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mich wenigstens nicht, - das ist ja gar kein lebendiger Husten mehr. Er ist nicht trocken, aber lose kann man ihn auch nicht nennen, das ist noch längst nicht das Wort. Es ist ja gerade, als ob man dabei in den Menschen hineinsähe, wie es da aussieht, -alles ein Matsch und Schlamm . . .«

»Na«, sagte Joachim, »ich höre es ja jeden Tag, du brauchst es mir nicht zu beschreiben.«

Aber Hans Castorp konnte sich gar nicht über den vernom-menen Husten beruhigen, er versicherte wiederholt, daß man förmlich dabei in den Herrenreiter hineinsähe, und als sie das Restaurant betraten, hatten seine reisemüden Augen einen er-regten Glanz.

Im Restaurant

Im Restaurant war es hell, elegant und gemütlich. Es lag gleich rechts an der Halle, den Konversationsräumen gegenüber, und wurde, wie Joachim erklärte, hauptsächlich von neu angekom-menen, außer der Zeit speisenden Gästen, und von solchen, die Besuch hatten, benutzt. Aber auch Geburtstage und bevorste-hende Abreisen wurden dort festlich begangen, sowie günstige Ergebnisse von Generaluntersuchungen. Manchmal gehe es hoch her im Restaurant, sagte Joachim; auch Champagner wer-de serviert. Jetzt saß niemand als eine einzelne etwa dreißigjäh-rige Dame darin, die in einem Buche las, aber dabei vor sich hin summte und mit dem Mittelfinger der linken Hand immerfort leicht auf das Tischtuch klopfte. Als die jungen Leute sich nie-dergelassen hatten, wechselte sie den Platz, um ihnen den Rük-ken zuzuwenden. Sie sei menschenscheu, erklärte Joachim leise, und esse immer mit einem Buche im Restaurant. Man wollte wissen, daß sie schon als ganz junges Mädchen in Lungensana-lorien eingetreten sei und seitdem nicht mehr in der Welt ge-lebt habe.

»Nun, dann bist du ja noch ein junger Anfänger gegen sie mit deinen fünf Monaten und wirst es noch sein, wenn du ein Jahr auf dem Buckel hast«, sagte Hans Castorp zu seinem Vetter; worauf Joachim mit jenem Achselzucken, das ihm früher nicht eigen gewesen war, zur Menükarte griff.

Sie hatten den erhöhten Tisch am Fenster genommen, den

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hübschesten Platz. An dem cremefarbenen Vorhang saßen sie einander gegenüber, die Gesichter beglüht vom Schein des rot umhüllten elektrischen Tischlämpchens. Hans Castorp faltete seine frisch gewaschenen Hände und rieb sie behaglich-erwar-tungsvoll aneinander, wie er zu tun pflegte, wenn er sich zu Ti-sche setzte, - vielleicht weil seine Vorfahren vor der Suppe ge-betet hatten. Ein freundliches, gaumig sprechendes Mädchen in schwarzem Kleide mit weißer Schürze und einem großen Ge-sicht von überaus gesunder Farbe bediente sie, und zu seiner großen Heiterkeit ließ Hans Castorp sich belehren, daß man die Kellnerinnen hier »Saaltöchter« nenne. Sie bestellten eine Fla-sche Gruaud Larose bei ihr, die Hans Castorp noch einmal fort-schickte, um sie besser temperieren zu lassen. Das Essen war vorzüglich. Es gab Spargelsuppe, gefüllte Tomaten, Braten mit vielerlei Zutat, eine besonders gut bereitete süße Speise, eine Käseplatte und Obst. Hans Castorp aß sehr stark, obgleich sein Appetit sich nicht als so lebhaft erwies, wie er geglaubt hatte. Aber er war gewohnt, viel zu essen, auch wenn er keinen Hunger hatte, und zwar aus Selbstachtung.

Joachim tat den Gerichten nicht viel Ehre an. Er hatte die Küche satt, sagte er, das hätten sie alle hier oben, und es sei Brauch, auf das Essen zu schimpfen; denn wenn man hier ewig und drei Tage sitze . . . Dagegen trank er mit Vergnügen, ja mit einer gewissen Hingebung von dem Wein, und gab unter sorg-fältiger Vermeidung allzu gefühlvoller Wendungen wiederholt seiner Genugtuung Ausdruck, daß jemand da sei, mit dem man ein vernünftiges Wort reden könne.

