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Mart riss sich die Pfeife aus dem Mund. In seinem Gesicht mit grauen Bartstoppeln malte sich Empörung. »Bist du … Nein, du bist doch nicht etwa der neue Schupo, der Niklas Asmus?« Mit offenem Mund erforschte er Asmus’ Äußeres von der Schirmmütze bis zu den gummibesohlten Schuhen. »Warum haben Sie sich nicht gleich zu erkennen gegeben?«

Asmus runzelte verständnislos die Stirn. »Was heißt denn zu erkennen gegeben?«

»Na ja, Sie hätten ja wie jeder Schupo in Uniform sein können …«, murmelte Mart ein wenig verlegen. »Auf jeden Fall werden wir dann wohl öfter noch das Vergnügen miteinander haben.« Abrupt drehte er sich um und stakte eilends zum Fährhaus zurück.

»Das werden wir wohl.« Asmus sah ihm verblüfft nach.

Aus dem Haus war inzwischen ein weiterer Mann getreten, dem eine Schirmmütze einen offiziellen Anstrich verlieh. Beide steckten die Köpfe zusammen und besprachen sich.

Asmus merkte, dass er Gegenstand ihrer getuschelten Konferenz war. Womit hatte er sich denn Abfuhr und Aufmerksamkeit von Syltern verdient, kaum dass er die Insel betreten hatte?

Diese Frage würde er später klären. Jetzt hatte er gehörigen Hunger.

Erst einmal schlug er sich drei Eier in die Pfanne, die er beidseitig briet, dann setzte er sich ins Cockpit und betrachtete während des Essens die Umgebung, die für eine Weile seine neue Heimat sein würde.

Außer dem Fährhaus, drei Bauernhöfen und zwei kleineren Häusern gab es einen markanten Hügel. Auf ihm hätte laut Segel-Handbuch eine Mühle stehen sollen, ein Ansteuerungsmerkmal für einsegelnde Fahrzeuge. Schon in der Rinne hatte er sie vermisst. Offensichtlich war die Mühle inzwischen abgerissen worden. Um den Fuß des Hügels führten die Schienen einer Schmalspurbahn herum, die am Fährhaus vor zwei Puffern endete.

Der größte Gebäudekomplex war eine Werft neben dem Hafenbecken, in der, den Geräuschen nach zu urteilen, lebhaft gearbeitet wurde. Zwei Kutter waren auf der Helling aufgepallt, und davor lagen im Wasser mehrere ähnlich aussehende Arbeitsboote im Päckchen. Möglicherweise Austernfischer, denn die Fangsaison war gerade zu Ende gegangen.

Mehr gab es anscheinend nicht zu sehen, nur Sand und Gras.

Ein Lüttfischer verließ den Hafen, um Netze oder Reusen auszulegen, und danach war nur das Ping-Ping von Hammerschlag auf Eisen zu hören. Die sanfte Brise hatte sich gelegt, und insgesamt machte die Welt hier einen friedlichen Eindruck.

Es war früher Nachmittag, als Asmus angelegt hatte. Da der Hafen inzwischen teilweise trockengefallen war, war ihm klar, dass heute keine Fähre mehr erwartet würde.

Verkehrte der Zug nach Westerland möglicherweise trotzdem? Vielleicht für Badegäste, die sich für den Hafen oder die Werft interessierten? Nicht allzu beflissen, an diesem sonnigen Maitag in seine neue Dienststelle zu gelangen, schlenderte Asmus zum Fährhaus hinüber, wo er nach Anschlägen für die Fährzeiten und die Zugverbindung nach Westerland suchte. Immerhin gab es sie.

»Die Fähre verkehrt tidenabhängig und nach Bedarf (im Winter unregelmäßig), die Fahrzeiten der Dampfspurbahn richten sich in der Regel nach den Fährzeiten«, las er und war damit so schlau wie zuvor.

Der Mann, mit dem Mart konferiert hatte, trat aus der nächsten Tür, worauf er mit der Hand die Augen beschattete und gewissenhaft über den Hafen spähte, als ob er die vielen Neuankömmlinge zu zählen hätte.

Asmus grinste. »Kein neues Boot außer meinem«, bemerkte er launig. »Franziska aus Rostock. Kannst du mir sagen, ob heute noch ein Zug nach Westerland geht?«

Der Kerl zählte und zählte. Als er endlich sicher zu sein schien, dass es sich nur um drei Fischerboote am Anleger handelte, wandte er sich ab und verschwand wieder im Haus.

Er musste taub sein.

