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»Nikolai Klonow, Kaufmann erster Gilde, Vorsitzender der Rjasaner Handelsgesellschaft«, stellte er sich vor.

»Nanu?« wunderte sich die grünäugige Grazie. »Wie ein Kaufmann sehen Sie gar nicht aus. Eher wie ein Seemann. Oder ein Räuber.«

Sie lachte rauh, und Ahimaaz geriet zum zweiten Mal aus der Fassung. Daß er wie ein Räuber aussah, hatte ihm noch nie jemand gesagt. Durchschnittlich und gesittet mußte er aussehen - das war die unabdingbare Grundlage seines Berufes.

Und die Sängerin hatte noch mehr Erstaunliches auf Lager.

»Ihre Aussprache klingt auch nicht gerade wie Rjasan«, fügte sie schalkhaft an. »Sie sind nicht zufällig Ausländer?«

In der Tat hatte Ahimaaz' Russisch einen leisen, fast unmerklichen Akzent, einen der Sprache nicht eigenen metallischen Klang, der ihm aus der Kindheit verblieben war - um ihn herauszuhören, brauchte es allerdings ein überdurchschnittlich feines Gehör. Daß eine Deutsche darauf kam, grenzte an ein Wunder.

»Ich habe eine Zeitlang in Zürich gelebt«, sagte er. »Dort hat unsere Kompanie eine Filiale. Leinen und Kattun aus Rußland.«

»Aha. Und was will der Schweizer Kommerzienrat aus Rjasan von mir?« fuhr die Dame unbekümmert fort. »Ein Kommerzchen anbahnen, schätze ich mal? Richtig geraten?«

Ahimaaz gewann die Ruhe zurück. Die Sängerin trieb ihr kokettes Spiel mit ihm, das war alles.

»Vollkommen richtig!« sagte er so ernst und selbstsicher, wie er mit Frauen dieser Sorte zu sprechen pflegte. »Ich hätte Ihnen ein konfidentielles Geschäftsangebot zu unterbreiten.«

Sie lachte und zeigte dabei ihre ebenmäßigen kleinen weißen Zähne.

»Ach ja? Sie drücken sich gewählt aus, Monsieur Klonow. Die Angebote, die ich bekomme, sind ja meistens ziemlich konfidentiell.«

Daran nun konnte sich Ahimaaz sehr gut erinnern: Gleiches, noch dazu mit fast denselben Worten, hatte er vor einer Woche dem vorgeblichen Baron von Steinitz geantwortet. Unwillkürlich mußte Ahimaaz lächeln, wurde jedoch im nächsten Moment wieder ernst.

»Es geht nicht um das, was Sie denken, Verehrteste. Die Rjasaner Handelsgesellschaft, der vorzustehen ich die Ehre habe, hat mich beauftragt, einem verdienstvollen und angesehenen Bürger aus unserer Gegend ein teures und außergewöhnliches Geschenk zu machen. Zwar habe ich bei der Auswahl des Geschenks freie Hand, trage jedoch die Verantwortung dafür, daß es besagten Bürger höchlichst erfreut. Denn bei uns in Rjasan wird dieser Mann geliebt und hoch geachtet. Unser Wunsch ist es, das Geschenk diskret und unaufdringlich zu entbieten. Sagen wir, anonym. Er soll nicht erfahren, daß die Kaufmannschaft seiner Heimatstadt dafür gesammelt hat. Ich habe lange nachgedacht, womit dem Glücklichen, dem das Schicksal allzeit und in jeder Beziehung hold gewesen ist, überhaupt noch eine Freude zu bereiten wäre. Doch nun habe ich Sie gesehen und weiß - eine Frau wie Sie wäre für ihn das größte Geschenk.«

Wer hätte es gedacht: Wanda wurde rot.

»Wie können Sie es wagen!« fauchte sie, und ihre Augen sprühten Blitze. »Ich bin kein Ding, das zu verschenken wäre!«

»Nicht Sie, Mademoiselle, nur Ihre Zeit und Ihre hohe Kunst und Meisterschaft!« versetzte Ahimaaz trocken. »Oder haben Sie mich auf die falsche Fährte gelockt und bieten Ihre Zeit und Ihre Kunst gar nicht feil?«

Haßerfüllt sah sie ihn an.

»Ist Ihnen klar, Herr Kaufmann erster Gilde, daß ein Wort von mir genügt, um Sie in hohem Bogen rauszuwerfen?« Ahimaaz' Lippen lächelten.

»Mich hat noch keiner irgendwo rausgeworfen, Verehrteste. Glauben Sie mir, das ist völlig ausgeschlossen.«

Er beugte sich nach vorn und sagte, der Sängerin tief in die vor Wut funkelnden Augen blickend:

»Kurtisane ist man ganz oder gar nicht, Mademoiselle. Wir sollten eine ehrliche Geschäftsbeziehung eingehen: Leistung gegen Geld. Oder wollen Sie behaupten, daß Sie Ihr Gewerbe zum Vergnügen betreiben?«

Das Funkeln erlosch, und der große, sinnliche Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln.

