Выбрать главу

»Glauben oder nicht glauben, das ist kein Argument«, stichelte Karatschenzew. »Lassen Sie Tatsachen sprechen.«

»Bitte schön!« Fandorin ging lächelnd darauf ein. »Nach Mitternacht wird die Tür des Hotels zugesperrt. Es kommt hinaus, wer will. Wer aber herein will, muß schellen.«

»Gut, das ist schon einmal ein Fakt«, gab der General zu. »Aber machen Sie weiter.«

»Der einzige Moment, wo Sobolew hätte unbemerkt zurückkommen können, war, als unser braver Jessaul den P-... Portier nach Selterswasser schickte. Aber wie wir wissen, geschah das im Morgengrauen, also nicht vor vier. Wenn wir Herrn Welling glauben wollen - und warum sollten wir dem ehrenwerten Professor den Glauben verwehren? - dann ist Sobolew zu dem Zeitpunkt schon Stunden tot gewesen. Was läßt sich daraus schließen?« Karatschenzews Augen blitzten.

»Ja, was?«

»Gukmassow hat den Portier weggeschickt, um Sobolews Leichnam unbemerkt ins Hotel zu befördern. Die übrigen Offiziere waren zu der Zeit außer Haus, nehme ich an.«

»Dann muß man diese Schufte ins Gebet nehmen, aber ordentlich!« polterte der Polizeipräsident so heftig, daß man im Nachbarzimmer offenbar aufhorchte - das von dort herüberdringende Gemurmel verstummte jäh.

»Das führt zu nichts. Sie haben sich abgesprochen. Darum sind sie mit der Nachricht vom Tod des Generals erst reichlich spät herausgerückt. So eine Absprache braucht Zeit.« Fandorin ließ sein Gegenüber ein Weilchen zur Ruhe kommen und das Gehörte überdenken, bevor er die Rede auf etwas anderes brachte.

»Wer ist eigentlich diese Wanda, die hier jeder zu kennen scheint?«

»N a, jeder vielleicht nicht, aber in gewissen Kreisen kennt man sie wohl. Eine Deutsche aus Riga. Sängerin, bildschön, nicht gerade eine Kokotte, aber etwas in der Richtung. Ein Kameliendämchen ... Ich sehe, worauf Sie hinauswollen«, ereiferte sich Karatschenzew und nickte energisch. »Diese Wanda wird uns Licht in die Sache bringen. Ich werde Anweisung geben, daß man sie unverzüglich holen läßt.«

Der General ging entschlossen zur Tür.

»Das würde ich nicht raten«, erklang Fandorins Stimme in seinem Rücken. »Was immer vorgefallen ist - vor der Polizei wird die Person ungern auspacken wollen. Und mit den Offizieren steckt sie g-g-... garantiert unter einer Decke. Falls sie überhaupt etwas mit der Sache zu tun hat, versteht sich. Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Karatschenzew, fühle ich ihr selbst auf den Zahn. In meiner partikulären Eigenschaft, ja? Wo finde ich denn das >Anglija<? Stoleschnikow, Ecke Petrowka?«

»Genau. Fünf Minuten von hier.« Der Polizeichef betrachtete den jungen Mann mit sichtlichem Behagen. »Ich erwarte Ihren Bericht, Fandorin. Gehen Sie mit Gott.«

Und der Kollegienassessor, gestärkt durch den Segen seines hochrangigen Vorgesetzten, verließ das Zimmer.

DRITTES KAPITEL,

in welchem Fandorin die Münze werfen läßt

In fünf Minuten zum »Anglija« zu gelangen sollte Fandorin indes nicht gelingen. Auf dem Gang, direkt vor der unseligen Tür, erwartete ihn ein düster dreinschauender Gukmassow.

»Ich hab ein Wörtchen mit Ihnen zu reden«, sagte er zu Fandorin, packte ihn fest beim Ellbogen und führte ihn in ein Zimmer, das gleich neben dem Appartement des Generals lag.

Dieses Zimmer glich dem, welches Fandorin bewohnte, wie ein Ei dem anderen. Auf Sofa und Stühlen hatte eine ganze Gesellschaft Platz genommen. Fandorin ließ den Blick schweifen und erkannte die Offiziere aus dem Gefolge des Toten, die er vorhin noch im Nachbarzimmer gesehen hatte. Mit einer leichten Verbeugung grüßte der Kollegienassessor in die Runde, worauf jedoch niemand einging - die Blicke der Anwesenden waren voll unverhohlener Feindseligkeit. Also verschränkte Fandorin die Arme vor der Brust, lehnte sich gegen den Türrahmen, und seine Miene, eben noch von höflicher Verbundenheit, wurde ebenso kühl und mürrisch.

»Meine Herren«, eröffnete Jessaul Gukmassow in strengem, beinahe festlichem Ton. »Ich darf Ihnen vorstellen: Erast Petrowitsch Fandorin, den zu kennen ich seit dem Türkischen Krieg die Ehre habe. Inzwischen ist er dem Moskauer Generalgouverneur unterstellt.« Und wieder konnte man sehen, daß keiner der Offiziere auch nur ein Nicken für nötig hielt. Fandorin verzichtete 18

gleichfalls auf eine zweite Verbeugung - gespannt, was da kommen mochte. Gukmassow sprach ihn an.

