Выбрать главу

Genug der Abenteuer. Er war kein Junge mehr.

Und womöglich legte er sich Familie zu?

Er dachte nicht ernsthaft daran - es war mehr eine Freiübung des Geistes. Ahimaaz wußte, daß er nie Familie haben würde. Denn er wollte nicht, indem er sein Alleinsein aufgab, Angst vor dem Tod bekommen. So wie die anderen sie hatten.

Bis jetzt nämlich konnte der Tod ihn überhaupt nicht schrecken. Dies war das Fundament, auf dem das feste Bauwerk ruhte, welches Ahimaaz Weide hieß. Sollte ihm eines Tages die Pistole versagen, oder sein Opfer wäre einmal schneller und geschickter als er, würde Ahimaaz eben sterben - und das war alles. Es bedeutete nur, daß danach nichts mehr kam. Einer von den antiken Philosophen - Epikur, wenn er nicht irrte - hatte gesagt, was es dazu zu sagen gibt: Solange ich lebe, ist der Tod nicht da. Ist der Tod aber da, bin ich nicht mehr vorhanden.

Gesehen und erlebt hatte Ahimaaz zur Genüge. Nur die Liebe kannte er nicht, das hing mit seinem Beruf zusammen. Jegliche Anhänglichkeit schwächt, und Liebe machte einen gleich ganz schutzlos. Ahimaaz aber war unverletzbar. Einer, der sich vor nichts fürchtete, nichts und niemanden zu verlieren hatte, ließ sich nicht so leicht fangen.

Aber eine eigene Insel - darüber konnte man nachdenken.

Es gab nur ein Problem: die Finanzen. Das Vorkaufsrecht einzulösen kostete viel Geld; alle seine Vorräte bei den Banken von Zürich und London wären dabei draufgegangen. Und wie sollte er seine Grafschaft ausstatten? Schön, er konnte die Villa verkaufen - aber das reichte noch nicht. Es brauchte ein solideres Kapital.

Oder sollte er sich diese Phantasien aus dem Kopf schlagen?

Fest stand: Eine eigene Insel war mehr als ein eigener Felsen. Das Meer war mehr als ein See. Warum sich mit wenigem zufriedengeben, wenn einem mehr geboten wurde?

Mit derlei Gedanken war Ahimaaz beschäftigt, als er Besuch von dem Mann mit der Maske bekam.

2

Zunächst brachte Archibald, sein Haushofmeister, die Visitenkarte. Ein Stück weißer Karton mit Goldkrönchen, darunter in Frakturbuchstaben: Baron Eugenius von Steinitz.

Angehängt war eine Notiz auf deutsch: Baron von Steinitz bittet Herrn Weide für heute abend, zehn Uhr, um eine Audienz in vertraulicher Angelegenheit.

Ahimaaz fiel auf, daß das Blatt am oberen Rand beschnitten war. Offenbar wollte der Besucher nicht, daß Ahimaaz das Monogramm zu sehen bekam - wenn er also überhaupt ein »Herr von« war, dann bestimmt nicht von Steinitz.

Der Gast erschien pünktlich auf die Minute. Dieser Umstand sprach dafür, daß er tatsächlich Deutscher war. Der Baron hielt - in Anbetracht der sehr heiklen Angelegenheit, wie er sagte - sein Gesicht hinter einer samtenen Halbmaske verborgen, wofür er höflich um Entschuldigung bat. Äußerlich fand Ahimaaz an dem Baron nichts Bemerkenswertes: blondes Haar, akkurat gestutzte Koteletten, unruhige blaue Augen. Er trug Regenmantel, Zylinder und ein gestärktes Hemd mit weißer Fliege unter dem schwarzen Frack.

Sie setzten sich auf die Veranda. Unten blinkte im Mondlicht der See. Baron von Steinitz hatte kein Auge für den versöhnlichen Anblick dieser Landschaft, unverwandt schaute er durch die Schlitze seiner Operettenmaske auf Ahimaaz. Das Gespräch zu beginnen hatte er indes keine Eile. Die Beine übereinandergeschlagen, rauchte er eine Zigarre an.

All dies hatte Ahimaaz schon viele Male gesehen; gelassen wartete er darauf, daß sein Gast anzufangen geruhte.

»Ich komme zu Ihnen auf Monsieur du Vallets Empfehlung«, hob der Baron schließlich an. »Er bat mich, einen ergebensten Gruß zu bestellen, mit den Wünschen für bestes, nein, Moment... uneingeschränktes Wohlergehen.«

Ahimaaz quittierte den Namen seines Pariser Mittelsmannes und die Parole mit einem wortlosen Nicken.

»Ich komme in einer wichtigen und hochvertraulichen Angelegenheit«, teilte von Steinitz mit und senkte dabei die Stimme.

