Der Hoteldiener breitete die Arme aus.
»Nichts leichter als das, gnä' Herr. Lustige Frauenzimmer hat Moskau im Überfluß zu bieten. Belieben Sie einige Adressen zu erfahren?«
»Nein, nein, keine Adressen. Ich brauchte etwas Besonderes, eine mit... Verständnis. Keine von den billigen«, ermannte sich der Rjasaner, seine Wünsche zu äußern. »Solche gibt es auch.« Und schon begann Timofej sie an den Fingern aufzuzählen:
»In der >Grotte< tritt die Silberne Warja auf - ein schnuckeliges Frauenzimmer, die geht nicht mit jedem. Dann gibt es Mademoiselle Carmencita, eine wirklich sehr moderne Person, mit ihr verabredet man sich per Telephon. In der >Alpenrose< singt
Mademoiselle Wanda, ein Fräulein von Format. In der Französischen Operette gibt es zwei Tänzerinnen, Lisette und Anisette, wirklich sehr beliebt. Kommen wir zu den Schauspielerinnen ... «
Der Neunzehner wurde munter.
»O ja, eine Schauspielerin, das wäre was für mich! Aber eine
nach meinem Geschmack, Timofej. Dicke, mußt du wissen, mag ich gar nicht leiden. Lieber eine schlanke, mit schmaler Taille, mittelgroß. Und blond muß sie sein!« Der Kellner dachte nach.
»Dann ist die Wanda aus der >Rose< die Richtige für Sie«, entschied er. »Blond und mager. Und hat Erfolg bei den Herren. Die anderen sind alle etwas kräftiger gebaut. Nicht zu ändern, gnä' Herr, so ist nun mal die Mode.«
»Erzähl mir mehr über diese Wanda.«
»Eine Deutsche. Edle Manieren. Die weiß, was sie wert ist. Beste Adresse - in einer Suite vom >Anglija<, Eingang separat. Sie kann es sich leisten bei ihren Preisen: fünfhundert Rubel pro Schäferstündchen. Und sie ist wählerisch, läßt nur die an sich ran, die ihr behagen.«
»Fünfhundert Rubel? Oho!« Der Kaufmann schien sich für Wanda zu erwärmen.
»Und wo kann ich sie mir anschauen, diese Wanda? Was ist das denn für ein Lokal, die >Alpenrose<?«
Der Kellner deutete zum Fenster hinaus.
»Das ist ganz hier in der Nähe, in der Sofijka. Sie singt dort so ziemlich jeden Abend. Das Restaurant ist nicht die Welt, wirklich kein Vergleich mit dem unseren oder dem Slawischen Basan. Meistenteils verkehren dort Deutsche, mit Verlaub. Russen gehen nur hin, um Wanda zu sehen. Und wer ernsthaftere Absichten hegt, engagiert sie.« »Wie stellt man das an?«
»Nun, da gibt es manches zu beachten«, breitete Timofej mit Vergnügen sein Wissen aus. »Zuerst bittet man sie zu sich an den Tisch. Aber nicht einfach so, dann kommt sie nicht. Sie müssen ein Sträußchen Veilchen in einen Hunderter einschlagen und auf die Bühne schicken. Dann werden Sie von Mademoiselle aus der Ferne inspiziert. Wenn Sie ihr nicht auf Anhieb zusagen, kommt der Hunderter zurück. Kommt er nicht, heißt das, sie erscheint in Kürze selbst. Was aber nur die halbe Miete ist. Es kann auch sein, sie kommt und setzt sich, schwatzt mit Ihnen über dies und das und tritt am Ende doch den Rückzug an. Dann bleibt der Hunderter bei ihr, sie hat ja ihre Zeit mit Ihnen vergeudet. Es heißt, mit den Hundert-Rubel-Körben verdient sie mehr als mit den Fünfhundertern. So einen Stand hat sie, die liebe Wanda.«
Am Abend saß Ahimaaz in der »Alpenrose«, schlürfte den süffigen Rheinwein und nahm die Sängerin in Augenschein. Fürwahr eine Schönheit, diese Deutsche. Sie glich einer Bacchantin. Das Gesicht hatte durchaus nichts Deutsches an sich - es war frech, übermütig, die grünen Augen mit einem Schimmer von geschmolzenem Silber. Ahimaaz kannte diesen besonderen Glanz, den man nur bei den edelsten
Exemplaren des weiblichen Geschlechts findet. Nicht der prallen Lippen und nicht des zierlichen Näschens wegen wurden die Männer schwach, es war dieses schillernde Silber; der trügerische Glanz blendete sie, brachte sie um den Verstand. Und erst die Stimme! Ahimaaz als ein kenntnisreicher Verehrer weiblicher Schönheit wußte, daß die Stimme den halben Reiz einer Frau ausmacht. Wenn sie so aus tiefer Brust kommt, noch dazu ein wenig aufgerauht von Heiserkeit, wie von Reif belegt oder, im Gegenteil, vom Feuer ausgeglüht - das ist gefährlich. Dann ist es besser, sich wie Odysseus an den Mast zu binden, sonst geht man unter. Nein, dieser Sirene würde der wackere General gewiß nicht widerstehen.
