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Neugierig blickte Ahimaaz sich um. Ein interessantes Zimmer -vollkommen fensterlos. Ein kleiner runder Tisch und daneben zwei Sessel mit hohen Lehnen als die einzigen Möbelstücke. Wobei die Besichtigung des Zimmers dadurch erschwert war, daß nur eine einzige Kerze brannte, deren schwaches Licht nicht in die finsteren Ecken vordrang.

Ahimaaz wartete, bis die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, um mit geübtem Blick die Wände abzutasten. Es gab nichts Verdächtiges zu entdecken - keine Geheimluken, von wo aus man ihn hätte aufs Korn nehmen können, keine weiteren Türen. In der hinteren Ecke hoben sich die Umrisse eines weiteren Stuhls ab, das war alles.

Ahimaaz nahm Platz in einem der Sessel. Nach etwa fünf Minuten ging die Tür auf, herein kam ein hochgewachsener Mann. Der zweite Sessel blieb jedoch frei - der Mann durchquerte grußlos den Raum und setzte sich auf den Stuhl.

Es zeigte sich, daß der Auftraggeber nicht dumm war. Ein geschickter Schachzug: Ahimaaz war im Licht der Kerze gut zu sehen, von seinem Gesprächspartner, der im tiefen Dunkel saß, sah er das Gesicht nur in Umrissen.

Und im Unterschied zum »Baron von Steinitz« redete er nicht lange um den heißen Brei.

»Sie wollten mit der Nummer eins sprechen«, begann der Mann in der Ecke auf russisch. »Ich habe eingewilligt. Sehen Sie zu, daß Sie mich nicht enttäuschen, Herr Weide. Vorstellen werde ich mich nicht, für Sie bin ich Monsieur N. N.«

Der Ausdrucksweise nach ein Mann der gehobenen Gesellschaft. Der Stimme nach um die Vierzig, vielleicht auch jünger. Jedenfalls eine Stimme, die zu kommandieren gewohnt war; solche klingen immer älter. Die Manieren eines Mannes von Format. Wenn dies also eine aristokratische Verschwörung war, dann eine ernst zu nehmende.

»Bitte legen Sie dar, worum es geht«, sagte Ahimaaz.

Der Schatten nickte.

»Sie sprechen gut russisch«, sagte er. »Man hat mir gesagt, Sie seien früher einmal russischer Staatsangehöriger gewesen. Das erleichtert die Sache. Ich kann mir

überflüssige Erklärungen sparen. Jedenfalls muß ich Ihnen nicht sagen, wie bedeutsam die zu ermordende Person ist.«

Die Geradlinigkeit in der Ausdrucksweise fiel Ahimaaz angenehm auf. Keine Zweideutigkeiten. Kein »beseitigen«, »unschädlich machen«, »neutralisieren«.

Das Folgende kam Monsieur N. N. ebenso glatt und ohne Zögern über die Lippen: »Es geht um Michail Sobolew.«

»Den sogenannten Weißen General? Held der jüngsten Kriege, populärster Heerführer in der russischen Armee?«

»Genau. Generaladjutant Sobolew, Oberkommandierender des vierten Armeekorps«, bestätigte der Schatten leidenschaftslos.

»Bedaure, den Auftrag muß ich zurückweisen«, sagte Ahimaaz höflich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Wissenschaft von den Gesten spricht dieser Pose Ruhe und Entschlossenheit zu. Noch dazu kamen die Finger seiner rechten Hand an den Griff eines kleinen Revolvers zu liegen, für den es in seiner Weste eine spezielle Innentasche gab. Der Revolver trug den Namen »Velodog« und war eigens für Fahrradfahrer erfunden, denen streunende Hunde zur Last fielen. Vier Rundkopfgeschosse, zweiundzwanziger Kaliber. Ein Nippes, keine Frage, aber in Situationen wie dieser durchaus brauchbar.

Die Ablehnung eines Auftrages, nachdem der Name des Opfers gefallen war - dies war ein denkbar gefährlicher Moment. Für den Fall, daß es kompliziert wurde, gedachte Ahimaaz dem Auftraggeber eine Kugel in die Stirn zu pflanzen und in die finsterste Zimmerecke zu springen. Dort würde Ahimaaz nicht so leicht zu greifen sein.

Beim Eintritt ins Haus hatte es keine Leibesvisitation gegeben, so daß sein ganzes sonstiges Arsenal unangetastet geblieben war: Colt (eine Sonderanfertigung nach seinen Vorstellungen), Wurfmesser und spanisches Federmesser. Ungefähr zwei Minuten würde er für sich sorgen können, so viel Zeit hatten seine Leute, um auf die Schüsse hin zu Hilfe zu eilen. Darum also war Ahimaaz, bei aller Wachsamkeit, die Ruhe in Person.

»Sagen Sie bloß, Sie zählen auch zu Sobolews Anhängerschaft?« fragte der Auftraggeber in gereiztem Ton.

