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Aeron sah die Tochter des Speers kalt und mit gewölbten Augenbrauen an. »Hat sie mit Euch gesprochen, Carahuin?« Plötzlich mußten beide Schwestern Beldeine stützen. Aeron sah Tialin nur an, aber die rothaarige Weise Frau senkte den Blick. Verin wurden die nächsten Aufmerksamkeiten zugedacht. »Eure Sorge um al'Thor ... ehrt Euch«, sagte Aeron widerwillig. »Er wird bewacht werden. Mehr braucht Ihr nicht zu wissen.« Plötzlich wurde ihre Stimme härter. »Aber Neulinge sprechen mit Weisen Frauen nicht in diesem Ton, Verin Mathwin Aes Sedai« Die letzten Worte klangen höhnisch.

Verin unterdrückte ein Seufzen und verfiel in einen weiteren tiefen Hofknicks, wobei sie sich fast wünschte, sie wäre noch genauso schlank wie bei ihrer Ankunft in der Weißen Burg. Sie war wirklich nicht für all diese Verbeugungen gemacht. »Vergebt mir, Weise Frau«, sagte sie demütig. Entkommen! Die Umstände machten für sie, wenn nicht für die Aiel, alles nur allzu offensichtlich. »Die Sorge muß meinen Verstand verwirrt haben.« Schade, daß sie nicht dafür sorgen konnte, daß Katerine einen tödlichen Unfall erlitt. »Ich werde mein Bestes tun, in Zukunft daran zu denken.« Nicht einmal ein Wimpernschlag deutete an, ob Aeron ihre Entschuldigung annahm. »Darf ich ihren Schild übernehmen, Weise Frau?«

Aeron nickte, ohne Tiarin anzusehen, und Verin umarmte schnell die Quelle und übernahm den Schild, den Tialin losließ. Es erstaunte sie immer wieder, daß Frauen, die nicht die Macht lenken konnten, Machtlenkerinnen so bereitwillig befehligten, Tialin war in der Handhabung der Macht nicht wesentlich schwächer als Verin, und doch beobachtete sie Aeron fast ebenso wachsam, wie die Töchter des Speers es taten, und als die Töchter des Speers das Zelt auf eine Geste von Aeron hin eilig verließen und Beldeine schwankend stehenließen, folgte Tialin nur einen Schritt hinter ihnen.

Aeron ging nicht, zumindest nicht sofort. »Ihr werdet Katerine Alruddin gegenüber dem Car'a'carn nicht erwähnen«, sagte sie. »Er hat genug zu bedenken, auch ohne sich um Nichtigkeiten sorgen zu müssen.«

»Ich werde ihm nichts von ihr sagen«, bestätigte Verin rasch. Nichtigkeiten? Eine Rote mit Katerines Stärke war keine Nichtigkeit Vielleicht sollte sie dies vermerken. Sie mußte darüber nachdenken.

»Ihr solltet füglich schweigen, Verin Mathwin, sonst werdet Ihr schreien müssen.«

Darauf ließ sich nichts erwidern, so daß sich Verin auf Demut und Fügsamkeit besann und noch einen Hofknicks vollführte. Ihre Knie wollten jedoch protestieren.

Als Aeron gegangen war, erlaubte sich Verin ein erleichtertes Seufzen. Sie hatte befürchtet, daß Aeron bleiben würde. Die Erlaubnis zu erhalten, mit den Gefangenen allein zu sein, hatte fast ebensoviel Mühe gekostet, wie Sorilea und Amys zu dem Entschluß zu bringen, daß sie befragt werden müßten, und zwar durch jemanden, der mit der Weißen Burg auf vertrautem Fuße stand. Wenn sie jemals erführen, daß sie zu dieser Entscheidung hingeführt worden waren... Aber darum würde sie sich ein anderes Mal sorgen. Es gab anscheinend viele ›andere Male‹.

»Es ist genug Wasser da, daß Ihr Euch zumindest Gesicht und Hände waschen könnt«, bot sie Beldeine freundlich an. »Und wenn Ihr wollt, werde ich Euch Heilen.« Jede von ihr befragte Schwester hatte zumindest einige Striemen aufgewiesen. Die Aiel schlugen die Gefangenen bereits für das Verschütten von Wasser oder wenn sie eine andere Aufgabe verdarben — und auch die stolzesten Gegenworte ernteten, wenn überhaupt, nur höhnisches Gelächter. Die schwarz gewandeten Frauen wurden wie Tiere zusammengepfercht, durch einen Schlag mit der Gerte zum Gehen oder Umwenden oder Stehenbleiben gebracht, und sie wurden noch härter geschlagen, wenn sie nicht schnell genug gehorchten. Das Heilen erleichterte auch andere Dinge.

