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Dann bedeckte er den Hörer mit der Hand, sah wieder Dobrynin an und sagte in verändertem, weniger höflichen Ton:

„Pawel Aleksandrowitsch, gehen Sie auf den Flur hinaus!“

Pawel wich zurück und verließ das Zimmer.

„Wo denken Sie hin?“, redete Viktor Stepanowitsch auf jemanden so laut ein, dass seine Stimme sogar durch die geschlossene Zimmertür drang. „Wem glauben Sie da! Das ist doch ein bekannter Halunke! Ja, gut, ich werde antworten. Vor allen.“

Pawel wollte kein fremdes Gespräch mithören, auch keinen Teil davon, und so beschloss er zunächst, zurück in das große Zimmer zu gehen, als er auf eine andere Tür weiter hinten im Flur aufmerksam wurde. Er ging auf sie zu und stieß sie vorsichtig auf, so als ob er selbst dort Gast wäre. Die Tür ging auf und Pawel sah durch den Spalt auf ein breites Bett und auf zwei Nachtkästchen, auf denen jeweils eine Vase mit Blumen stand. Das Erstaunlichste war – im Bett schlief eine Frau. Sie schlief mit dem Gesicht zum Fenster und Pawel konnte nur ihre kastanienbraunen Locken sehen.

Pawel erschrak, schloss die Tür und schlich auf Zehenspitzen davon. Doch da durchbrach Viktor Stepanowitsch die Stille, die Pawel zu bewahren versucht hatte, indem dieser unerwartet auf den Flur hinaussah.

„Kommen Sie herein!“, rief er Dobrynin laut zu.

Pawel kehrte ins Arbeitszimmer zurück und wartete, starr vor Schreck, auf das, was nun folgen würde.

„Also…“, in der Stimme von Viktor Stepanowitsch war Nervosität zu spüren. „Sie werden gebeten, heute Lenins Artikel ‚Wie kann die ABI – die Arbeiter- und Bauerninspektion – neu organisiert werden‘ durchzulesen, während Sie sich ausruhen… er ist nicht lang…“

„Verzeihen Sie bitte“, Pawel sah den seit dem Telefonat besorgten Viktor Stepanowitsch an. „Dort im Zimmer schläft eine Frau… Kann es sein, dass das die falsche Wohnung ist?“

Viktor Stepanowitsch dachte einen Moment nach und zog dabei die Augenbrauen hoch bis über die Nasenwurzel. Dann besann er sich und auf seinem Gesicht erschien ein breites Lächeln.

„Aber nein!“, sagte er wieder offen und süßlich. „Das ist… das ist Ihre dienstliche Ehefrau… Marija Ignatjewna… Sie ruht sich wahrscheinlich aus. Ich wecke sie gleich, dann können Sie einander kennenlernen…“

„Nicht!“, bat Dobrynin.

„Warum nicht?“, fragte Viktor Stepanowitsch mit offensichtlichem Erstaunen. „Wo gibt es denn so etwas, dass sich Ehemann und Ehefrau nicht kennen?“

„Wir können ja später…“, Dobrynin geriet ins Stocken. „Soll sie sich doch einmal ausruhen und ausschlafen…“

„Nun, wie Sie wollen…“, Viktor Stepanowitsch zuckte enttäuscht die Achseln. „Also gut. Dann ruhen auch Sie sich aus, lesen Sie den Artikel, er liegt auf dem Tisch. Und in drei Stunden hole ich Sie ab. Ach ja, noch etwas, die beiden Türen dort hinter dem Schlafzimmer sind die Toilette und das Badezimmer. Finden Sie sich zurecht?“

Pawel nickte.

„Also bis dann!“

Im Vorzimmer fiel die Tür ins Schloss – Viktor Stepanowitsch verließ Dobrynins Dienstwohnung – und dieses Geräusch lenkte ihren neuen Besitzer ab und vermochte seinen Körper und seine Gedanken von der unnötigen Anspannung zu befreien. Pawel trat an den Tisch, ließ sich in dem bequemen Sessel nieder und warf einen Blick in den zur Lektüre überlassenen Artikel.

Die erste Zeile des Artikels verstand Pawel nicht, und darum beugte er sich tiefer über den aufgeschlagenen Band.

Er träumte von einem Traktor und von der heimatlichen Kolchose. Obwohl er selbst kein Maschinist war, so saß er doch in seinem Traum in der Kabine eines neuen „MTS“ und versuchte, den Motor zu starten. Aber der Motor sprang nicht an. Er versuchte es wieder und wieder, als er plötzlich spürte, wie das Metall erbebte und zu vibrieren begann. „Angesprungen!“, dachte Pawel erfreut im Schlaf und begriff zugleich, dass das Geräusch, das er hörte, keinerlei Zusammenhang mit dem Traktor haben konnte.

