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Dann waren die Männer auseinandergegangen. Gus Hoffmann war erst gegen ein Uhr morgens nach Hause gekommen. Er hatte wenig Hoffnung auf Schlaf, aber dann erinnerte er sich daran, daß irgendwo in einem Schrank im Wohnzimmer noch eine fast volle Flasche Whisky stehen mußte. Eigentlich trank er kaum – nur ab und zu einen Schluck, um nicht ungesellig zu erscheinen. Aber heute nacht brauchte er dringend eine Ablenkung. Diese Nacht war die schlimmste seines Lebens – schlimmer noch als die andere, in der seine Frau gestorben war.

Alle seine Hoffnungen konzentrierten sich damals auf Tommy. Hoffmann zeigte seine Gefühle niemals offen, deshalb hätte er seinem Sohn gegenüber nicht zugegeben, wie sehr er sich darüber freute, daß Tommy und Charlotte in Zukunft bei ihm wohnen wollten. Er hatte sich Enkel gewünscht, aber jetzt würde er doch keine bekommen; er war ein einsamer Mann ohne Verwandte und ohne weitere Nachkommen.

Falls ... Nach dem dritten Glas faßte er plötzlich wieder Hoffnung. Falls sein Enkel nicht bereits unterwegs war. Charlotte konnte schwanger sein, ohne es zu wissen.

Plötzlich konnte er seine Ungeduld kaum noch bezähmen – er wollte es sofort wissen. Er stand auf, um an das Telefon zu gehen. Dann ließ er sich wieder auf seinen Stuhl fallen, als ihm klar wurde, daß er die Garners nicht mitten in der Nacht mit dieser Frage überfallen durfte. Eigentlich durfte er sie ihnen überhaupt nicht stellen. Nein, er mußte geduldig abwarten – und hoffen ...

In der Zwischenzeit konnte er bereits Pläne für die Zukunft machen und darüber seinen Schmerz und seine Einsamkeit ein wenig vergessen. Falls Charlotte ein Kind erwartete, würde ihr Vater bestimmt seine Farm verkaufen und fortziehen. Er hatte dies bereits vor, wenn die Nachbarn gehässig über seine Tochter reden sollten – und das würde jetzt bestimmt der Fall sein, denn man würde ihr eine Liebesaffäre nachsehen, aber nie ein uneheliches Kind.

Nun, dann würde Gus Hoffmann seine Farm ebenfalls verkaufen und mit den Garners fortziehen. Egal wohin. Vielleicht konnte er Garner dazu überreden, daß sie gemeinsam eine Farm kauften, so daß Gus in der Nähe seines Enkels bleiben konnte. Oder seiner Enkelin, denn er war sogar damit zufrieden.

Wenn Jed seine Farm für sich allein haben wollte, würde Hoffmann sich selbst eine kaufen, die möglichst in der Nähe lag. Vielleicht sogar die Nachbarfarm, falls sie für Geld und gute Worte zu haben war. Der Preis spielte Gott sei Dank keine Rolle; Hoffmann hatte zwölftausend Dollar auf seinem Bankkonto, wozu noch der Verkaufspreis für seine Farm kam. Und dafür hatte er bereits einige ausgezeichnete Angebote erhalten.

Als er den Whisky ausgetrunken hatte, stellte er zu seiner Überraschung fest, daß er zum erstenmal in seinem Leben richtiggehend betrunken war. Er torkelte durch das Zimmer, wobei er sich immer wieder an den Möbeln festhalten mußte, und ließ sich auf das Sofa fallen. Dann wurde ihm schwarz vor den Augen.

Das war letzte Nacht.

Und jetzt schien draußen wieder die Sonne. Hoffmann war so früh wie immer aufgewacht, hatte Kaffee gekocht und eine Portion Rührei zum Frühstück gegessen. Dann machte er sich an die Arbeit, melkte die Kühe und stellte die Kannen vor das Haus, wo der Lieferwagen der Molkerei sie jeden Morgen abholte. Die andere Arbeit konnte ohne weiteres bis nachmittags liegenbleiben, denn zunächst wollte er noch etwas erledigen, das ihm wichtiger erschien.

Wieder nahm er Bucks Leine und Tommys Socke mit, rief den Hund zu sich und ging über die Felder zu Jed Garners Farm.

Garner arbeitete in dem Weinen Gemüsegarten hinter dem Haus. Als Hoffmann näherkam, richtete er sich auf und lehnte sich auf seine Hacke.