Schmutzig, verschwitzt und wie Schilf im Wind schwankend, verzog Beldeine die Lippen. »Ich würde lieber verbluten, als von Euch Geheilt zu werden!« spie sie hervor. »Vielleicht hätte ich erwarten sollen, Euch vor diesen Wilden, diesen Unmenschen, kriechen zu sehen, aber ich hätte niemals gedacht, daß Ihr Euch jemals so weit erniedrigen würdet, die Geheimnisse der Burg preiszugeben! Das kommt Verrat gleich, Verin! Aufruhr!« Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. »Wenn Ihr davor nicht zurückschreckt, werdet Ihr vermutlich vor nichts haltmachen! Was habt Ihr und die übrigen sie außer dem Verbinden sonst noch gelehrt?«

Verin schnalzte verärgert mit der Zunge, machte sich aber nicht die Mühe, der jungen Frau den Kopf zurechtzurücken. Ihr Nacken schmerzte davon, zu den Aiel hochzusehen — auch Beldeine war ungefähr eine Handbreit größer als sie —, ihre Knie taten weh von den Hofknicksen, und entschieden zu viele Frauen, die es besser wissen sollten, hatten sie heute mit blinder Verachtung und törichtem Stolz bedacht. Wer sollte es besser als eine Aes Sedai wissen, daß eine Schwester der Welt viele Gesichter zeigen mußte? Man konnte Menschen nicht immer einschüchtern oder zu etwas zwingen. Zudem war es weitaus besser, sich wie eine Novizin zu verhalten denn als eine solche bestraft zu werden, besonders wenn es einem nur Schmerz und Erniedrigung einbrachte. Selbst Kiruna mußte den Sinn dessen schließlich einsehen.

»Setzt Euch, bevor Ihr zusammenbrecht«, sagte sie und ließ sich auf einem Kissen nieder. »Laßt mich raten, was Ihr heute getan habt. Bei all diesem Schmutz würde ich sagen, daß Ihr ein Loch gegraben habt. Mit Euren bloßen Händen, oder haben sie Euch einen Löffel gegeben? Wenn sie beschließen, daß es fertig ist, werden sie es Euch einfach wieder zuschütten lassen. Nun, laßt mich sehen. Ihr seid überall schmutzig, aber Euer Gewand ist sauber, also vermute ich, daß sie Euch nackt graben ließen. Wollt Ihr bestimmt nicht Geheilt werden? Sonnenbrand kann sehr schmerzhaft sein.« Sie füllte einen weiteren Becher mit Wasser und ließ ihn auf einem Strang Luft durch das Zelt schweben, bis er vor Beldeine verharrte. »Eure Kehle muß ausgedörrt sein.«

Die junge Grüne betrachtete den Becher einen Moment unsicher, und dann gaben ihre Beine plötzlich nach; mit einem bitteren Lachen brach sie auf einem Kissen zusammen. »Sie ... tränken mich häufig.« Sie lachte erneut, obwohl Verin nichts Belustigendes daran erkennen konnte. »Soviel ich will, solange ich alles schlucke.« Sie betrachtete Verin zornig, hielt inne und fuhr dann mit gepreßter Stimme fort. »Dieses Gewand steht Euch sehr gut. Meines haben sie verbrannt. Ich habe sie dabei beobachtet. Sie haben mir alles außer dem gestohlen.« Sie berührte den goldenen Schlangenring um ihren linken Zeigefinger, ein breites goldenes Schimmern zwischen all dem Schmutz. »Sie fanden vermutlich nicht den Mut, mir auch den Ring zu nehmen. Ich weiß, was sie beabsichtigen, Verin, aber es wird ihnen nicht gelingen. Nicht bei mir — bei keiner von uns!«

Sie war noch immer vorsichtig. Verin stellte den Becher auf den Blumenteppich neben Beldeine, nahm dann ihren eigenen Becher hoch und trank, bevor sie sprach. »So? Was ist denn ihre Absicht?«

Dieses Mal klang das Lachen der anderen Frau sowohl brüchig als auch hart. »Brecht uns, und Ihr wißt es! Laßt uns al'Thor gegenüber Eide sprechen, wie Ihr es getan habt. Oh, Verin, wie konntet Ihr? Treue zu schwören! Und noch schlimmer — einem Mann gegenüber, ihm gegenüber! Auch wenn Ihr Euch dazu überwinden konntet, gegen den Amyrlin-Sitz zu rebellieren, gegen die Weiße Burg...« Bei ihr klang beides sehr ähnlich. »...wie konntet Ihr das nur tun?«

Verin fragte sich einen Moment, ob die Dinge besser stünden, wenn die Frauen, die jetzt im Aiel-Lager gefangengehalten wurden, wie sie selbst aufgehalten worden wären, ein Holzsplitter in den Fluten von al'Thors Ta'veren-Strudel. Die Worte waren aus ihrem Munde gedrungen, bevor sie darüber hatte nachdenken können. Keine Worte, die sie niemals selbst hätte aussprechen können — so beeinflußte einen das Ta'veren nicht —, sondern Worte, die sie unter diesen Umständen vielleicht einmal unter tausend Malen gesagt hätte, einmal unter zehntausend Malen. Nein, es war lange und heftig darüber gestritten worden, ob die auf diese Weise geleisteten Eide gehalten werden müßten, und der Streit darüber, wie sie zu halten seien, wurde auch jetzt noch fortgeführt. Es war weitaus besser so. Sie betastete gedankenverloren einen harten Gegenstand in ihrer Gürteltasche, eine kleine Brosche, ein durchscheinender Stein, zu einem Gebilde geschnitten, das wie eine Lilie mit zu vielen Blättern aussah. Sie trug sie niemals, aber sie befand sich seit fast fünfzig Jahren in ihrer Reichweite.