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Der Direktor warf einen wehmütigen Blick nach unten, sah den „SIM“ vom Schultor wegfahren und begriff, dass das Treffen mit dem Deputiertenkandidaten zu Ende war. Das bedeutete, dass auch die Schüler und Lehrer bald nach Hause gehen würden und dass er dann die Schule bis Montag würde schließen müssen. Davor würde Banow jedoch noch ein wenig in seinem Büro in der leeren Schule sitzen, Tee trinken und dabei immer wieder Dserschinskij in die Augen blicken, dessen Porträt über seinem Tisch hing. Er würde ihn lange und streng anschauen und an den Eisernen Felix denken, und dabei würde ihm so mancherlei einfallen, denn einmal hatte ein inzwischen dahingeschiedener Genosse Banow viel Schlechtes über diesen Recken der Revolution erzählt. Ohne also zu wissen, was davon wahr war und was nicht, da er ja gar nicht in der Lage war, das herauszufinden, würde Banow in seinem Büro in der leeren Schule bleiben und mit fragendem Blick dem Gesicht auf dem Bild in die Augen schauen, so als ob er sich davon irgendwelche Erklärungen erwarten könnte.

* * *

„Sie haben mich mit ihrer Wissbegier gequält!“, beschwerte sich Siljin unterwegs bei seinem Chauffeur. „Erzählen Sie von Ihrer Kindheit, erzählen Sie von der Fabrik!“

Zum Glück war der Weg nicht weit. Zuerst fuhren sie zur Fabrik, wo Grigorij Markelowitsch sich davon überzeugte, dass alles in Ordnung war, danach setzte er sich wieder in den „SIM“ und der Chauffeur führte ihn in die Scheljabowstraße, wo der Deputiertenkandidat in einem Haus mit sieben Stockwerken wohnte.

„Warte hier, wir sind in fünf Minuten wieder da!“, sagte Siljin, als er aus dem Wagen kletterte.

Der diensthabende Hausmeister verbeugte sich etwas altmodisch und öffnete dem Fabriksdirektor das Eingangstor.

„Ist meine Frau zu Hause?“, fragte Siljin den Hausmeister, als er eintrat.

„Vermutlich, sie ist nicht ausgegangen…“, antwortete der Hausmeister.

Eilig betrat er die Wohnung und durchquerte sie, ohne die Schuhe auszuziehen, geradewegs bis zum Wohnzimmer. Dort blieb er stehen und starrte ungläubig auf seine Frau, die vor dem geöffneten Schrank stand, in dem das gesamte Arsenal ihrer Kleider hing. Sie selbst trug einen langen grünen Morgenmantel.

„Du bist noch nicht fertig?!“, sagte Grigorij Markelowitsch, halb fragend, halb als Vorwurf. „Hast du auf die Uhr geschaut?“

„Ach, Grischa, ich habe mich noch nicht entschieden, was ich anziehen soll!“, antwortete seine Frau mit verdrießlichem Gesicht und wedelte dabei bedeutungsvoll mit ihrer Hand. „Gib mir noch fünf Minuten.“

„Na gut!“, stieß Siljin hervor und ging in sein Büro.

Auf der linken Seite seines großen Schreibtisches lag ein dickes Paket mit lauter gleich aussehenden Büchern. Siljin nahm eines davon und legte es in seine Aktenmappe aus schwarzem Leder. Er setzte sich in den Sessel, dachte über etwas nach, sah auf die Uhr, sprang sogleich wieder auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Seine Frau war bereits angekleidet. Ein langes, smaragdgrünes Kleid, das mit einer großen Eidechsenbrosche geschmückt war, unterstrich anmutig ihre etwas füllige Figur.

„Grischa, ich kann mein Parfum nicht finden. Hast du es gesehen?“

Grigorij Markelowitsch zuckte mit den Achseln.

„Ich frage dich doch auch nicht, wo ich mein Rasierwasser hingetan habe!“, antwortete er und horchte auf, da er ein Geräusch hörte, das aus dem Zimmer seiner Frau kam.

„Das ist Klawa“, erklärte seine Frau.

„Hat sie denn nicht frei?“

„Ich habe sie gebeten, heute zu kommen, dafür hat sie am Montag frei.“

„Na, dann frag sie doch nach deinem Parfum, vielleicht hat sie es gesehen!“, riet Grigorij Markelowitsch schon ein wenig freundlicher.

Seine Frau rief nach der Haushaltshilfe. Diese trat mit einer Bürste zum Teppichputzen in der Hand ins Wohnzimmer – eine alte, bucklige, grauhaarige Frau, die bereits seit fünfzehn Jahren bei ihnen arbeitete.

