen. Jewgenija würde die Panzertür öffnen - der Gemahl hatte ihr gezeigt, wie das ging. Und die Zahlenkombination pflegte er auf einen Zettel zu schreiben, den er bei sich im Schlafzimmer hinter der Ikone versteckte. Er hatte Angst, die Kombination zu vergessen, denn dann hätte man das Steinfundament des eisernen Zimmers aufmeißeln müssen - anders kam man nicht hinein. Sie würden nicht alles einstecken, sondern nur, was sie auf einmal wegtragen konnten. Jewgenija würde er mitnehmen.

Während sie dabei gewesen waren, dies alles abzusprechen, hatte sie ihm plötzlich in die Augen gesehen und gefragt:

»Betrügst du mich auch nicht, Lia?«

Er hatte lange nicht gewußt, wie er es mit ihr halten sollte. Der Onkel gab keinen Rat. »Wenn der Moment der Entscheidung gekommen ist, wird dein Herz dir das Richtige sagen«, meinte er. Pferde hatten sie jedenfalls drei dabei. Eines für Hassan, eines für Ahimaaz und eines für die Beute. Der Neffe hatte zugesehen, wie Hassan den Fuchs, den Rappen und den Braunen aus dem Stall führte, und nichts dazu gesagt.

Jetzt schlichen sie lautlos die weiße Mauer entlang, und Ahimaaz überlegte, wie es sein mochte, wenn das Herz einem etwas sagte. Bislang schwieg es.

Die Pforte ging sofort auf; die Angeln waren geschmiert und knarrten nicht.

Dahinter stand Jewgenija in Burka und Papacha. Marschbereit.

»Du gehst hinter uns, Frau!« flüsterte Hassan, und sie rückte zur Seite, um die Männer durchzulassen.

Sechs ehemalige Soldaten hatte Medwedjew in Dienst genommen. Zu zweit schoben sie Wache und lösten einander alle vier Stunden ab.

Ahimaaz stellte sich hinter einen Apfelbaum und sah nach, was sich im Hof tat. Einer der Wächter saß, das Gewehr im Arm, auf dem Prellstein neben dem Tor und döste. Der andere schritt die Strecke vom Tor zum Haus gemessen auf und ab: dreißig Schritt hin, dreißig Schritt her.

Es war klar, daß die Wächter getötet werden mußten. Schon als Ahimaaz in Jewgenijas Bitte eingewilligt hatte, die zwei nur zu betäuben und zu fesseln, wußte er, daß dieses Versprechen nicht zu halten war.