»Morgen«, grüßte Hoffmann. »Wie geht es Charlotte?«

»Sie schläft hoffentlich noch. Gestern konnte sie lange nicht einschlafen. Was hast du vor, Gus?«

»Ich bin nur vorbeigekommen, weil ich dir sagen wollte, wohin ich gehe. An die Stelle zurück, wo ... wo wir gestern waren.«

»Warum?«

»Ich möchte mich noch einmal bei Tageslicht umsehen. Zuerst an der Stelle, wo wir Tommys Kleidungsstücke gefunden haben, und dann an der anderen, wo er plötzlich aus dem Gebüsch auftauchte. Vielleicht haben wir etwas übersehen – die Laternen waren nicht sehr hell. Ich weiß es nicht, aber ich möchte danach suchen, bevor die Jury zusammentritt.«

»Klingt vernünftig«, stimmte Garner zu.

»Ich habe Buck mitgenommen, weil ich herausbekommen möchte, wo Tommy überall gewesen ist, bevor wir ihn gesehen haben. Wahrscheinlich hilft das auch nichts, aber ich will es trotzdem wissen.«

»Ich komme mit«, sagte Garner plötzlich. »Vier Augen sehen mehr als zwei. Außerdem kann ich mich sowieso kaum auf die Arbeit konzentrieren – dir geht es vermutlich genauso. Wartest du einen Augenblick auf mich? Ich muß erst meiner Frau Bescheid sagen, damit sie sich keine Sorgen macht, wenn ich auf einmal fort bin.«

Gus Hoffmann wartete, bis sein Freund wieder zurückgekommen war, und ging dann neben ihm her die Straße entlang.

Der Parasit machte sich keine Sorgen, aber er ärgerte sich über sich selbst, weil er seinen ersten menschlichen Wirt unüberlegt zum Selbstmord getrieben hatte. Später war ihm eingefallen, daß er zu voreilig gehandelt hatte. Sicher, er mußte die beiden Männer von der Höhle fortlocken, aber dann hätte sein Wirt sich nicht die Pulsadern aufschneiden müssen. Er hätte sich schlafend oder bewußtlos stellen können, wenn ihn die Männer schließlich fanden. In diesem Fall hätte niemand das Märchen von dem Gedächtnisschwund geglaubt, aber immerhin hätte auch dieser Anfall zeitweiliger geistiger Umnachtung nicht für eine Einweisung in eine Irrenanstalt genügt. Davor hatte der Parasit Angst gehabt, deshalb mußte Tommy Selbstmord begehen – hinter Gittern wäre er als Wirt untauglich gewesen; und der Parasit wußte zudem aus Tommys Gedächtnis, daß derartige Anstalten alle möglichen Vorkehrungen trafen, um Selbstmorde unter den Insassen zu verhindern. Folglich hätte er längere Zeit in Tommy zubringen müssen. Und ein verhinderter Selbstmordversuch hätte in der Gummizelle geendet, wo jeder weitere Versuch aussichtslos war.

Aber jetzt wußte er, daß Tommy nicht eingesperrt worden wäre – nicht wegen eines einzigen kurzen Anfalls. Allerdings wäre er beobachtet worden, aber weder allzu lange noch übermäßig genau, wenn er sich weiterhin normal benommen hätte. Selbstverständlich hätte man ihn zum Arzt geschickt, der vermutlich einen Psychiater empfohlen hätte. Aber das wäre nur gut gewesen, nachdem es weder in Bartlesville noch in Wilcox einen Psychiater gab, so daß Tommy zu diesem Zweck nach Green Bay oder sogar Milwaukee hätte fahren müssen. In beiden Städten mußte es Büchereien geben, und wenn Tommy ein wenig Zeit für sich selbst gehabt hätte – oder sogar ausgerissen wäre, falls ihn jemand begleitet hätte –, wäre er ohne weiteres in der Lage gewesen, seine Kenntnisse auf einigen wichtigen Fachgebieten zu vertiefen.

Ja, wie Tommy es ausgedrückt hätte, die Sache hatte nicht ganz hingehauen. Aber trotzdem lag die Schuld dafür nicht allein bei ihm, denn niemand konnte erwarten, daß er sofort das Wesentliche einer ihm fremden Kultur aufnehmen würde. Besonders dann nicht, wenn er seine Informationen nur dem Wissen eines nicht übermäßig gebildeten und nicht allzu intelligenten Oberschülers verdankte, der sich im Grund genommen nur für landwirtschaftliche Probleme interessierte.

Der größte Nachteil seiner gegenwärtigen Lage – auch wenn sie genügend Sicherheit zu bieten schien – lag darin, daß er von hier aus kaum einen anderen menschlichen Wirt erreichen konnte. Von Zeit zu Zeit kamen zwar Jäger in diese Gegend, aber die Aussichten dafür, daß sie sich in einem Umkreis von vierzig Metern von der Höhle entfernt zum Schlafen niederlegen würden, waren äußerst gering.