„Das hat wahrscheinlich Ihr Sohn irgendwohin getragen!“, antwortete sie auf die Frage nach dem Parfum und dem Rasierwasser. „Einem Fräulein hat er es vielleicht geschenkt, Sie geben ihm ja kein Geld, und über die heutigen Geschenke wissen Sie ja selbst Bescheid.“

Siljin dachte nach und stimmte der Vermutung der Haushaltshilfe zu. Und dann hatte er es plötzlich wieder eilig, da er einen Blick auf die Wanduhr geworfen hatte.

„Also, Poljetschka“, bat er. „Wir sind schon entsetzlich spät dran, das ist eine wahre Katastrophe mit dir!“

„Also gehen wir!“, Polja schoss auf den Gang hinaus, bückte sich, um ihre Schuhe zu suchen oder welche auszuwählen, während ihr Mann die Tür zum Treppenhaus bereits geöffnet hatte, wartend dastand und seine Frau mit Blicken antrieb.

Endlich kamen sie unten an und stiegen in den Wagen.

„Ich habe doch versprochen, um halb fünf dort zu sein!“, wiederholte Siljin an seine Frau gewandt und sah unzufrieden auf seine Uhr, die unnachgiebig fünf Minuten nach fünf anzeigte. „Und fahren müssen wir auch noch!“

„In zehn Minuten sind wir dort, Grigorij Markelowitsch!“, versuchte der Chauffeur ihn zu beschwichtigen.

Siljin verstummte.

Und so verflogen die zehn Minuten, die sie unterwegs waren.

Der Wagen hielt vor dem Restaurant „Stoliza“.

Ohne ein Wort an den Chauffeur zu richten, stieg Siljin aus dem „SIM“ und reichte seiner Frau die Hand. Sie gingen die Stufen hinauf und kamen ins Foyer, in dessen Mitte eine fünfblättrige Palme wuchs. Auf der linken Seite war hinter einer dunklen Holzabsperrung eine leere Garderobe zu sehen – in dieser warmen Zeit gab es keine Verwendung dafür.

Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, ging Siljin zum Saaleingang, fand mit einem Blick den Oberkellner und winkte ihn herbei.

„Wie kann ich Ihnen dienen?“, fragte dieser in schmeichelndem Ton, nachdem er herangetreten war.

„Ich habe einen Tisch für ein Festessen zu sechst auf den Namen Siljin bestellt.“

„Eine Sekunde…“ Der Oberkellner war ein etwas rundlicher und zugleich auf seltsame Art wohlproportionierter Mann mit einem dünnen, wie aufgemalten Bärtchen. Er zog ein Notizbuch aus der Tasche, blätterte darin, bis er eine mit feinsäuberlicher Handschrift beschriebene Seite fand. „Siljin, sechs Personen, da haben wir’s, kommen Sie, ich zeige Ihnen den Tisch!“

Mit beinahe trippelnden Schritten führte der Oberkellner Siljin und seine Gattin in den Saal.

Der ungewöhnliche, etwas längliche, achteckige Tisch befand sich im dunkelsten Winkel des Restaurants. Er war von drei Töpfen mit jungen Dattelpalmen abgeschirmt, die zu dieser Zeit in Moskau überaus modern waren.

„Hier, sehen Sie“, flötete der Oberkellner und blieb am Tisch stehen. „Es ist bereits gedeckt. Gehen wir das bestellte Menü zusammen durch! Aber setzen Sie sich doch, setzen Sie sich!“

Dienstbeflissen ließ der Oberkellner das Paar am Tisch Platz nehmen, dann sah er wieder in sein Notizbuch.

„Also…“ Er machte eine Pause, dann begann er vorzulesen. „Kalte Vorspeise: Kartoffelsalat mit Krabben, Oliven, richtig?“

Grigorij Markelowitsch nickte.

„Fahren wir fort. Warme Vorspeisen: Zander ‚Orly‘, Nieren, in Butter gebraten… Dann, beim zweiten Gang gibt es leider eine Änderung… Sie haben gedämpften Silberlachs bestellt, aber leider… der Lachs ist von nicht sehr guter Qualität, und deshalb empfehle ich Ihnen gebratenen Muksun-Fisch mit Kartoffelkroketten als Beilage… Was meinen Sie?“

Achselzuckend wandte sich Grigorij Markelowitsch an seiner Frau.

„Gut“, sagte Polja sanft, die den Oberkellner nicht lange in dieser unangenehmen Lage lassen wollte.

„Ausgezeichnet“, freute sich dieser. „Zu den Suppen: dreimal Soljanka mit Fleisch nach Leningrader Art, zwei Kartoffelsuppen mit Stör und eine Suworow-Suppe mit Piroggen, das ist wahrscheinlich für Sie?“

Grigorij Markelowitsch nickte dem Oberkellner zu, und nachdem dieser seine bescheidene Neugier befriedigt hatte, fuhr er fort: