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Um einen natürlichen und gänzlich unverdächtigen Tod vorzutäuschen, muß mit Gift gearbeitet werden. Ein Unglücksfall taugt nicht, der ist immer anrüchig.

Wie also dem Objekt das Gift verabreichen, an der Kontrolle vorbei? Wer steht Sobolew näher als Ordonnanz und Kammerdiener?

Anscheinend niemand. In Minsk hat er eine Liebschaft gehabt, ihr hätte er gewiß ohne Kontrolleure aus der Hand gegessen. Doch die Beziehung ist in die Brüche gegangen.

Halt! Der Gedanke geht in die richtige Richtung. Die Nähe eines Mannes gewinnt am ehesten eine Frau - getrost auch eine, die er erst seit kurzem kennt. Vorausgesetzt natürlich, zwischen ihnen ist etwas. Dann bleiben Adjutant und Kammerdiener außen vor.

Gut. Wann hat Sobolew mit seiner Geliebten Schluß gemacht? Vor einem Monat. Also dürfte der Liebeshunger inzwischen zugenommen haben. Während der Manöver war für Amouren keine Zeit, andernfalls stünde darüber etwas im Bericht. Sobolew ist ein rassiger Mann, in der Blüte seiner Jahre. Dabei, ein gefährliches Spiel zu spielen, von dem nicht gewiß ist, wie es für ihn ausgeht.

Ahimaaz' Augen verengten sich zu einem Spalt.

Ihm gegenüber saß eine Dame mit ihrem Söhnchen, einem kleinen Kadetten; mit gedämpfter Stimme bedrängte sie ihn, er solle sich ordentlich benehmen und nicht so zappeln.

»Sei nicht so unmanierlich, Serge, du siehst doch, der Herr arbeitet!« sagte die Dame auf französisch.

Der Junge sah zu dem blonden Mann im vornehmen grauen Anzug hinüber, der irgendwelche langweiligen Papiere auf den Knien ausgebreitet hatte und in einem fort die Lippen bewegte. Bestimmt ein Deutscher.

Jetzt warf der Fremde von unten her einen Blick herüber und kniff eines seiner farblosen Augen zusammen. Erschrocken senkte Serge den Blick.

Ahimaaz war zu einem Schluß gekommen. Der ruhmreiche Achilles hatte eine empfindliche Ferse, kaum sonderlich originell. Doch nicht auf knifflige Lösungen kam es an. Wozu das Pulver neu erfinden. Je einfacher, desto sicherer.

Das logische Gebäude entstand wie von selbst.

1) Der beste Lockvogel für einen kraftstrotzenden, seit längerem enthaltsamen Mann ist ein Frau.

2) Mit Hilfe dieser Frau ist das Objekt am einfachsten zu vergiften.

3) Unzucht gilt in Rußland als schändlich und erst recht unschicklich für einen Nationalhelden. Stirbt der Held nicht auf dem Feld der Ehre oder wenigstens im Lazarett, sondern haucht sein Leben in einem Sündenpfuhl aus, an der Seite einer Geliebten, besser noch einer Hure, dann ist das nach russischem Verständnis a) peinlich, b) komisch und c) einfach dumm. Dergleichen wird einem Helden nicht verziehen.

Das übrige besorgte seine Kamarilla. Die Adjutanten würden sich ein Bein ausreißen, um die verwerflichen Umstände, unter denen der Weiße General sein Leben

gelassen hatte, vor der Öffentlichkeit zu vertuschen. Bei den eigenen Leuten hingegen, im Kreise der Verschwörer, würde sich die Kunde rasend schnell verbreiten.

Dem Zaren führerlos entgegenzutreten war schwer genug - und erst recht, wenn anstelle der Ritterfahne ein beflecktes Laken am Mast wehte. Der Weiße General wäre in den Augen seiner Gefolgschaft kaum mehr so schneeweiß wie zuvor.

Na also! Die Strategie stand fest. Nun ging es an die technischen Details.

Zu den vielen nützlichen Dingen in Ahimaaz' Koffer gehörte ein brauchbarer Satz Präparate und Chemikalien. Darunter der Extrakt eines Farnwurzelsaftes aus dem Amazonasgebiet, der für den Fall das ideal Passende war. Zwei Tropfen der färb- und annähernd geschmacklosen Flüssigkeit genügten, damit ein nur geringfügig er 166

höhter Puls auch bei einem gesunden Menschen zu Atemstillstand und Herzmuskelriß führte. Dabei trat der Tod vollkommen unspektakulär ein, niemandem kam der Gedanke an eine Vergiftung. Und ohnehin waren die Spuren des Gifts schon nach zwei, drei Stunden nicht mehr auffindbar.

Das Mittel wirkte zuverlässig, Ahimaaz hatte es mehr als einmal erprobt. Das letzte Mal im vorvorigen Jahr, als es den Auftrag eines Londoner Tunichtguts auszuführen galt, der sich seines millionenschweren Onkels zu entledigen wünschte. Die Operation verlief glatt und auf erlesene Art. Der liebreizende Neffe veranstaltete zu Ehren seines teuren Verwandten ein Mittagessen, bei dem auch Ahimaaz unter den Gästen war. Der trank mit dem Alten zunächst ein Glas vom vergifteten Champagner, um dem Millionär dann im rechten Moment die Mordgelüste seines Neffen zu hintertragen. Der Alte lief rot an, faßte sich ans Herz und fiel um wie ein gefällter Baum. Vor den Augen Dutzender Zeugen trat der Tod ein. Beim Rückweg ins Hotel achtete Ahimaaz auf sein Schrittmaß, damit das Gift sich in aller Ruhe abbauen konnte.

Damals traf der Anschlag einen alten Mann mit angegriffener Gesundheit. Die Erfahrung hatte gezeigt, daß bei einem jungen Mann im Vollbesitz seiner Kräfte die Wirkung des Präparates erst einsetzte, wenn der Puls sich auf 80-85 Schläge pro Minute erhöhte.

Die Frage stand demnach so: Würde das Blut in den Adern des tapferen Generals auf dem Höhepunkt der Leidenschaft derart in Wallung geraten?

Gewiß würde es das. Nicht umsonst spricht man von Liebesglut. Besonders, wenn das Wesen, dem sie gilt, betörend genug ist.

Blieb also eine Kleinigkeit: die passende Kokotte zu finden.

5

In Moskau nahm sich Ahimaaz instruktionsgemäß ein Zimmer im neuen, mondänen Hotel »Metropol« - als Kaufmann Nikolai Nikolajewitsch Klonow aus Rjasan.

Über eine Nummer, die er von Monsieur N.N. erhalten hatte, telefonierte er mit dessen Moskauer Stellvertreter, der sich mit »Herr Nemo« ansprechen ließ. Ahimaaz war davon abgekommen, sich über die törichten Decknamen lustig zu machen - daß nicht gescherzt wurde, wußte er inzwischen.

»Ja, bitte?« rasselte eine Stimme aus dem Hörer.

»Hier Klonow«, sprach Ahimaaz in den Apparat. »Ich hätte gern Herrn Nemo gesprochen.«

»Ja, bitte!« wiederholte die Stimme.

»Würden Sie bitte ausrichten, daß ich dringend eine Personenbeschreibung von Jekaterina Golowina benötige.«

Ahimaaz mußte den Namen von Sobolews Geliebter noch einmal nennen, dann hängte er ein.

Nun ja. Mit der Konspiration schien es bei den Thronwächtern nicht weit herzu sein. Ahimaaz ließ sich vom Kellner die Telefonliste geben und sah nach, welcher Teilnehmer unter Nummer 211 aufgeführt war. Hofrat Pjotr Parmenowitsch Churtinski, Vorsteher der Geheimkanzlei des Moskauer Generalgouverneurs. Nicht schlecht.

Zwei Stunden später brachte ein Kurier die versiegelte Depesche ins Hotel. Das Telegramm war nur kurz.

Blondes Haar, graublaue Augen, leichte Stupsnase, schlank bis hager, zweiÄrschin, vier Werschok groß, kleine Brüste, schmale Taille, Muttermal auf rechter Wange, Narbe am linken Knie von Reitunfall. N. N.

Muttermal und linkes Knie standen nicht zur Debatte. Hauptsache, der Typ war bestimmt: blond, klein und schlank.

»Hör mal, mein Freund ... wie heißt du eigentlich?«

Der erfahrene Hoteldiener wußte den vagen, beinahe verlegenen Blick, mit dem Nummer neunzehn ihn ansah, auch den Ton, mit dem er ihn ansprach, ohne weiteres zu deuten. Er nahm sein Lächeln zurück - zu viel Verständnis konnte den Gast nur noch mehr verunsichern - und entgegnete: »Timofej, gnädiger Herr. Irgendwelche Dienste gefällig?«

Nummer neunzehn (Kaufmann erster Gilde aus Rjasan, sagte das Register) zog Timofej von der Loge weg zum Fenster und steckte ihm einen Rubel zu.

»Die Zeit wird mir lang, mein Bester. Ich fühle mich einsam, brauchte irgendwie... Belebung.«

Der Kaufmann klapperte mit den weißblonden Wimpern, errötete gar ein wenig. Einen so zartfühlenden Gast hatten sie nicht alle Tage.