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Genau. Fandorin, so hieß er. Erast Fandorin. Nanu? Mittlerweile Beamter im besonderen Auftrag des Generalgouverneurs?

Andächtig lauschte Ahimaaz dem im Zimmer stattfindenden Gespräch der beiden und versuchte zu verstehen, was diese unvorhergesehene Begegnung zu bedeuten hatte. So viel wußte er: Derlei geschieht nicht zufällig, es war ein Zeichen. Ein gutes oder ein schlechtes?

Ahimaaz war ein gründlicher Mensch, und es drängte ihn, den Schwarzschopf zu töten, auch wenn die vertragliche Frist längst abgelaufen war und der Erdboden die damaligen Auftraggeber verschluckt zu haben schien. Eine Arbeit halbfertig liegenzulassen ist einfach nicht schön. Andererseits war es kein Zeichen von Professionalität, sich von Gefühlen hinreißen zu lassen. Sollte dieser Herr Fandorin seiner Wege gehen. Schließlich hatte der Mann ihm damals - vor sechs Jahren! - persönlich nichts getan.

Dann aber gab der Beamte dem Gespräch eine gefährliche Wendung, indem er auf den Chateau Yquem zu sprechen kam, wodurch Ahimaaz schon wieder bereit war, seinen Entschluß zu revidieren. Herr Fandorin durfte diese Wohnung nicht lebend verlassen. Allerdings setzte Wanda ihn in Erstaunen: Mit keiner Silbe ging sie auf den Rjasaner Kaufmann ein und dessen erstaunliche Kenntnis der Gewohnheiten des seligen Herrn Generals. Schnell brachte sie die Rede auf anderes. Was hieß denn das nun wieder?

Wenig später empfahl sich der junge Mann.

Wanda saß am Tisch, das Gesicht in den Händen vergraben. Sie jetzt zu töten wäre kinderleicht gewesen, doch Ahimaaz zögerte.

Wozu sollte es gut sein? Sie hatte dem Verhör widerstanden, hatte dichtgehalten. Und wenn die Staatsdiener so helle waren, die dilettantischen Konspirationsversuche der Getreuen Sobolews zu durchschauen und Mademoiselle Wanda zu verdächtigen, dann rührte er sie besser erst einmal nicht an. Ein plötzlicher Selbstmord der Zeugin konnte den Verdacht nur bestärken.

Wütend warf Ahimaaz den Kopf zurück. Teufel noch mal! Er mußte sich nicht selbst belügen, das verstieß gegen seine Regeln. Es waren Ausflüchte, die er gebrauchte, um Wanda zu verschonen. Nein, gerade jetzt ließ sich der Selbstmord dieser Frau, der unfreiwilligen Verursacherin einer nationalen Tragödie, am einfachsten erklären: Reue, nervliche Zerrüttung, Angst vor möglichen Folgen. Genug gezögert, an die Arbeit!

Es klingelte erneut. Bei Mademoiselle Wanda gab man sich heute die Klinke in die Hand.

Und auch der nächste Besucher gehörte zu Ahimaaz' Bekannten - allerdings nicht aus grauer Vorzeit, sondern aus diesen Tagen. Der deutsche Spion Hans-Georg Knabe war gekommen.

Schon seine ersten Worte ließen Ahimaaz aus allen Wolken fallen.

»Sie sind unfolgsam, Fräulein Tolle ...«

Das war nun wirklich allerhand. Ahimaaz wollte seinen Ohren nicht trauen. Was denn für ein Präparat? Wie bitte? Wanda hatte den Auftrag gehabt, Sobolew zu vergiften?

«... Gott hält die Hand über unser deutsches Vaterland.«

Es war ein Witz! Oder etwa doch ein riesiger Zufall, den man sich zunutze machen konnte?

Kaum hatte die Tür sich hinter dem Deutschen geschlossen, trat Ahimaaz aus seinem Versteck. Wanda, ins Zimmer zurückkehrend, nahm nicht gleich wahr, daß da jemand in der Ecke stand. Als sie ihn sah, fuhr ihre Hand ans Herz, und sie schrie leise auf.

»Sagen Sie bloß, Sie sind eine deutsche Agentin?« fragte Ahimaaz, ehrlich interessiert - bereit, ihr den Mund zuzuhalten, falls es ihr einfallen würde, Krach zu schlagen. »Sie haben mich fein zum Narren gehalten!«

»Nikolai!« Wanda schlug sich die Hand vor den Mund. »Hast du gelauscht? Wer bist du? Wer ... wer sind Sie?« stammelte sie.

Ungeduldig schüttelte er den Kopf, wie um eine Fliege zu verscheuchen.

»Wo ist das Präparat?«

»Wie sind Sie denn hier hereingekommen?« murmelte sie. »Was haben Sie hier zu suchen?«

Seine Frage hatte sie anscheinend gar nicht gehört.

Ahimaaz faßte Wanda bei den Schultern und drückte sie auf einen Stuhl. Sie sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an, in denen zwei winzige Lampenschirme leuchteten.