Allzu eilig mußte Ahimaaz es allerdings nicht haben. Heute war erst Dienstag, Sobolew kam am Donnerstag. Er hatte also Zeit, sich Mademoiselle Wanda genauer anzusehen.
Zweimal hatte man an diesem Abend schon mit Blumen um sie geworben. Die einen gingen sofort und unangetastet retour an den Absender, einen feisten Kaufmann im himbeerroten Gehrock, der das Lokal daraufhin polternden Schrittes und lästerlich fluchend verließ.
Das zweite Sträußchen kam von einem Gardeoberst mit Schmiß über der Wange. Die Sängerin schnupperte an den Veilchen und ließ die Banknote in ihrem Spitzenärmel verschwinden, doch an des Gardisten Tisch kam sie erst nach einer ganzen Weile und hielt sich dort nicht lange auf. Ahimaaz konnte nicht hören, worüber die zwei redeten; das Gespräch endete, indem Wanda, den Kopf in den Nacken geworfen, in Lachen ausbrach, dem Oberst ihren Fächer gegen den Arm schlug und ging. Der Gardist zuckte tiefsinnig die Achseln mit den güldenen Epauletten und sandte Wanda nach einiger Zeit noch einen Strauß, den diese jedoch gleich zurückgehen ließ.
Dann aber winkte ein rotbäckiger Blonder von gewiß viel weniger einnehmendem Äußeren als der abgewiesene Offizier die stolze Schönheit lässig mit dem Finger heran, und sie ließ nicht auf sich warten, kam sofort an seinen Tisch. Träge warf der Blonde ein paar Worte hin und klopfte mit seinen kurzen, rotbehaarten Fingern auf das Tischtuch; sie hörte schweigend zu, ohne ein Lächeln, nickte zweimal kurz. Ahimaaz fragte sich, ob das womöglich ihr Zuhälter war. Er sah nicht danach aus.
Um Mitternacht, als Wanda aus dem Seiteneingang des Lokals trat (Ahimaaz hatte draußen Posten bezogen), war es jedenfalls kein anderer als dieser Rotbäckige, der in seiner Kutsche auf Wanda wartete, und tatsächlich stieg sie ein und fuhr mit ihm davon. Ahimaaz folgte ihnen in einem Einsitzer, den er in weiser Voraussicht im »Metropol« gemietet hatte. Sie fuhren über den Kusnezki Most und bogen in die Petrowka ein. Vor einem großen Eckhaus - »Anglija« stand auf dem elektrisch beleuchteten Aushängeschild - stiegen Wanda und ihr Begleiter aus und schickten den Kutscher weg. Zu dieser späten Stunde konnte das nur bedeuten, daß der unsympathische Kavalier bei ihr die Nacht zu verbringen gedachte. Wer war er - ihr Geliebter? Einen allzu glücklichen Eindruck machte Wanda nicht.
»Herr Nemo« würde noch ein paar Auskünfte erteilen müssen.
Um kein Risiko einzugehen und nicht unnötig Zeit zu verlieren, wickelte Ahimaaz seine Veilchen nicht in einen Hunderter, sondern fädelte sie durch einen Smaragdring, den er tagsüber auf dem Kusnezki Most erworben hatte. Geld konnte eine Frau vielleicht verschmähen, ein solches Schmuckstück niemals.
Der Trick funktionierte natürlich. Neugierig besah sich Wanda das Geschenk, mit gleicher Neugier hielt sie Ausschau nach dem Schenkenden. Ahimaaz deutete eine Verbeugung an. Er war in englischem Smoking und weißer Fliege mit Brillantnadel gekommen. Etwas zwischen britischem Lord und neuzeitlichem Unternehmer - die neue kosmopolitische Schicht, die in Rußland ebenso wie in Europa mehr und mehr den Ton angab.
Der unverfrorene Blonde von gestern, über den Ahimaaz inzwischen manches Bemerkenswerte in Erfahrung gebracht hatte, war nicht im Saal.
Als Wanda ihr Lied zu Ende gesungen hatte, kam sie herunter, setzte sich ihm gegenüber und schaute ihn unverwandt an. Auf einmal sagte sie: »Was für klare Augen Sie haben. Wie zwei Bergseen.«
Von diesen Worten zog sich Ahimaaz unversehens das Herz zusammen. Eine verschwommene Erinnerung tat sich auf in ihm, von der Art, wie die Franzosen sie Deja-vu nennen. Er zog die Stirn kraus. Auf derlei Unsinn durfte er nichts geben. Ein Ahimaaz Weide ließ sich von weiblicher List nicht um den Finger wickeln.