»Ja, es ist brillant, daß du gekommen bist!« sagte er, und seine gemächliche Stimme war bewegt. »Ich kann wohl sagen, es ist für mich geradezu ein Ereignis. Das ist doch einmal eine Ab-wechslung, - ich meine, es ist ein Einschnitt, eine Gliederung in dem ewigen, grenzenlosen Einerlei . . .«

»Aber die Zeit muß euch eigentlich schnell hier vergehen«, meinte Hans Castorp.

»Schnell und langsam, wie du nun willst«, antwortete Joachim. »Sie vergeht überhaupt nicht, will ich dir sagen, es ist gar keine Zeit, und es ist auch kein Leben, - nein, das ist es nicht«, sagte er kopfschüttelnd und griff wieder zum Glase.

Auch Hans Castorp trank, obgleich sein Gesicht nun wie Feuer brannte. Aber am Körper war ihm noch immer kalt, und

eine besondere freudige und doch etwas quälende Unruhe war in seinen Gliedern. Seine Worte überhasteten sich, er versprach sich des öfteren und ging mit einer wegwerfenden Handbewe-gung darüber hin. Übrigens war auch Joachim in belebter Stim-mung, und um so freier und aufgeräumter ging ihr Gespräch, als die summende, pochende Dame ganz plötzlich aufgestanden und davongegangen war. Sie gestikulierten beim Essen mit den Gabeln, machten, einen Bissen in der Backe, wichtige Mienen, lachten, nickten, hoben die Schultern und hatten noch nicht or-dentlich hinuntergeschluckt, wenn sie schon weitersprachen. Joachim wollte von Hamburg hören und hatte das Gespräch auf die geplante Eibregulierung gebracht.

»Epochal!« sagte Hans Castorp. »Epochal für die Entwicklung unserer Schiffahrt, - gar nicht zu überschätzen. Wir setzen fünf-zig Millionen als sofortige einmalige Ausgabe dafür ins Budget, und du kannst überzeugt sein, wir wissen genau, was wir tun.«

Übrigens sprang er, bei aller Wichtigkeit, die er der Eibregulierung beimaß, gleich wieder ab von diesem Thema und ver-langte, daß Joachim ihm Weiteres von dem Leben »hier oben« und von den Gästen erzähle, was auch bereitwillig geschah, da Joachim froh war, sich erleichtern und mitteilen zu können. Das von den Leichen, die man die Bob-Bahn hinuntersandte, mußte er wiederholen und noch einmal ausdrücklich versichern, daß es auf Wahrheit beruhe. Da Hans Castorp wieder vom La-chen ergriffen wurde, lachte auch er, was er herzlich zu genie-ßen schien, und ließ andere komische Dinge hören, um der Ausgelassenheit Nahrung zu geben. Eine Dame sitze mit ihm am Tische, namens Frau Stöhr, ziemlich krank übrigens, eine Musikergattin aus Cannstatt, - die sei das Ungebildetste, was ihm jemals vorgekommen. »Desinfiszieren«, sage sie, - aber in vollstem Ernst. Und den Assistenten Krokowski nenne sie den »Fomulus«. Das müsse man nun hinunterschlucken, ohne das Gesicht zu verziehen. Außerdem sei sie klatschsüchtig, wie übrigens die meisten hier oben, und einer anderen Dame, Frau Iltis, sage sie nach, sie trage ein »Sterilett«. »Sterilett nennt sie das, -das ist doch unbezahlbar!« Und halb liegend, gegen die Lehnen ihrer Stühle zurückgeworfen, lachten sie so sehr, daß ihnen der Leib bebte und sie fast gleichzeitig Schluckauf bekamen.

Zwischendurch betrübte Joachim sich und gedachte seines Loses.

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»Ja, da sitzen wir nun und lachen«, sagte er mit schmerzen-dem Gesicht und zuweilen von den Erschütterungen seines Zwerchfelles unterbrochen; »und dabei ist gar nicht abzusehen, wann ich hier wegkomme, denn wenn Behrens sagt: noch ein halbes Jahr, dann ist es knapp gerechnet, man muß sich auf mehr gefaßt machen. Aber es ist doch hart, sage mal selbst, ob es nicht traurig für mich ist. Da war ich nun schon genommen, und im nächsten Monat könnte ich meine Offiziersprüfung machen. Und nun lungere ich hier herum mit dem Thermometer im Mund und zähle die Schnitzer von dieser ungebildeten Frau Stöhr und versäume die Zeit. Ein Jahr spielt solch eine Rolle in unserem Alter, es bringt im Leben unten so viele Veränderun-gen und Fortschritte mit sich. Und ich muß hier stagnieren wie ein Wasserloch, - ja, ganz wie ein fauliger Tümpel, es ist gar kein krasser Vergleich . . .«