»Wir führen ein seltsames Gespräch, Mademoiselle«, sagte er, während er sich ihr gegenübersetzte. »Nur Fragen und keinerlei Antworten. Einer muß anfangen. Meinetwegen bin ich das. Sie haben mir drei Fragen gestellt: Wer ich bin, wie ich hier hereingekommen bin und was ich hier zu suchen habe. Die will ich beantworten. Ich bin Nikolai Klonow. Hereingekommen durch die Tür. Und was ich hier zu suchen habe, müßten Sie sich eigentlich denken können. Ich hatte Sie engagiert, um unserem glorreichen Landsmann Michail Sobolew eine Freude zu bereiten, und er hat nicht nur wenig Freude gehabt, er hat dafür mit dem Leben bezahlt. Soll es damit sein Bewenden haben? Das wäre nicht die 189

korrekte, nicht die kaufmännische Art. Ganz abgesehen von dem verausgabten Geld.«

»Sie kriegen es zurück!« sagte Wanda schnell und sprang auf.

Ahimaaz hielt sie zurück.

»Jetzt geht es nicht mehr nur ums liebe Geld«, sagte er. »Ich habe mir die Zeit vertrieben und ein bißchen zugehört, was Sie mit Ihren Gästen zu besprechen hatten. Und darum weiß ich nun, woher der Wind weht. Mit diesem Herrn Knabe stecken Sie offenbar unter einer Decke - und was für einer! Ich habe das dringende Bedürfnis zu erfahren, Mademoiselle, was Sie unserem Nationalhelden angetan haben!«

»Nichts! Das kann ich beschwören!« Sie fegte zum Nachtschränkchen, kramte darin. »Hier ist die Ampulle, die ich von Knabe bekommen habe. Sie ist unversehrt, sehen Sie? An fremder Leute Spiel beteilige ich mich nicht!«

Tränen rollten ihr über das Gesicht, doch ihr Blick war nicht flehend, hatte überhaupt nichts Erbärmliches. Eine außerordentliche Frau, das mußte man sagen. Sie ließ sich nicht gehen, auch wenn sie böse in der Klemme steckte: die russische Polizei auf der einen, der deutsche Geheimdienst auf der anderen Seite. Und als dritter er, Ahimaaz Weide, der ihr übler mitspielen würde als Polizei und Geheimdienst zusammengenommen. Wovon sie freilich nichts ahnte. Er blickte in ihr angespanntes Gesicht. Ahnte sie womöglich doch etwas?

Ahimaaz schüttelte die Ampulle, hielt sie gegen das Licht, roch am Verschluß. Höchstwahrscheinlich ordinäres Zyankali.

»Seien Sie aufrichtig, Mademoiselle, erzählen Sie mir alles. Seit wann stehen Sie mit dem deutschen Geheimdienst in Verbindung? Was hat Knabe Ihnen aufgetragen?« Mit Wanda ging eine nicht ganz einsichtige Veränderung vor. Sie hatte aufgehört zu zittern, die Tränen trockneten, und in ihr Gesicht trat ein eigentümlicher Ausdruck, der Ahimaaz gestern abend schon einmal an ihr aufgefallen war: als sie gefragt hatte, ob es ihm nicht leid tue, sie einem anderen zu überlassen.

Sie rückte näher, setzte sich auf die Lehne seines Sessels, legte ihm die Hand auf die Schulter. Ihre Stimme war leiser geworden, sie klang müde.

»Ja doch. Ich erzähl dir alles, Nikolai. Restlos alles. Knabe ist ein deutscher Spion. Er kommt seit drei Jahren zu mir. Anfangs war ich noch dumm, wollte so viel wie möglich Geld scheffeln, und er war spendabel. Er war nicht an Liebe interessiert, sondern an Informationen. Wie du weißt, gehen bei mir die verschiedensten Männer ein und aus: Unter, Ober, König, Daus, bis in die höchsten Chargen. Dein Sobolew zum Beispiel. Und im Bett löst sich den Männern gern einmal die Zunge.«

Sie fuhr Ahimaaz mit dem Finger über die Wange.

»Dir würde das wahrscheinlich nie passieren. Aber solche wie dich gibt es selten.

Hast du geglaubt, ich hätte die fünfzigtausend mit Liebe allein verdient? Nein, dafür bin ich viel zu wählerisch, mir muß einer gefallen. Es kam natürlich vor, daß Knabe mich gezielt mit jemandem verkuppelt hat. So wie du mit deinem Sobolew. Ich hab mich auf die Hinterbeine gestellt, aber es hat nichts genützt, er hat mich in die Enge getrieben. Zuerst mit Flötentönen. Von wegen, was haben Sie denn in Rußland verloren, mein Fräulein, Sie sind doch Deutsche, Ihre Heimat liegt anderswo, und Deutschland wird sich für Ihre Dienste erkenntlich zeigen, Sie werden dort in Sicherheit leben können, hier bleiben Sie Kokotte auf Lebenszeit, gleich ob Sie Geld haben oder nicht, in Deutschland hingegen wird keiner von Ihrem Vorleben erfahren. Sobald Sie es wünschen, organisieren wir Ihnen ein Leben in Ehren und Wohlergehen ... Später hat er dann andere Saiten aufgezogen. Er könnte mich am langen Arm verhungern lassen, hat er gesagt, und daß ich mir die deutsche Staatsbürgerschaft gefälligst erst verdienen müßte. Diese dämliche Staatsbürgerschaft kann mir den Buckel runterrutschen, aber ich komme nicht mehr los von denen. Es ist wie eine Schlinge um den Hals. Der bringt es fertig und erschlägt mich, das kostet ihn gar nichts. Als abschreckendes Beispiel. Ich bin ja nicht die einzige, die für ihn arbeitet.«