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Einige Zeit später wurde der oberste Brehon von Muman zum König gerufen.

Colgu bat ihn, sich zu setzen. Colgu kannte Brehon Dathal seit seiner Kindheit; er war schon vor dreißig Jahren am Hof seines Vaters Failbe Flann Richter gewesen. Brehon Dathal machte ein ernstes Gesicht. Man hatte ihn bereits von Eadulfs Freilassung und Bruder Conchobars Bericht in Kenntnis gesetzt. Colgu fragte sich, wie er die delikate Angelegenheit am besten ansprechen sollte.

»Dathal, du bist schon viele Jahre oberster Richter in diesem Königreich«, fing er in freundlichem Ton an.

»Meinst du etwa, daß das zu lange ist?« entgegnete Dathal schroff.

»Ein jeder gelangt einmal an den Punkt, wo er nicht mehr so jung und tatkräftig ist. Auch mir wird das eines Tages so ergehen. Ich hoffe, daß ich selbst erkenne, wann es soweit ist, und mich dann in den verdienten Ruhestand zurückziehe.«

»Ruhe ist etwas für Kühe, mein König. Nichts für Menschen.«

Colgu lächelte. »Hat Horaz nicht geschrieben, daß man ein altes Pferd rechtzeitig aus dem Rennen nehmen sollte, sonst strauchelt es und wird zum Objekt des Mitleids und des Spotts der Zuschauer?«

Brehon Dathal reagierte gereizt.

»Ich habe einen Fehler gemacht, das ist alles. Darf einem Richter nicht auch mal ein Versehen unterlaufen? Es ist niemand zu Schaden gekommen, und der Sachse ist frei.«

»Der Sachse ist der Mann meiner Schwester, Brehon Dathal«, erklärte Colgu. »Und du mußt ihm eine Entschädigung zahlen.«

»Ich kenne die Entschädigungsgesetze.«

»Das bezweifle ich auch nicht«, erwiderte Colgu. »Denke daran, Eadulf von Seaxmund’s Ham mag vielleicht ein Fremder sein, aber in seinem Land genoß er ein hohes Ansehen. Er war gerefa per Erbfolge, ein Richter in seinem Volk.«

»Per Erbfolge!« höhnte Brehon Dathal. »Wie kann man die Fähigkeiten eines Richters ohne Studium erben?«

»Die Sachsen haben eben andere Bräuche«, murmelte der König. »Worauf ich jedoch hinaus will, ist, daß Eadulf Respekt verdient, wenn nicht um seiner selbst willen, dann um meiner und meiner Schwester willen.«

Brehon Dathal schwieg.

»Brehon Dathal, wir kennen uns schon lange. Überdenke deine Position sorgfältig. In jüngster Zeit ist dir mehr als nur ein Irrtum unterlaufen.«

Brehon Dathal schob angriffslustig das Kinn vor.

»Willst du mir damit sagen, daß ich nicht mehr zum Brehon tauge?«

»Ich will damit sagen, daß es für dich an der Zeit ist, sich zur Ruhe zu setzen und die Arbeit anderen zu überlassen. Bleibe in Cashel, wenn du willst. Sei mein Berater. Doch es ist an der Zeit, dir die Anstrengung zu ersparen, eine Gerichtsverhandlung zu leiten.«

»Wen würdest du für dieses Amt vorschlagen ... Deine Schwester?« Dathals Stimme klang provozierend.

Colgu schüttelte den Kopf. »Fidelma ist für dieses Amt nicht qualifiziert, außerdem strebt sie es gar nicht an. Sie ist nur eine anruth, wie du wohl weißt. Um das Amt eines Brehon ausüben zu können, müßte sie weitere zwei oder gar vier Jahre studieren und den Grad einer rosai oder einer ollamh erwerben.« Das war die höchste Qualifikation, die man erreichen konnte. »Du bist ein Mann von großer Erfahrung und Weisheit. Wen würdest du zum neuen obersten Brehon vorschlagen?«

Brehon Dathal schien ein wenig beschwichtigt zu sein. Colgu wartete geduldig. Der Alte zögerte. Dann hatte er sich scheinbar in das Unvermeidliche geschickt.

»Nun, da gibt es einen rosai namens Baithen, den ich für sehr geeignet halte.«

Colgu lächelte zufrieden. Er schonte die Gefühle des alten Mannes und verriet ihm nicht, daß er bereits nach Brehon Baithen geschickt hatte, der gerade eine Anhörung in Lios Mhor geleitet hatte. Baithen hatte auch dreimal die Berufungsverhandlungen gegen Dathal geführt und dessen Urteil aufgehoben.

»Ich habe schon von ihm gehört. Das ist eine gute Wahl.«

»Er gewinnt zusehends an Ansehen«, stimmte ihm Brehon Dathal zögernd zu. »Er ist sehr talentiert.«

»So werden wir ihn bitten, das Urteil in der Mord-sache an Sarait und allem, was damit zusammenhängt, zu sprechen.«

Brehon Dathals Stirn legte sich in Falten.