»Mit Sobolew habe ich nichts zu schaffen. Ich bin ein Anhänger des gesunden Menschenverstandes. Und der empfiehlt mir, mich nicht auf Aktionen einzulassen, die zwangsläufig die Liquidierung des Ausführenden, in diesem Falle also meiner Person, nach sich ziehen. Eine Aktion dieser Größenordnung darf keine Zeugen haben. Ich rate Ihnen, sich irgendeinen Neuling im Geschäft zu suchen. Ein profaner politischer Mord ist ja nicht so schwer zu bewerkstelligen.«

Ahimaaz war aufgestanden und bewegte sich, behutsam und allzeit schußbereit, in Richtung Tür.

»Setzen Sie sich.« Der Mann in der Ecke wies mit einer gebieterischen Geste auf den Sessel. »Einen Neuling kann ich nicht gebrauchen, ich brauche den besten Mann Ihrer Zunft. Der Fall ist nämlich äußerst schwierig zu bewerkstelligen, das werden Sie noch sehen. Fürs erste möchte ich Sie mit ein paar Tatsachen vertraut machen, die Ihren Argwohn zerstreuen dürften.«

Man spürte, daß Monsieur N. N. es nicht gewohnt war, Erläuterungen zu geben; er mußte sich zurückhalten, um nicht aus der Haut zu fahren.

»Es geht weder um einen politischen Mord noch um eine Verschwörung. Im Gegenteil. Der Verschwörer und Staatsverbrecher ist Sobolew, dem die Lorbeeren des berühmten Korsen keine Ruhe lassen. Unser Held plant einen Militärputsch, nicht mehr und nicht weniger. Beteiligt sind Offiziere seines Korps sowie alte Kampfgefährten, meistenteils Gardisten. Das eigentlich Gefährliche ist, daß Sobolew nicht nur bei der Armee, sondern in allen Schichten der Gesellschaft Popularität genießt. Wir, das heißt, Hof und Regierung, geben Anlaß zur Unzufriedenheit bei den einen, zu blankem Haß bei den anderen. Das Prestige des Herrscherhauses ist nach der peinlichen Hatz auf den Autokraten, die mit seiner Ermordung endete, rapide gesunken. Man hat den Gesalbten des Herrn zur Strecke gebracht wie einen Hasen zur Dackeljagd!«

Die Stimme des Auftraggebers hatte eine düstere Wucht angenommen, was dazu führte, daß hinter Ahimaaz' Rücken sofort die Tür in den Angeln knarrte. Der Mann, dem es einfiel, Hof und Regierung unter »wir« zu verbuchen, winkte unwirsch mit der weiß behandschuhten Hand, worauf die Tür sich wieder schloß. Der Zorn verschwand aus der Stimme, sie erlangte ihre Ruhe zurück.

»Der Plan der Verschwörer ist uns bekannt. Derzeit führt Sobolew militärische Manöver durch, deren eigentlicher Zweck es ist, den Umsturz zu proben. Anschließend wird er in Begleitung seiner Spießgesellen nach Moskau reisen, um dort, fernab von Petersburg, mit einigen der Gardegeneräle zusammenzutreffen, sich ihrer Unterstützung zu versichern und die endgültige Vorgehensweise zu entwickeln. Der Putsch soll in den ersten Julitagen während der Truppenschau in Zarskoje Selo vonstatten gehen. Sobolew beabsichtigt, die Mitglieder der Zarenfamilie >in vorläufige Obhut< zu nehmen - zu ihrem persönlichen Schutz und zur Rettung des Vaterlandes natürlich.«

In der Stimme schwang ein schwerer Sarkasmus.

»Das Vaterland wird als hochgefährdet deklariert, was die Errichtung einer Militärdiktatur unausweichlich macht. Und es gibt ernsthaften Grund zu der Annahme, daß dieses wahnwitzige Projekt in beträchtlichen Teilen der Armee, des Adels, des Kaufmannsstandes und sogar der Bauernschaft Unterstützung findet. Der Weiße General eignet sich für die Rolle des nationalen Erlösers einfach ideal!«

Monsieur N. N. war aufgestanden und schritt, mit den Fingern knackend, längs der Wand auf und ab. Dabei hielt er sich tunlichst im Schatten, sein Gesicht war nach wie vor nicht zu erkennen. Allenfalls glaubte Ahimaaz eine edel geschnittene Nase und üppige Koteletten ausgemacht zu haben.

»Sie sollten wissen, Herr Weide, daß Sie sich im gegebenen Fall keines Verbrechens schuldig machen, denn Sobolew ist von einem Gericht, dem die höchsten Würdenträger des Imperiums angehörten, zum Tode verurteilt worden. Siebzehn der zwanzig von höchster Seite bestellten Geschworenen haben für die Todesstrafe plädiert. Und der Zar hat das Urteil inzwischen bestätigt. Das Gericht trat in geheimer Sitzung zusammen, was seine Legitimität nicht beeinträchtigt. Jener Herr, den Sie für einen Vermittler hielten, war einer der Richter, die im Interesse der internationalen Sicherheit und des Friedens in Europa gehandelt haben. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist Sobolew Kopf der militanten Slawischen Partei. Wenn die die Macht in Rußland an sich risse, führte das unweigerlich zum Krieg mit Deutschland und Österreich-Ungarn.«