Dann fiel Asmus aber ein, wie er die beiden Männer im Gespräch gesehen hatte. Beide schienen eine unüberwindliche Abneigung gegen Schupos zu besitzen.

Er fragte sich, ob Sylt ihm wirklich gefallen würde.

Eine neue Suche in den Anschlägen an der Wand bescherte ihm wider Erwarten endlich eine handfeste Information. »Für unsere mit dem Rad fahrenden Gäste«, stand da. »Die Entfernung nach Westerland beträgt 4,2 km, bei West- und Südwestwind das Doppelte.«

Die Uhr sagte Asmus, dass die Wanderung nach Westerland am Spätnachmittag sich erübrigte, denn er würde erst nach Feierabend der Polizei ankommen. Zwar sollte die Wache besetzt sein, aber sicherlich nicht mit seinem neuen Vorgesetzten.

Asmus war nicht böse darüber. Er beschloss, selber Feierabend zu machen.

Am nächsten Vormittag schaukelte ihn die Kleinbahn durch welliges Dünengelände nach Westerland. Neben den Gleisen verlief ein Weg, in Hafennähe bestand er größtenteils noch aus Dünensand, später führte er als Karrenspur auf festerem Untergrund weiter. Vermutlich war dies der alte Kutschenweg, auf dem die Badegäste vor dem Bau der Eisenbahn geholt und gebracht worden waren.

Asmus beschloss spontan, sich für seinen Weg zum Dienst ein Motorrad zuzulegen. Seine ehemals reiche Familie in Rostock, die unter seinen zwei Brüdern zwei ebenfalls ehemals große Reedereien betrieb, würde ihm unter die Arme greifen müssen. Leider waren viele ihrer Schiffe im Krieg Opfer der feindlichen U-Boote geworden, oder sie waren als Kriegsbeute konfisziert worden. Trotzdem würden die älteren Brüder ihre Dankbarkeit, dass Niklas mit seinem losen Mundwerk ihre behutsame Geschäftspolitik nicht mehr gefährden konnte, handfest unter Beweis stellen müssen.

Wie bei vielen gutgestellten Bürgern galt die Loyalität der Reederfamilie Asmus dem Freistaat Mecklenburg-Schwerin. Seltsamerweise war Niklas Asmus ohne Angaben von Gründen in den Freistaat Preußen versetzt worden, wozu Sylt gehörte. In diesen turbulenten Zeiten war es nicht klug, auf der Rechtfertigung oberer Chargen zu bestehen, denn eine aufmüpfige oder gar kritische Haltung war in der Weimarer Republik demokratiefeindlich, und deshalb hatte Asmus – auch auf Anraten seiner Brüder – darauf verzichtet.

Stattdessen hatte er sich über das preußische Polizeiwesen erkundigt, so gut er es zu durchdringen vermochte. Das war noch komplizierter und politischer ausgerichtet als das von Mecklenburg. Die preußische Polizei war ebenso wie die von Mecklenburg mit Beginn der Weimarer Republik gründlich umstrukturiert worden. Ausschließlich Republikaner stiegen dort in führende Positionen auf, und das verhieß für Asmus nichts Gutes.

Wahrscheinlich vor allem Flaschen, dachte Asmus und ballte erbittert die Fäuste wegen der Flasche, die es in seiner Rostocker Dienststelle vom Untergebenen zu seinem Vorgesetzten gebracht und sich seiner schleunigst entledigt hatte.

Unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft verdrängte er seinen Zorn, betrachtete die flachen Sandhügel neben der Bahnlinie und sah im Hintergrund die Umrisse des Städtchens Westerland, seinem neuen Arbeitsort, wachsen.

Nicht weit vom künftigen Reichsbahnhof, dessen Baulärm in alle benachbarten Straßen drang, befand sich in der Feldstraße die Polizeidienststelle in einem einstöckigen roten Backsteinhaus. Hinter der Flügeltür roch es feucht und schimmelig. Ein Schild wies zur Wache, und dorthin wandte Asmus sich.

»Ich möchte Herrn Sinkwitz sprechen«, verlangte er von dem Uniformierten, der jenseits des hohen Tresens saß und von dem nur der Kopf unter einer Uniformmütze zu sehen war.

Nach einer Weile blickte dieser auf. »Moin erstmal. Und warum möchten Sie mit Hauptwachtmeister Sinkwitz sprechen?«

»Ich soll mich bei ihm melden«, antwortete Asmus steif. »Ich trete heute meinen Dienst hier an.«

»Sie?«

»Ich.«

»Ich, Herr Oberwachtmeister«, korrigierte der Diensthabende. »Oder: ich, Oberwachtmeister Jung.«