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Man konnte es der Sängerin an der Nase ansehen, daß sie mit sich rang.

»Und da wäre noch etwas, das ich Ihnen anbiete«, sagte Ahimaaz - sehr leise nun, beinahe flüsternd. »Ich könnte Sie ein für allemal von der Gesellschaft dieses Herrn Knabe erlösen. Falls Ihnen daran gelegen ist, versteht sich.«

Wanda war zusammengezuckt.

»Wer bist du wirklich, Nikolai Klonow?« fragte sie erschrocken. »Doch kein Kaufmann?«

»Ein Kaufmann, nichts sonst.« Ahimaaz schnipste mit den Fingern nach der Rechnung. »In Leinen, Kattun und Segeltuch. Über meine Informiertheit müssen Sie sich nicht wundern. Die Gesellschaft hat mir einen wichtigen Auftrag anvertraut, und in Geschäftsdingen bin ich nun mal gründlich.«

»Darum hast du gestern so gestarrt, als ich bei Knabe am Tisch saß!« stieß sie unerwartet hervor.

Sie paßt auf! dachte Ahimaaz und wußte einstweilen nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Auch, daß sie ihn inzwischen duzte - das wollte überlegt sein. Sollte er auf Vertraulichkeit setzen oder auf Distanz?

»Und wie willst du es anstellen, daß du mich von ihm erlöst?« konnte Wanda sich die Frage nicht verkneifen. »Du weiß ja nicht mal, wer er ist.«

Im nächsten Moment schien sie sich selbst den Mund zu verbieten.

»Und überhaupt! Woher willst du wissen, daß ich von ihm erlöst werden will?«

»Es steht ganz bei Ihnen, Mademoiselle», sagte Ahimaaz achselzuckend. Distanz schien ihm in diesem Fall doch der effektivere Weg zu sein. »Sagen Sie, was Sie von meinem Angebot halten. Nehmen Sie es an?«

»Von mir aus«, sagte sie seufzend. »Irgendwie habe ich das Gefühl, ich werd dich sowieso nicht los.« Ahimaaz nickte.

»Sie sind eine sehr kluge Frau, Mademoiselle. Ich bitte Sie, morgen abend nicht aufzutreten. Seien Sie ab fünf Uhr zu Hause. Ich komme vorbei, und wir besprechen die Einzelheiten. Und es wäre schön, Sie allein anzutreffen.«

»Darauf können Sie sich verlassen.« Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu, den er nicht zu deuten wußte.

»Betrügst du mich auch nicht, mein Lieber?« fragte sie plötzlich.

Weniger die Worte als die Betonung, mit der sie gesagt wurden, kamen Ahimaaz im selben Moment so vertraut vor, daß ihm das Herz stillzustehen drohte.

Und da fiel es ihm ein.

Es war kein Deja-vu. Genau die gleiche Frage hatte ihm Jewgenija gestellt - vor zwanzigjahren, am Abend vor dem Einbruch ins eiserne Zimmer. Und sie war es auch gewesen, die, als die kleine Shenja, im Waisenhaus zu Skirowsk von seinen klaren Augen gesprochen hatte.

Ahimaaz riß sich den steifen Hemdkragen auf - das Atmen fiel ihm irgendwie schwer.

»Mein Kaufmannswort«, sagte er fest. »Bis morgen also, Mademoiselle.»

Im Hotel erwartete Ahimaaz ein Kurier mit Nachricht aus Sankt Petersburg. Betreffende Person hat Urlaub angetreten. Per Zug nach Moskau unterwegs. Ankunft morgen nachmittag, fünf Uhr. Reservierung Hotel »Dusseaux«, Teatralny Projesd, Zimmer Ng47. Sieben Offiziere Begleitung plus Kammerdiener. Ledernes Portefeuille enthält Ihr Honorar. Erstes Treffen (General Ganezki, Oberkommandierender des Militärbezirks St. Petersburg) angesetzt für Freitag, zehn Uhr. Ich darf daran erinnern, daß dieses Treffen unerwünscht ist. N. N.

Am 24. Juni, einem Donnerstag, wandelte Ahimaaz, gekleidet in einen gestreiften Einreiher, mit einem Canotier auf dem pomadeglänzenden Scheitel, vom frühen Morgen an durch das Vestibül des »Dusseaux«. Mit dem Chefportier, dem Türhüter und dem Pagen, der in dem für den hohen Gast vorgesehenen Appartement Dienst tat, hatte er bereits Kontakt aufgenommen. Zwei Handreichungen waren hierbei nützlich gewesen: die von Herrn Nemo bereitgestellte Visitenkarte eines Korrespondenten der »Moskauer Regierungsnachrichten« zum einen, ein üppiges Trinkgeld (an den Portier erging ein Viertelrubel, zehn Kopeken bekam der Türhüter und drei der Page) zum anderen. Letztgenannter Dreier erwies sich als die einträglichste Investition, denn der Page führte den Reporter heimlich nach N-47. Während Ahimaaz sein oh! und ah! über die luxuriöse Ausstattung kundtat, stellte er fest, nach welcher Seite die Fenster gingen (nämlich auf den Hof, zur Roshdestwenka hin, was gut war), und bemerkte den in die Schlafzimmerwand eingelassenen Tresor. Auch dies ein günstiger Umstand - so mußte er auf der Suche nach dem Geld nicht erst lange herumwühlen. Daß das Portefeuille in dem Tresor seinen Platz finden würde, war klar, und mit dem Schloß (ein denkbar simples der belgischen Marke van Lippen) würde er keine Not haben: Fünf Minuten Handarbeit, und man war drin. Zum Dank für die Gefälligkeit gab der Korrespondent

