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Richard Francis Burton schreitet eilig davon. Stell Dir vor, formuliert er in Gedanken seinen ersten Brief über das Neuland, nach vier Monaten auf hoher See kommst Du endlich an, und am Strand, die Scheite auf dem Sand gehäuft, verbrennen sie ihre Leichen. Mitten in diesem stinkigen dreckigen Loch namens Bombay.

BRITISCH-INDIEN

ERSTE SCHRITTE

Die Geschichten des Schreibers

des Dieners des Herren

0.

Nach Monaten auf See, zufälligen Bekanntschaften ausgesetzt, Gerede ohne Maß, bei Wellengang die Lektüre rationiert, Tauschgeschäfte mit den Dienern aus Hindustan: Portwein gegen Wortschatz, aste aste im Kalmengürtel, was für ein Kater! khatarnak und khabardar im Sturm vor dem Kap, die Wellen schlugen an in steiler Formation, kein Passagier hielt sein Abendessen in dieser Schieflage, manches war schwer auszusprechen, die Tage wurden zunehmend fremder, jeder redete mit sich selbst, so trieben sie dahin über den indischen Teich.

Dann die Bucht. Gewölbte Segel schöpften Luft wie Hände Wasser. Sie sahen, was sie schon gerochen hatten, bei dem ersten Blick durch ein mit Nelkenöl eingeriebenes Fernglas. Es war nicht auszumachen, wann das Festland an Bord kam. Das Deck war die Aussichtsplattform, Bühne aller Kommentare.

— Sie ist eine Tabla!

In ihrem Gespräch an der Reling gestört, drehten sich die Briten um. Ein älterer Einheimischer, einfach gekleidet in Baumwollweiß, stand unmittelbar hinter ihnen. Er war um einiges kleiner als seine Stimmgewalt. Ein weißer Bart reichte ihm bis zum Bauch, doch seine Stirn war glatt. Er lächelte sie freundlich an, aber er hatte sich ihnen zu sehr genähert.

— Eine Doppeltrommel. Ein Bol aus Bom und Bay.

Der Mann holte zwei Arme und zwei Hände hervor und setzte sie in Bewegung, zur Begleitung seiner tiefen Stimme.

— Linker Hand die gesegnete Bucht, Bom Bahia und rechter Hand Mumba Aai, die Göttin der Fischer. Ein Tintaal aus vier Silben. Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.

Schon hatte er sich zwischen sie gedrängt und begann mit seinen zwei Zeigefingern zu klopfen, der Kopf schüttelte die Mähne.

Bom-Bom-Bay-Bay

Bom-Bom-Bai-Bai

Mum-Mum-Bai-Bai

Bom-Bom-Bay-Bay.

— Grob und grell, wie es sich für einen Rhythmus gehört, der seit Jahrhunderten schlägt: Europa andererseits, Indien einerseits. Es ist eigentlich einfach, für jeden, der hören kann.

Die Augen des Mannes lachten zufrieden. Die besseren Passagiere wurden zur Landnahme gerufen; die Schaluppe wartete, Indien war nur noch wenige Ruderschläge entfernt. Burton half einer der verzückten Damen über die Sprossen. Als sie sicher saß, die Hände im Schoß, drehte er sich um. Er sah den weißhaarigen, weißbärtigen Trommler auf dem Deck stehen, steif, die Beine weit auseinander, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Seine Augen kullerten hinter dicken Brillengläsern. Gehen Sie, gehen Sie! Aber achten Sie auf Ihr Gepäck. Dies hier ist nicht Britannien. Sie betreten Feindesland! Und sein Lachen flog davon, als die Schaluppe an Seilen hinab zum Meer ächzte.

