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Sturms Kraft war verbraucht, doch der Solamnier geriet nicht in Panik. Er bedauerte seinen Tod, doch die See hatte sich als würdiger Gegner erwiesen. Der Tod bot eine willkommene Zuflucht. Er fühlte, wie die Wellen sich gewiß zum letzten Mal über seinem Kopf trafen, als der Wirbel plötzlich nachließ und die See sich beruhigte.

Sturm und Caramon kamen hustend an die Oberfläche. Immer noch wogte das Meer um sie her, doch es war weniger bedrohlich. Um sie herum lag wieder Nebel. Die beiden Gefährten klammerten sich, so gut sie konnten, an den Mast, der sie sowohl gefangen, als auch an der Oberfläche hielt. Der halbertrunkene Sturm war kaum noch bei Bewußtsein. Der erschöpfte Caramon kämpfte gegen das Bedürfnis einzuschlafen an.

Irgendwie hielten sie durch. Am Morgen des fünften Tages waren die zwei jungen Männer am Rande der Verzweiflung. Schorf bedeckte ihre Lippen. Ihre Gesichter waren so verbrannt, daß die Haut sprang und eine glitzernde Flüssigkeit austrat. Sie steckten bis zum Hals im Wasser, doch ihre Kehlen waren ausgedörrt.

Immer noch trieben sie aneinanderhängend und an den Mast gefesselt weiter. Die braunen Wellen brachen über sie hinein. Die endlose, gnadenlose See erstreckte sich in alle Richtungen.

Caramons Beine waren so verkrampft, daß er sie kaum noch bewegen konnte. Sturms Augen waren zu verquollenen Schlitzen geschrumpft. Die nicht enden wollende Anstrengung, ihr Kinn über Wasser zu halten, hatte ihren Verstand ebenso betäubt, wie sie ihren Körpern zusetzte.

»Wenn… wenn ich nur diese Fesseln lösen könnte«, keuchte Caramon, dem Wasser in den Mund schwappte, als er ihn zum Sprechen aufmachte. »Allein hättest du vielleicht bessere Chancen.«

»Ich!« rief Sturm schockiert aus. »Ich würde dich nie verlassen! Das wäre unehrenhaft.«

»Jedenfalls«, stellte Caramon mit einem flüchtigen Blick auf Sturm fest, »kann ich sie nicht zerreißen, also schätze ich, daß wir weiterhin aneinander hängenbleiben.«

Minutenlang herrschte Schweigen zwischen ihnen. »Der Mast ist ein Fluch«, sagte Sturm schließlich mit Grimm in der Stimme. »Er hält uns über Wasser, aber nur gerade eben… gerade genug, um uns zu quälen. Ertrinken wäre besser.« Er hielt inne und blickte aufs Meer. »Da! Da sind sie wieder!«

Zwei Meeresraubtiere umkreisten sie seit einem Tag. Vier runde, schwarze Augen in einer breiten Stirn schauten hin und wieder aus dem Wasser, wenn eines der Tiere auftauchte, um Luft zu holen. Die hilflosen Gefährten konnten die dicke, knubbelige Haut und die Klauen mit den Schwimmflossen sehen. Sie erhaschten auch einen Blick auf mächtige Kiefer mit Reihen von dreieckigen Zähnen. Obwohl es riesige Wesen von mindestens acht Fuß Länge waren, hielten sie stets respektvollen Abstand. Stundenlang umkreisten sie ihre Beute oder tauchten lange in die Tiefe, um dann wieder zu beobachten.

»Vodyanoi… verwandt mit den Erdkolossen«, krächzte Caramon. »Ich habe gehört, daß sie im tiefen Wasser leben. Warum greifen sie nicht an?«

»Vodyanoi sind schlau«, sagte Sturm mühsam flüsternd, »aber auch feige. Es muß ein Pärchen sein. Ich wette, wenn es ein ganzer Schwärm wäre, wären wir jetzt schon tot. Aber sie wissen, daß wir müde sind. Es dauert nicht mehr lange. Sie müssen nur warten. Das ist viel einfacher als kämpfen.«

Sturm nahm all seine Kraft zusammen und trat nach den massigen Meereswesen. Die beiden Vodyanoi rissen ihre riesigen Mäuler auf, stießen einen durchdringenden Schrei aus und tauchten ab.

»Keine Sorge«, murmelte Sturm, der kurz die Augen schloß. »Die kommen zurück.«

Sturm glaubte nicht, daß er und Caramon den Tag überleben würden. Sein Magen brannte, als wäre er vergiftet. Seine Beine hingen leblos herunter wie ein totes Gewicht. Einmal oder zweimal hatte er hinüber gesehen und bemerkt, daß Caramon am Eindösen war. Sein Kinn lag sehr gewagt auf dem schaukelnden Mast. Sturm wollte seinen Freund warnen, wach zu bleiben, doch sein ausgetrockneter Mund brachte kein Wort mehr heraus.