»Dies, Herr Fandorin, sind meine Kollegen Offiziere. Oberadjutant Oberstleutnant Baranow, Adjutant Oberleutnant Fürst Erdeli, Adjutant Stabshauptmann Fürst Abadsijew, Ordonnanz Rittmeister Uschakow, Ordonnanz Kornett Baron Eichholz, Ordonnanz Kornett Hall, Ordonnanz Fähnrich Markow.«

»Das werde ich mir kaum merken«, versetzte Fandorin.

»Wird auch nicht nötig sein«, entgegnete Gukmassow schroff. »Ich habe Ihnen die Herren vorgestellt, weil Sie uns allen eine Erklärung schulden.«

»Schulden?« fragte Fandorin spöttisch zurück. »Sagen Sie bloß!«

»Jawohl, mein Herr. Ich erwarte von Ihnen vor diesen Herren eine Erklärung, wie Sie sich erdreisten konnten, mich in Gegenwart des Polizeichefs einem derart erniedrigenden Verhör zu unterziehen.«

Ungeachtet der Drohung, die in der Stimme des Jessauls schwang, blieb Fandorin die Ruhe in Person, selbst sein übliches kleines Stottern war auf einmal verschwunden.

»Ich erlaubte mir, Ihnen einige Fragen zu stellen, Jessaul, weil der Tod General Sobolews ein Vorfall von nationaler Bedeutung, ich möchte gar sagen, von historischem Rang ist. Punkt eins. Und Sie«, wandte er sich mit einem säuerlichen Lächeln an Gukmassow, »haben uns zum Narren halten wollen, noch dazu nicht eben sehr geschickt - Punkt zwei. Fürst Dolgorukoi hat mir den Auftrag erteilt, in dieser Angelegenheit zu ermitteln - Punkt drei. Und Sie können sicher sein, daß ich die Ermittlungen zum Erfolg führe, so weit werden Sie mich kennen - Punkt vier. Aber vielleicht möchten Sie uns ja irgendwann die Wahrheit erzählen?«

Einer von den kaukasischen Fürsten auf dem Sofa - Fandorin wußte schon nicht mehr, welcher von beiden, er trug eine weiße Tscherkeßka mit silbernem Patronenbesatz -sprang auf.

»Punkt eins-zwei-drei-vier! Meine Herren! Dieser kleine Schnüffler, dieses Milchbübchen macht sich über uns lustig! Prochor, bei der Ehre meiner Mutter, den knöpf ich mir vor!« »Setz dich, Erdeli!« schnarrte Gukmassow ihn an, und der Kaukasier fiel zurück in das Polster, sein Kinn ruckte nervös.

»Ich kenne Sie in der Tat, Fandorin. Ich kenne und ich achte Sie.« Gukmassows Blick war schwermütig und finster. »Und auch der General hat sie immer geachtet. Wenn Ihnen sein Andenken etwas wert ist, dann lassen Sie die Finger von der Sache. Sie machen alles nur noch schlimmer.«

Fandorins Antwort klang ebenso ernst und aufrichtig: »Wenn es nur um mich und meine pure Neugier ginge, ich käme Ihrer Bitte unbedingt nach. So aber, mit Verlaub, habe ich nicht die Wahl. Dienst ist Dienst.«

Gukmassow knackte mit den auf dem Rücken verschränkten Fingern, lief sporenklirrend im Zimmer auf und ab. Schließlich baute er sich wieder vor Fandorin auf.

»Dann habe auch ich nicht die Wahl. Ich kann nicht zulassen, daß Sie Ihre Ermittlungen fortsetzen. Die Polizei von mir aus, aber nicht Sie. Ihre Talente, Herr Fandorin, sind hier völlig fehl am Platz. Seien Sie gewiß, ich werde Ihnen mit allen Mitteln das Handwerk legen, ohne einen Gedanken an unsere gemeinsame Vergangenheit zu verschwenden.«

»Welche Mittel schweben Ihnen vor, Jessaul Gukmassow?«

»Ich weiß ein vorzügliches!« brüllte Oberleutnant Erdeli und war schon wieder auf den Beinen. »Sie, gnädiger Herr, haben die Offiziere des 4. Korps in ihrer Ehre beleidigt, und 19

ich fordere Sie zum Duell. Hier und jetzt! Aug in Aug, auf Tuchfühlung!«

»Soweit ich den Duellkodex kenne«, gab Fandorin trocken zurück, »werden die Bedingungen des Zweikampfs von demjenigen diktiert, der herausgefordert worden ist. Ich spiele, wenn es sein muß, mit Ihnen dieses dämliche Spiel, aber erst, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Sie können mir Ihre Sekundanten schicken, ich wohne in Nö 20. Auf Wiedersehen, die Herren.«