der »Regierungsnachrichten« dem Diener noch einen Fünfer drauf, allerdings so ungeschickt, daß die Münze zu Boden fiel und unter den Diwan rollte. Ahimaaz nutzte die Gelegenheit, während der Junge auf allen vieren war, den Riegel eines Fensterflügels zu präparieren: Er drehte ihn so, daß er das Fenster gerade noch geschlossen hielt. Ein Stoß von außen, und das Fenster würde aufgehen.

Um halb sechs stand Ahimaaz, den Notizblock des Reporters gezückt, im Pulk der Gaffer und Korrespondenten vor dem Hoteleingang und wohnte der Ankunft des Prominenten bei. Als Sobolew in seiner weißen Uniform aus der Kutsche stieg, wurden einzelne Hurrarufe in der Menge laut; ein bitterböser Blick des Generals und inbrünstiges Abwinken seiner Adjutanten bewirkten jedoch, daß die Ovation abflaute, ehe sie sich ganz entfaltet hatte.

Ahimaaz fand, daß der Weiße General erstaunlich viel Ähnlichkeit mit einem Wels hatte: die wulstige Stirn, die etwas glupschenden Augen, der hängende Schnauzer und die breit auslaufenden Koteletten, die ein wenig an Kiemen denken ließen.

Doch der Vergleich hinkte, denn ein Wels ist träge und gutmütig, der hier aber schaute mit einem so stählernen Blick in die Runde, daß Ahimaaz ihn sofort in die Kategorie der großen Meeresraubfische einordnete. Ein Hammerhai, im mindesten. Als Lotsenfisch vorneweg kam ein wackerer Jessaul geschwommen, der mit grimmigen Schwüngen seiner weißen Handschuhe einen Keil in die Menge trieb. Die Flanken des Generals wurden von je drei Offizieren gedeckt. Der Kammerdiener beschloß die Prozession, kehrte jedoch nach Erreichen der Pforte wieder zur Kutsche zurück, um mit dem Ausladen des Gepäcks zu beginnen.

Schnell hatte Ahimaaz das große und anscheinend recht schwere Portefeuille aus Kalbsleder in Sobolews Hand bemerkt. Wenn das nicht komisch war: Das Objekt führte das Honorar für seine Hinrichtung mit sich.

Die Korrespondenten drängten ihrem Helden ins Vestibül nach - in der Hoffnung, die eine oder andere Frage anzubringen, das eine oder andere Detail zu erhaschen.

Nicht so Ahimaaz. Gemächlich schlenderte er zum Kammerdiener und hüstelte taktvoll, wie um ihn von seiner Gegenwart in Kenntnis zu setzen. Und er preschte mit seinen Fragen nicht vor, wartete vielmehr, bis er auffiel.

Der Kammerdiener, ein schlaffer Greis mit ewig gerunzelten schlohweißen Brauen (Ahimaaz kannte seinen gesamten Lebenslauf, seine Vorlieben und Schwächen, wußte gar von seiner Veranlagung zu einem kräftigen Morgenkater), äugte mißmutig nach dem Geck im Strohhut, würdigte aber zugleich dessen diskretes Benehmen, indem er sich gnädig ein wenig in seine Richtung drehte. »Korrespondent der >Moskauer Regierungsnachrichten<«, ergriff Ahimaaz die gebotene Chance unverzüglich beim Schopf. »Ich mag Seine Hochwohlgeboren nicht mit lästigen Fragen inkommodieren, möchte die Moskauer aber trotzdem gern wissen lassen, mit welchen Vorhaben der Weiße General sich angelegentlich seines Besuchs in unserer altehrwürdigen Metropole trägt? Wer könnte es besser wissen als Sie, Anton Lukitsch!«

»Wissen schon, nur nicht jedem auf die Nase binden«, entgegnete der Kammerdiener schroff, doch man sah, daß er sich geschmeichelt fühlte.

Ahimaaz klappte den Notizblock auf und zeigte damit seine Bereitschaft an, jedes kostbare Wort des Herrn Kammerdiener ehrfürchtig niederzuschreiben. Lukitsch straffte sich zu voller Würde und begann in erhabener Rhetorik: »Für den heutigen Tag ist Erholung anberaumt. Seine Hochwohlgeboren sind nach den Manövern und der Eisenbahnreise rechtschaffen ermüdet. Keinerlei Visiten, keine Abendempfänge und, Gott bewahre, striktestes Zutrittsverbot für die Journaille. Auch Grußadressen und Deputationen vorzulassen ist untersagt. Das Abendessen wünschen Seine Hochwohlgeboren um halb zehn in der Restauration des Hauses einzunehmen.