Es war das Telefon, das läutete.

Pawel hob den Kopf vom Artikel des Führers, nahm den Hörer ab und hielt ihn ans Ohr.

„Ja bitte?!“, sagte er zu einem Unbekannten und Unsichtbaren.

„Marija Ignatjewna, bitte!“, bat eine männliche Stimme höflich.

„Wen?“, fragte Pawel schlaftrunken.

„Marija Ignatjewna“, wiederholte die männliche Stimme geduldig. „Ihr dienstlicher Nachname ist Dobrynina.“

„Aaah…“, sagte Pawel gedehnt und legte den Hörer auf das geöffnete Buch.

Er ging hinaus auf den Flur und blickte ins Schlafzimmer. Immer noch lag sie da und ruhte. Nachdem er einen Augenblick überlegt hatte, klopfte Pawel leise an die offene Tür.

Das Bett knarrte, woraus Dobrynin schloss, dass er gehört worden war.

„Man verlangt Sie am Telefon!“, sagte er und kehrte rasch ins Arbeitszimmer zurück.

Er trat an das nächstgelegene Bücherregal und begann zu überprüfen, ob die Leninbände in der richtigen Reihenfolge standen. Marija Ignatjewna erschien in einem langen fliederfarbenen Morgenmantel im Arbeitszimmer.

„Guten Tag!“ Sie sah Pawel mit einem strahlenden Lächeln an und trat an den Tisch.

Marija Ignatjewna war ein wenig mollig, dessen ungeachtet eine schöne Frau, das erkannte Dobrynin sofort. Ihre gesamte Figur, die sorgfältig in fliederfarbene Seide gehüllt war, verriet die ehemalige Sportlerin, und in ihrem Gesicht konnte man als Zugabe jede Menge anderer positiver Eigenschaften herauslesen, wie Güte etwa, Entschlussfreudigkeit, Mut und Verstand. Was die zuletzt genannte Eigenschaft betraf, die aus den braunen Augen seiner dienstlichen Frau zu lesen war, hatte Pawel allerdings seine Zweifel. Er zweifelte in dem Sinne, als er nicht restlos davon überzeugt war, ob Verstand zu den positiven Eigenschaften einer Frau zu zählen war. Aber sogleich widersprach er diesem Zweifel selbst, was ihn aufrichtig überraschte, da er sich bisher noch nie selbst widersprochen hatte. Er wunderte sich und begann darüber nachzudenken, woher eine solche Fähigkeit in ihm rührte. Und er kam zu dem Schluss, dass er schlicht und einfach klüger geworden war wegen der großen Zahl von Büchern in seinem Arbeitszimmer oder vielleicht auch deshalb, weil er über den aufgeschlagenen Leninband gebeugt geschlafen hatte. Diese Schlussfolgerung beruhigte ihn.

„Ja, ja, ich bin es…“, sagte Marija Ignatjewna zu irgendjemandem.

Mit großem Gefallen betrachtete Pawel ihr Profil. Vielleicht, weil sie es bemerkte, vielleicht aus einem anderen Grund drehte sie sich um und warf Dobrynin einen Blick zu, den er nicht verstand. Da er sich jedoch daran erinnerte, dass Viktor Stepanowitsch ihn gebeten hatte, für die Zeit des Telefongesprächs das Zimmer zu verlassen, beschloss Pawel, dass auch dieser Blick etwas Ähnliches bedeuten musste, und er ging ergeben auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Vom Flur aus war kein Wort des Telefongesprächs zu hören, das seine dienstliche Ehefrau mit einem Unbekannten führte. Offenbar verlief das Gespräch ruhig und angenehm.

Und dennoch hatte die Tatsache, dass er eine dienstliche Ehefrau bekommen hatte, für Pawel etwas Unangenehmes. Mit einfacher Logik begriff er, dass das, was von oben so geregelt war, einfach so sein musste, aber seine Gefühle, die ihn stark mit Manjascha und den Kindern verbanden, empörten sich dagegen, protestierten und entwickelten Anzeichen der Verweigerung, die sich darin äußerten, dass er sich in diesem Moment nicht so selbstsicher fühlte wie sonst. Auch wenn man das darauf hätte zurückführen können, dass er auf dem Flur stand. Schließlich weiß man doch, dass das Stehen auf einem Flur, selbst für kurze Zeit, jeden beliebigen Menschen um sein Selbstbewusstsein bringen kann: ob nun einen Hausmeister oder einen Armeeführer.

Aber da öffnete sich auch schon die Tür zum Flur und Pawel erblickte Marija Ignatjewna, die die Arme ausbreitete.