Ein Schatten tanzte vor Sturm über das Wasser. Beim Aufblicken sah er oben am diesigen Himmel einen schwarzen Punkt kreisen, doch er war sich nicht sicher. Er glaubte, er hätte diese schwarze Gestalt schon einmal gesehen… gestern? Was war das? Ein weiterer Jäger wie die Vodyanoi, tippte er. Auch am Himmel wartete man auf ihren Tod.

Da war es wieder, das Krächzen, von dem er meinte, daß er es schon zuvor gehört hatte. Es schien von dem schwarzen Punkt zu kommen. War das also ein Riesenvogel, der ihn und Caramon verspottete?

Plötzlich plumpste etwas fast unmittelbar vor ihnen ins Wasser. Es war eckig, eingekerbt und mehrere Finger dick, eine Art flaches Brot, das ganz nah bei dem Solamnier im Wasser trieb.

Sturm reckte sich und erwischte es mit den Zähnen. Es war hart wie Holz, doch es war kein Holz. Es war eine dicke Scheibe Brot. Hungrig biß er hinein, während er mit der Schulter Caramon anstieß.

Der große Krieger bewegte sich und schlug die Augen auf. Sturm ließ die Hälfte des Brotes wieder ins Wasser fallen und stupste sie zu Caramon hin. Dieser war noch soweit bei sich, daß er es mit den Zähnen packte und in mehreren Bissen herunterwürgte.

Wieder erscholl das Krächzen, diesmal entfernter. Caramon und Sturm blickten blinzelnd zum Himmel hoch, doch sie konnten den schwarzen Fleck kaum erkennen, der über ihnen emporstieg und aus ihrem Blickfeld verschwand.

Das dicke, harte Brot war kein Ersatz für Otiks Würzkartoffeln, doch unter den gegenwärtigen Umständen schmeckte es beinahe genausogut.

Die Wärme des Seewassers lullte sie ein. Die mörderische Hitze raubte ihnen alle Energie. Die Monotonie der Wellen betäubte ihre Sinne.

Wie in Trance trieben sie ziellos dahin.

Sturm träumte von seinem Vater und fragte sich, was aus dem tapferen, dem Untergang geweihten Angriff Feuerklinge geworden war. Eines Tages würde er die Antwort erfahren. Vorläufig gab es nur wenige, unzusammenhängende Hinweise – wie Trittsteine, die über einen endlosen Teich verteilt lagen. Immer wenn Sturm auf einen der Steine trat, verwandelte dieser sich in ein Seerosenblatt, und Sturm sank auf den Grund.

Caramon träumte von einem warmen Gasthaus und einem schönen Mädchen.

Keiner von beiden bemerkte, daß der Dunst sich allmählich hob und das Wasser seine schmutzigbraune Farbe verlor.Der Kender durchmaß die Mitte seiner Steinzelle in dem unterirdischen Palastanbau. Tolpan Barfuß schien der einzige Gefangene in diesem Teil des Gebäudes zu sein. Dogz hatte ihm verraten, daß er persönlicher Gefangener des Minotaurenkönigs war. Das erfüllte Tolpan mit Stolz, selbst wenn es bedeutete, daß er besonders ausgeklügelte Foltern und Verhöre zu erdulden hatte.

Dogz war nicht der Folterer. Eines Tages brachte er das bißchen Haferschleim, das die Minotauren Tolpan zu essen gaben. Es war ein abscheuliches Zeug, selbst für Tolpan, der wie die meisten Kender recht offen war, was das Essen anging.

Auch der Befehlshaber, Clief-Eth, war nicht der Folterknecht. Er stellte nur zwischen den Martern die Fragen.

Clief-Eth wollte wissen, wofür Tolpan das Jalopwurzpulver von dem kräuterkundigen Minotaurus Argotz gekauft hatte. Inzwischen hatte Clief-Eth das Jalopwurzpulver – genau wie den restlichen Inhalt von Tolpans Beuteln –, aber offenbar war er mehr darauf aus, zu erfahren, warum der Kender die seltene Substanz überhaupt gesucht hatte.

Tolpan hätte die Frage vielleicht beantwortet, wenn er die Antwort gewußt hätte, aber die kannte nur Raistlin. Grundsätzlich war der Kender gern höflich und hilfsbereit. Aber Tolpan wußte, daß Argotz ermordet worden war und daß die stinkenden Minotauren nach diesem Mord ihm, Caramon und Sturm nachgejagt waren und irgendwie einen magischen Sturm zusammengebraut hatten, der sie an den östlichen Rand des Blutmeers befördert hatte. Er mußte Raistlin unbedingt irgendwann mal fragen, wie so ein magischer Sturm funktionierte.