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— Es soll kein üblicher Brief …

— Ebenso Briefe an die Ostindische Gesellschaft.

— Auch an Offiziere?

— Selbstverständlich.

— Es soll kein förmlicher Brief werden.

— Wir schreiben, was Sie wünschen. Aber gewisse Formen sollten gewahrt werden. Die Herrschaften bestehen auf Form. Der kleinste Fehler im Aufbau, das kleinste Versäumnis bei der Anrede, und der Brief ist keinen Anna wert.

— Es muß viel erklärt werden. Ich habe Aufgaben übernommen, wie sie kein anderer …

— Wir werden so ausführlich sein, wie die Angelegenheit gebietet.

— Ich stand ihm viele Jahre zur Seite. Nicht nur hier in Baroda, ich bin mit ihm gezogen, als er versetzt wurde …

— Verstehe, verstehe.

— Ich habe ihm treu gedient.

— Zweifellos.

— Ohne mich wäre er verloren gewesen.

— Natürlich.

— Und wie hat er mich dafür entlohnt?

— Undankbarkeit ist des Edlen Lohn.

— Ich habe ihm das Leben gerettet!

— Dürfte ich erfahren, an wen sich das Schreiben richtet?

— An niemanden.

— An niemanden? Das wäre unüblich.

— An keine bestimmte Person.

— Verstehe. Sie wollen den Brief mehrfach verwenden?

— Nein. Oder doch, ja. Ich weiß nicht, wem ich den Brief geben soll. Alle Angrezi der Stadt haben ihn gekannt, das ist lange her, vielleicht zu lange, ich weiß nicht, einige sind bestimmt noch in Baroda. Heute morgen erst habe ich Leutnant Whistler gesehen. Er fuhr in einer Kutsche vorbei, eine dieser neuen Kutschen mit einem halben Dach aus Leder, ein schöner Wagen. Fast hätte er mich überfahren. Ich habe Leutnant Whistler gleich erkannt. Er war einige Male bei uns. Ich bin dem Wagen hinterhergerannt, er mußte bald halten. Ich habe den Kutscher gefragt.

— Und?

— Nein, sagte er, dies ist der Wagen von Oberst Whistler. Ich habe mich nicht getäuscht. Mein Herr hat sich über seinen Namen lustig gemacht.

— Wir werden also an Oberst Whistler schreiben!

Um seine Bereitschaft zu demonstrieren, öffnet der Lahiya das Tintenfäßchen, nimmt die Feder in die Hand, tupft, kratzt zur Probe, beugt sich um einige Zeilen nach vorne und verharrt. Der von dem Ankömmling aufgewirbelte Staub hat sich gesetzt. Aus dem peinigenden Licht heraus, in das der Lahiya nicht mehr blinzeln will, beginnt die zaghafte Stimme zu erzählen. Aus Vermutungen werden Andeutungen, aus Andeutungen werden Schemen, aus Schemen werden Personen, aus Unbekannten werden Menschen mit Namen, Eigenschaften und Gesichtern. Der Lahiya hält die Feder fest zwischen den Fingern, doch er versteht weder Ausgang noch Grund der Lebensgeschichte, die dieser Mann vor ihm ausbreitet. Es ergibt keinen Sinn, diese konfusen Umrisse aufzuschreiben.

— Hören Sie. Das bringt so nichts. Einige Gedanken, einige Notizen, einige Skizzen zuerst, dann werde ich Vorschläge unterbreiten, wie wir den Brief gestalten können.

— Aber … ich muß wissen, was wird es kosten?

— Zahlen Sie zwei Rupien an, Naukaram-bhai. Wir werden später sehen, wieviel Aufwand es bedarf.

2.

AUS EINER SILBE

Manchmal rülpste die pralle Stadt. Alles roch wie von Magensäften zersetzt. Am Straßenrand lag halbverdauter Schlaf, der bald zerfließen würde. Ein Löffel schnitt durch das Fleisch einer überreifen Papaya, Fußsohlen schwitzten auf dem Heimweg vom Markt Koriander aus. Er wußte nicht, was ihn eher anwiderte, die Meeresbrise, zur Ebbe faulig von Algen und gestrandeten Quallen, oder die Düfte des moslemischen Frühstücks, aus Innereien von Ziege, auf kleinen Öfen gebrutzelt. Der Pfad der Menschheit war gepflastert mit tückischen Verlockungen.

— Sir, Sie zu stören ist nicht meine Art, ein hoher Herr wie Sie, das sehe ich, ich erkenne das sofort, denken Sie nicht … keineswegs, ich bin ein einfacher Mann, Sie zu täuschen ist nicht möglich, nein, ich will Ihre Zeit nicht rauben, nein, Sir, wenn Sie mir nur Ihr Gehör zu geben wünschen, ich werde Ihnen eine Hilfe sein können.

Burton ging die Straße entlang, ein Flaneur, der die Häuser mit seinen aufmerksamen Blicken abtastete. Er fiel auf, dieser junge britische Offizier, der seinen Kopf hoch und seinen Bart voll trug.