Mit der Landung wurde die Täuschung des Fernglases ruchbar. Der Kai war auf fauligem Fisch erbaut, überzogen von getrocknetem Urin und galligem Wasser. Ärmel wurden rasch über Nasen gezogen. Jahrhunderte von Fäulnis, barfüßig zu festem Boden gestampft, auf dem ein Uniformierter schreiend schwitzte. Die Ankömmlinge sahen sich zaghaft um. Neugier wurde bis auf weiteres vertagt. Überlassen Sie alles uns, wir nehmen Ihnen alle Arbeit ab! Richard Burton parierte das klebrige Englisch eines Agenten auf Hindustani, mit stolzem Bedacht. Er rief einen Kuli, der abseits stand und das Getümmel ignorierte, er fragte, hörte zu, verhandelte, er beaufsichtigte, wie seine Truhen auf Rücken geladen und zu einer der bereitstehenden Droschken getragen wurden. Der Weg sei nicht weit, sagte der Kutscher, und sein Preis gering. Die Droschke glitt durch die Menschenmasse wie ein geschleppter Kahn. Im Kielwasser trieben Käppis und Glatzen, Turbane und Topis. Um ihn herum, in diesen Wirbeln, er konnte kein Gesicht erkennen, und es dauerte eine Weile, bis er ein Bild sah, das Sinn ergab: Vor einem Laden ruhten die Pranken eines Krämers auf Reissäcken. Burton lehnte sich zurück, während die Droschke dem Hafen entkam und in eine breite Straße bog. Ein Junge wich den Hufen so spät aus, wie es die Mutprobe erforderte, und belohnte sich selbst mit einem Grinsen. Ein Mann wurde neben wirbelnden Rädern rasiert. Ein Kind ohne Haut wurde ihm entgegengehalten. Er erschrak kurz und vergaß es wieder. Der Kutscher schien die Bauten zu beiden Seiten zu benennen: Apollo Gate, dahinter Fort, Secretariat, Forbes House. Sepoy! der Kutscher deutete auf eine Mütze, darunter schmierige Haare, weiter unten dürre, behaarte Beine in einer zu kurzen Arbeitshose. Entsetzlich, dachte Burton, das sind die einheimischen Soldaten, die ich befehligen werde, Herrgott noch einmal, diese Kleidung, nichts als Staffage, selbst der Gesichtsausdruck wirkt wie von den Briten abgekupfert. Die Droschke trabte an einer Traube Frauen vorbei, die an Händen und Füßen tätowiert waren. Hochzeit, freute sich der Kutscher. Die Geschmückten verschwanden schnell um die Ecke. Die Häuser, dreistöckig zumeist, schienen von Gangrän befallen. Auf einem der hölzernen Balkone hustete sich ein Mann frei und spuckte sein Gebrechen auf die Straße. Die wenigen Gebäude von Haltung wirkten wie Aufseher in einer Aussätzigenkolonie. Immer wieder erblickte Burton, zwischen den Kronen der Palmen, grauköpfige Krähen. Einmal kreisten sie über einem marmornen Engel, dem eine verschleierte Frau die Füße küßte. Kurz vor Ankunft in dem Hotel sah er Krähen auf einen Kadaver niedergehen. Manchmal, der Kutscher drehte sich in voller Fahrt um, warten sie den Tod nicht ab.

Das British Hotel in Bombay glich keineswegs dem Hotel Britain in Brighton. In Bombay wurde für weniger Komfort mehr Geld verlangt, Bett, Tisch und Stuhl mußte man sich zusammensuchen. In Brighton stieg kein besoffener Kadett mit Heidehaar und sumpfigem Mundgeruch nachts auf einen Stuhl, um über die Musselinwand seine Zimmernachbarn zu begaffen. Burton, dem Schlaf seit Stunden nicht näher gekommen, schob das Moskitonetz zur Seite und bewarf den Kadetten mit dem nächstbesten Gegenstand, den er unter seinem Bett zu fassen bekam. Das Wurfgeschoß flog dem Kadetten mitten ins Gesicht. Er stürzte von seinem Stuhl, er fluchte leise, bis eine Kerze aufleuchtete und ein Schrei zu hören war: der Kadett hatte das Geschoß erkannt, eine Ratte, die Burton kurz zuvor mit einem Stiefel erschlagen hatte. Nur die Stoffwand schützte den schmächtigen Kadetten vor seinen eigenen Drohungen. Burton griff ein weiteres Mal unter das Bett und holte eine Flasche Brandy hervor. Eidechsen waren Glücksboten, Ratten waren verhaßt. Die Eidechsen hingen an der Wand wie farbige Miniaturen. Die Ratten versteckten sich. Manchmal vergeblich.