»Von wegen Vergnügen ... Bestellen Sie Champagner, los. Ich trinke ausschließlich Champagner, müssen Sie wissen, anders ruiniert man sich in meinem ... Gewerbe. Singen werde ich heute sowieso nicht mehr.«

Wanda gab dem Kellner einen Wink, worauf der, augenscheinlich über ihre Vorlieben im Bilde, eine Flasche Clicquot brachte.

»Sie haben recht, Herr Philosoph: Ein bißchen Hure sein zu wollen ist Selbstbetrug.« Sie trank ihr Glas in einem Zug leer, erlaubte aber nicht, es neu zu füllen. Alles verlief nach Plan. Nur eines beunruhigte Ahimaaz: daß er, der von Wanda Auserwählte, nun von allen Seiten mit schrägen Blicken bedacht wurde. Aber das tat nichts. Wenn er das Lokal nachher allein verließ, würde man ihn als den Verlierer des Tages ansehen und gleich wieder vergessen.

»Es passiert selten, daß einer so mit mir redet«, sagte die Sängerin.

Von dem Champagner war ihr Blick nicht klar, sondern traurig geworden.

»Die meisten kriechen vor mir. Anfangs. Hinterher duzen Sie mich und wollen mich zu ihrer Maitresse machen. Können Sie sich vorstellen, was ich will?«

»Ja. Geld. Und die Freiheit, die man dafür bekommt«, erwiderte Ahimaaz beinahe zerstreut; er war mit den Gedanken schon beim nächsten Schachzug.

Verblüfft starrte Wanda ihn an.

»Woher wissen Sie das?«

»Weil es mir selber so geht«, entgegnete er knapp. »Wieviel brauchen Sie denn, um sich am Ende frei zu fühlen?« Wanda seufzte.

»Hunderttausend. Die Rechnung hab ich vor langer Zeit aufgemacht, damals schon, als ich Dummchen mich noch mit Musikstunden über Wasser halten wollte ... Egal. Ich hab lange in Armut gelebt, beinahe am Bettelstab. Bis ich zwanzig war. Dann hab ich mir gesagt: Schluß damit. Ich will reich werden und frei. Das war vor drei Jahren.«

»Und, wie steht es damit?«

»Noch einmal drei Jahre, dann bin ich es.«

»Fünfzigtausend haben Sie also schon?« fragte Ahimaaz lächelnd. Die Sängerin gefiel ihm außerordentlich.

»Exakt!« Sie lachte, nun schon ohne Hohn und Bitterkeit, mit demselben Übermut, mit dem sie ihre Pariser Chansonetten vortrug. Das gefiel ihm genauso: daß sie nicht in Selbstmitleid ertrank.

»Ich könnte Ihnen Ihren Galeerendienst um mindestens ein halbes Jahr verkürzen«, sagte er, während er mit dem silbernen Gäbelchen in einer Auster stocherte. »Die Sammlung unserer Gesellschaft hat zehntausend Rubel ergeben.«

Dem Ausdruck in Wandas Gesicht konnte Ahimaaz entnehmen, daß sie noch nicht in der Stimmung war, kaltblütig abzuwägen, ihn vielmehr im nächsten Augenblick mitsamt seinen Zehntausend zum Teufel jagen würde. Darum beeilte er sich anzufügen: »Lehnen Sie bloß nicht ab, Mademoiselle Wanda, Sie würden es bereuen. Ich habe Ihnen ja noch gar nicht gesagt, um welchen Mann es eigentlich geht. Er ist eine Persönlichkeit. Nicht wenige Damen der feinen Gesellschaft träumen davon, eine Nacht mit ihm zu verbringen, und sie würden es sich einiges kosten lassen.«

Dies war erst einmal genug, damit sie nicht aufstand und ging. Die Frau war noch nicht geboren, deren Stolz größer gewesen wäre als ihre Neugier.

Zornig sah ihn Wanda von unten her an. Doch lange hielt sie es nicht aus.

»Sagen Sie schon, wer es ist!« fauchte sie ihn an. »Was spannt mich dieser Rjasaner Drachen auf die Folter!«

»Es geht um General Sobolew. Gutsbesitzer in Rjasan und ein Achilles auf den Schlachtfeldern der Nation«, eröffnete Ahimaaz mit wichtiger Miene. »Ihn will ich Ihnen schmackhaft machen, keinen schmerbäuchigen Kaufmannssack. Seinetwegen werden Sie eines schönen Tages in Freiheit noch Ihre Memoiren schreiben. Zehntausend Rubel und einen Achilles als Draufgabe - kein übles Geschäft, finde ich.«