— Sie sind gewiß gerade angekommen. Schwierig. Überall ist es so, nach der Ankunft, niemand an Ihrer Seite, es ist schwierig …

— Aapka shubh naam kyaa hee? fragte der Offizier.

— Are Bhagwaan, aap Hindi bolte hee? Naukaram ist mein Name, zu Diensten, Saheb, zu Diensten.

Nach einer Woche wußte Burton, daß es in der Stadt nur so vor schmierigen Indern wimmelte, die in jedem Offizier, in jedem Weißen, eine unheilige Kuh sahen, die sie nach Belieben melken wollten. Während sie sich verbeugten, griffen sie einem schon in die Tasche.

— Zu was für Diensten?

— Sie haben unsere Sprache schnell gelernt, bahut atschi tarah. Sie sind vor kurzem angekommen, jüngst auf dem letzten Schiff aus England.

— Du bist gut informiert.

— Nur ein Zufall, Saheb, mein Bruder, mein Cousin, arbeitet am Hafen, verstehen Sie.

Was will dieser junge Mann mit dem altklugen Gesicht? Gekleidet in Peinlichkeiten. Hochgewachsen, leicht gebeugt. Erstaunlich blaß, das Gesicht zugänglich, aber wenig anziehend.

— Je schneller Sie einen Diener finden, desto besser.

— Was kümmert es dich?

— Ich, Ramji Naukaram, werde Ihr Diener sein.

— Wieso denkst du, daß ich einen Diener suche?

— Sie haben schon einen Diener?

— Nein. Ich habe noch keinen Diener. Auch noch kein Pferd.

— Jeder Saheb braucht einen Diener.

— Und wieso gerade du? Wieso sollte ich dich nehmen?

Sie blieben stehen, an einer Kreuzung, wo weitere Angebote auf Burton lauerten. Bis zum Nachmittag, so hat er sich vorgenommen, als er das Hotel in der Früh verließ, würde er lernen, nein zu sagen, hart zu bleiben. Er wollte sich allen Verlockungen aussetzen, zum Beweis, daß er ihnen widerstehen konnte. Um ihnen später nachgeben zu können.

— Ich gebe mich nur mit dem Besten zufrieden.

— Ach, Saheb, was heißt schon Bestes? Es gibt Männer und es gibt Frauen, und die Männer, die eine Frau nicht nehmen, weil um die Ecke vielleicht bessere Frau, schönere Frau, reichere Frau wartet, die Männer bleiben am Ende ohne Frau. Heute nehmen ist besser als Versprechen von morgen. Heute ist sicher — niemand weiß, was morgen ist.

Am übernächsten Tag kam ihm eine Idee.

— Ich will die Stadt bei Nacht erleben.

— Zum Klub fahren, Saheb?

— Die wahre Stadt.

— Wahr, wie meinen Sie?

— Zeige mir die Orte, wo sich die Einheimischen vergnügen.

— Was wünschen Sie dort, Saheb?

— Genau das, was die Stammgäste dort suchen. Was ihnen die Zeit vertreibt, soll mir die Zeit vertreiben.

Diesmal nahm Burton den Sanitäter nicht mit, den schon die Fahrt entnervt hätte. Keine Lichter, jedes Wesen, das ihnen begegnete, war in seine eigene Staubhülle gehüllt. Die Straßen wurden enger, die Abzweigungen so zahlreich, daß Burton alleine verloren gewesen wäre. Sie mußten zu Fuß weitergehen. Er spürte eine unerwartete Anspannung, er fragte sich, ob er die Fußtritte hören würde, bevor ein Messer durch seine Haut drang. Der Gedanke erregte ihn, der Abend hatte nach seinem Geschmack begonnen. Vor ihnen schimmerte eine Häuserzeile, sie kamen näher und konnten einzelne Gebäude erkennen, allesamt dreistöckig, und jedes Stockwerk mit einem Balkon versehen. Auf den Balkons standen Frauen, die sich über die Brüstung lehnten und ihm zuriefen, Hamara ghar ana, atscha din hee. Viel zu laut und viel zu gierig, als daß sie ihn verführen könnten, in das Erdgeschoß einzutreten, offen wie ein Laden, wo gewiß eine ältere Frau den weiteren Ablauf dirigierte. Die Gesichter waren heftig geschminkt, sie stachen die eigenen Stimmen aus, alles weitere im ersten Stock war wallender Sari. Nicht schön, Saheb, oder? Kommen denn viele hierher? Die wenig haben, die kommen hierher, aber hier ist nicht gut. Wir werden jetzt Besseres sehen, Saheb. Sie kamen an einem Gebäude vorbei, in dem, so wußte Naukaram, Opium geraucht wurde. Das Gold meiner Arbeitgeber, dachte Burton, die Quelle allen Silbers, genaugenommen. Den Dunst, den er zu schützen hatte. Er war versucht, in die Opiumhöhle hineinzugehen, aber ihn verwirrten die Männer, die vor dem Eingang standen, erstarrt wie Wachsfiguren. Können sich nicht bewegen, sagte Naukaram, zuviel Opium.