»Deine Schwester glaubt also, daß die Ui Fidgente mit Saraits Tod und der Entführung des Babys nichts zu tun haben?«

»Sie hat neue Fakten zusammengetragen und wird entsprechende Argumente vorbringen. Eadulf hat uns auch interessante Beweise mitgebracht. Der Fall wird unter Brehon Baithen verhandelt werden.«

Die Schultern des alten Mannes sackten zusammen.

»Deine Schwester ist mir wegen dieser Sache mit Bischof Petran nicht gerade wohlgesonnen.«

»Ich bin sicher, daß auch sie der Meinung ist, daß du nach deinem Gewissen gehandelt hast, mein alter Freund. Du hattest nur nicht von allem Kenntnis.«

Colgu wußte, daß dies nicht ganz der Wahrheit entsprach und nicht mit dem übereinstimmte, was Bruder Conchobar sagte, aber er wollte die Würde des alten Richters wahren.

Wieder schwiegen beide. Colgu fühlte sich ein wenig erleichtert, als sich der alte Mann schließlich langsam erhob.

»Mit deiner Erlaubnis, mein König, werde ich mich in meine Räume zurückziehen und ein wenig ausruhen.«

Colgu entließ ihn mit einer Handbewegung.

Mit gesenktem Haupt ging der Richter aus dem Audienzsaal und schloß hinter sich die Tür.

Colgu blieb noch ein Weile sitzen und seufzte. Vor zwei Jahren erst hatte er den Thron bestiegen. Zuvor war er mehrere Jahre lang unter der Regentschaft seines Cousins Cathal Thronanwärter gewesen, bis dieser an Gelbfieber verstarb. Zum erstenmal in seiner Laufbahn war er nun gezwungen gewesen, einen seiner engsten Berater zu entlassen, einen, der schon seinem Vater und seinem Cousin gedient hatte .

Colgu nahm von dem kleinen Tisch einen Krug corma und schenkte sich etwas ein. Es war die Pflicht eines Königs zu begreifen, daß die Zeit voranschritt. Daß das Volk voranschreiten mußte. Das war unvermeidlich. Mit dem Amt des Herrschers hatte er Pflichten übernommen. Wenn ein König nicht handelte, respektierte man ihn nicht. Wenn er mit zu fester Hand regierte, würde man ihn absetzen. Wenn er zu schwach war, würde man über ihn hinweggehen. Vor allem mußte er mit Weisheit und Geschick herrschen. Denn wenn er sich klüger als andere gab, würde man zu hohe Erwartungen an ihn stellen. Wenn er sich dümmer gab, würden ihn die Leute täuschen. Es gab jedoch immer einen Mittelweg. Darin lag die Kunst des Regierens.

Kapitel 18

Eadulf lag auf dem Bett, hatte die Hände auf dem satten Bauch gefaltet und seufzte tief.

»In den letzten Tagen gab es Augenblicke, da habe ich nicht mehr damit gerechnet, jemals wieder auf diesem Bett zu liegen.«

Fidelma kniete vor dem Kaminfeuer und schenkte sich Glühwein ein. Sie stand auf und ging zum Kinderbett hinüber. Alchu schlief friedlich.

»Ich auch nicht, Eadulf. Ich habe auch nicht mehr damit gerechnet, unseren Kleinen wiederzusehen.« Sie schaute ihn besorgt an. »Wenn man etwas verliert, wird einem erst bewußt, wie wertvoll es einem war.«

Eadulf richtete sich auf. Einen Moment lang fragte er sich, ob Fidelmas Gesicht von der Hitze des Feuers oder vom Glühwein so gerötet war. Ehe er etwas äußern konnte, redete Fidelma weiter, als wollte sie ihre Gedanken übertönen. »Ich habe mir inzwischen alles angehört, was Corb und Corbnait zu erzählen hatten. Alchu scheint nicht entführt worden zu sein. Es war einfach Zufall, daß die beiden ihn mitnahmen, denn sie meinten, er sei im Wald ausgesetzt worden.«

»Uamans Rolle in der Geschichte war aber kein Zufall.«

Nachdenklich senkte Fidelma den Kopf. »Ich habe mich mit Gorman unterhalten. Colgu hat schon jemanden von seiner Leibgarde zu Fiachrae geschickt, um ihn hierher zur Prüfung seines Verhaltens zu holen. Vielleicht können wir einen von den Ui Fidgente zu dem Geständnis bringen, daß sie mit Fiachrae gemeinsame Sache gemacht haben. Aber das eigentliche Rätsel bleibt. Wer hat Sarait ermordet und diese Kette von tragischen Ereignissen ausgelöst?«