»Man pflegt mich ausschließlich in solcher Angelegenheit zu behelligen«, erwiderte Ahimaaz kühl.

Bis hierhin war das Gespräch auf deutsch geführt worden. Unversehens wechselte der Gast nun ins Russische. Er sprach fehlerfrei und ohne Akzent, nur sein L klang etwas zu weich.

»Zu erledigen ist dieser Auftrag in Rußland, in Moskau. Der Ausführende sollte ein Ausländer sein, der die Sprache und die Gepflogenheiten des Landes gut kennt. Sie sind für uns der ideale Mann. Wir haben Erkundigungen über Sie eingeholt.«

Erkundigungen eingeholt? Wir? Das gefiel Ahimaaz überhaupt nicht. Er war nahe daran, das Gespräch abzubrechen, ehe der Gast unnötig viel verriet, als er ihn sagen hörte: »Zur Ausführung dieser schwierigen und delikaten Angelegenheit erhalten Sie eine Million französische Franken Vorschuß. Nach Erfüllung der, hm, Ver- traglichkeit noch einmal eine Million Rubel.«

Das änderte die Sache. Die angebotene Summe konnte als krönender Schlußstein einer glänzenden beruflichen Karriere taugen. Die zauberhafte Kontur von Santa Croce erschien Ahimaaz vor Augen, wenn das Eiland am Horizont vor einem auftauchte: ein steifer Melonenhut, auf grünem Samt drapiert.

»Sie fungieren hier als Vermittler, mein Herr«, sagte er nüchtern und auf deutsch. »Mein Prinzip ist es, mit dem Auftraggeber direkt zu verhandeln. Meine Bedingungen sind die folgenden. Sie überweisen als erstes den Vorschuß auf mein Konto in Zürich. Anschließend treffe ich mich mit dem Auftraggeber an einem von ihm zu bestimmenden Ort, wo er mir die näheren Umstände des Falles schildert. Sollten diese mir aus irgendeinem Grund nicht zusagen, bekommen Sie die Hälfte des Vorschusses zurück.«

Entrüstet klatschte »Baron Eugenius von Steinitz« sich auf den Schenkel. (Am Ringfinger der gepflegten Hand blitzte ein altertümlich gefaßter Saphir.) Doch Ahimaaz war schon aufgestanden.

»Ich rede nur mit der Nummer eins. Oder Sie suchen sich einen anderen Akteur.«

3

Das Treffen mit dem Auftraggeber fand in Sankt Petersburg statt, in einer stillen kleinen Straße, wohin Ahimaaz in geschlossener Kutsche gebracht worden war. Das Gefährt, dessen Fenster dichtverhängt waren, hatte sich auf langen Umwegen dem Ziel genähert. Eine Vorsichtsmaßnahme, für die Ahimaaz nur ein Lächeln übrig hatte.

Er versuchte gar nicht erst, sich den Weg zu merken, wiewohl er die Geographie der russischen Hauptstadt aus dem Effeff beherrschte - Vorjahren hatte es hier einige denkwürdige Verträge zu erfüllen gegeben. Durch eine Ritze zu schielen oder Kurven zu zählen, bestand kein Anlaß. Ahimaaz hatte für seine Sicherheit vorgesorgt: Erstens war er ordentlich bewaffnet, und zweitens hatte er vier Gehilfen im Schlepp.

Bei der Einreise nach Rußland hatten sie im Nachbarwaggon gesessen, jetzt fuhren sie dem Phaeton in zwei Kaleschen hinterher. Sie waren Spezialisten ihres Fachs, und Ahimaaz konnte sicher sein, daß sie weder zu weit zurückbleiben noch unnötig auffallen würden.

Die Kutsche blieb stehen. Der schweigsame Kutscher, der Ahimaaz am Bahnhof in Empfang genommen hatte und, allein schon seiner straffen Offiziershaltung nach zu urteilen, bestimmt kein Kutscher war, öffnete den Schlag und bedeutete ihm zu folgen.

Auf der Straße keine Menschenseele. Vor ihnen ein freistehendes einstöckiges Gebäude. Ohne Prunk, doch gepflegt. Ungewöhnlich für die sommerliche Jahreszeit war nur, daß alle Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen waren. Einer davon bewegte sich. Noch einmal verzogen sich Ahimaaz' schmale Lippen zu einem flüchtigen Lächeln. Diese dilettantische Heimlichtuerei begann ihn zu amüsieren. Aristokraten, die Verschwörung spielten. Sein Begleiter führte ihn durch eine Flucht dunkler Zimmer. Vor dem letzten blieb er stehen und ließ Ahimaaz vorangehen. Kaum war er eingetreten, schlossen sich die Türflügel hinter ihm, er hörte einen Riegel zuschnappen.