»Lassen Sie mich raten. Das Raumschiff, das Sie hierher gebracht hat?«
25
Auf dem Neonschild über der Tür stand WILTON HOTEL FOR WOMEN.
Kelly und Diane gingen ins Foyer und trugen sich unter falschen Namen ein. Die Frau an der Rezeption reichte Kelly einen Schlüssel. »Suite Nummer vier-zwo-vier. Haben Sie Gepäck?«
»Nein, wir .«
»Es ging verloren«, warf Diane ein. »Morgen früh müsste es hier sein. Übrigens, unsere Männer wollen uns demnächst abholen. Könnten Sie sie auf unser Zimmer schicken und .«
Die Frau an der Rezeption schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid. Männer dürfen nicht nach oben.«
»Oh?« Diane bedachte Kelly mit einem zufriedenen Lächeln.
»Wenn sie sich hier unten mit Ihnen treffen möchten .«
»Ist schon gut. Dann müssen sie eben ohne uns zurechtkommen.«
Suite Nummer 424 bestand aus einem geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer mit einer Couch, mehreren Sesseln, Tischen und einem Kleiderschrank und einem Schlafzimmer mit zwei bequem aussehenden Doppelbetten.
Diane blickte sich um. »Das ist doch hübsch, nicht wahr?«
»Was machen wir hier eigentlich?«, versetzte Kelly säuerlich. »Wollen wir etwa ins Guinness-Buch der Rekorde? Alle halbe Stunde ein anderes Zimmer?«
»Haben Sie eine bessere Idee?«
»Das ist keine Idee«, erwiderte Kelly verächtlich. »Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, und wir sind die Maus.«
»Ich darf gar nicht daran denken, dass uns möglicherweise der Kopf der größten Denkfabrik der Welt umbringen will«, sagte Diane.
»Dann denken Sie nicht daran.«
»Leichter gesagt, als getan. Bei der KIG gibt es eine Menge Schlaumeier.«
»Tja, dann müssen wir eben noch schlauer sein.«
Kelly runzelte die Stirn. »Wir brauchen irgendeine Waffe. Können Sie mit einer Pistole umgehen?«
»Nein.«
»Verdammt. Ich auch nicht.«
»Ist auch egal. Wir haben sowieso keine.«
»Wir sieht’s mit Karate aus?«
»Nein, aber ich war am College im Diskussionsseminar«, erwiderte Diane trocken. »Vielleicht kann ich ihnen ausreden, uns umzubringen.«
»Genau.«
Diane ging zum Fenster und blickte auf den Verkehr auf der Vierunddreißigsten Straße. Plötzlich riss sie die Augen auf und keuchte. »Oh!«
Kelly stürmte zu ihr. »Was ist los? Was haben Sie gesehen?«
Diane hatte einen trockenen Hals. »Ein ... ein Mann ist vorbeigegangen. Er sah genauso aus wie Richard. Einen Moment lang dachte ich .« Sie wandte sich vom Fenster ab.
»Soll ich einen Gespensterjäger holen?«, fragte Kelly verächtlich.
Diane wollte etwas erwidern, schwieg dann aber. Was soll’s? Wir sind bald weg.
Kelly musterte Diane und dachte: Warum hältst du nicht einfach den Mund und malst irgendwas?
Tanner war wütend, als Flint ihn per Handy anrief. »Tut mir Leid, Mr. Kingsley. Sie waren nicht in ihrem Zimmer im Mandarin. Sie waren weg. Sie müssen gewusst haben, dass ich komme.«
»Diese Weiber wollen mich austricksen«, versetzte Tanner aufgebracht. »Mich! Ich melde mich wieder.« Er knallte den Hörer auf die Gabel.
Andrew lag auf der Couch in seinem Büro und träumte, er stünde auf der großen Bühne der Stockholmer Konzerthalle. Das Publikum jubelte begeistert und rief: »Andrew! Andrew!« Ein ums andere Mal hallte sein Name durch den Saal.
Er hörte den Applaus des Publikums, als er über die Bühne ging, um von König Carl XVI. Gustav von Schweden den Nobelpreis entgegenzunehmen. Als er die Hand nach der Urkunde ausstreckte, fing jemand an, ihn zu beschimpfen.
»Andrew, du Mistkerl, komm her.«
Die Stockholmer Konzerthalle verblasste, und Andrew war wieder in seinem Büro. Tanner rief nach ihm.
Er braucht mich, dachte Andrew glücklich. Langsam erhob er sich und ging in das Büro seines Bruders.
»Bin schon da«, sagte Andrew.
»Ja, das sehe ich«, blaffte Tanner ihn an. »Setz dich.«
Andrew nahm sich einen Stuhl.
»Ich muss dir ein paar Sachen beibringen, großer Bruder. Teilen und herrschen.« Tanner schlug einen arroganten Ton an. »Ich habe dafür gesorgt, dass Diane Stevens meint, die Mafia habe ihren Mann umgebracht, und Kelly Harris sorgt sich um eine nicht existierende Olga. Hast du verstanden?«
»Ja, Tanner«, sagte Andrew gedankenverloren.
Tanner tätschelte seinem Bruder die Schulter. »Du bist der ideale Ansprechpartner für mich, Andrew. Es gibt ein paar Sachen, die ich mit dir bereden möchte, weil ich mit niemand anderem darüber sprechen kann. Aber dir kann ich alles sagen, weil du zu dumm bist, um es zu begreifen.« Er schaute seinem Bruder in die Augen und sah dessen geistesabwesenden Blick. »Du siehst nichts, du hörst nichts, du sagst nichts.« Tanner wurde mit einem Mal ernst. »Wir müssen ein Problem lösen. Zwei Frauen sind verschwunden. Sie wissen, dass wir hinter ihnen her sind, um sie zu töten, deshalb versuchen sie unterzutauchen. Wo könnten sie sich verstecken, Andrew?«
Andrew schaute seinen Bruder einen Moment lang an.
»Ich - ich weiß es nicht.«
»Es gibt zwei Möglichkeiten, das herauszufinden. Zunächst mal versuchen wir es nach der kartesianischen Methode, indem wir logisch Schritt für Schritt vorgehen. Lass uns einfach nachdenken.«
Andrew blickte ihn an und sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Wenn du meinst .«
Tanner fing an, auf und ab zu gehen. »In Stevens’ Apartment kehren sie nicht zurück, weil das zu gefährlich wäre - wir lassen es überwachen. Wir wissen, dass Kelly Harris keine Freunde in den Staaten hat, denen sie trauen würde, weil sie seit langem in Paris lebt.« Er blickte seinen Bruder an.
»Kannst du mir folgen?«
Andrew zwinkerte. »Ich ... Ja, Tanner.«
»Nun, würde sich Diane Stevens an Freunde wenden, wenn sie Hilfe sucht? Das glaube ich nicht. Das wäre zu gefährlich. Sie könnten sich möglicherweise an die Polizei wenden, aber andererseits wissen sie auch, dass man sie wahrscheinlich auslachen würde. Was also könnten sie unternehmen?« Er schloss ein paar Sekunden lang die Augen, dann fuhr er fort. »Natürlich könnten sie daran denken, sich abzusetzen, aber sie sind sich vermutlich darüber im Klaren, dass wir sämtliche Flughäfen, Bahnhöfe und Busbahnhöfe überwachen. Was also käme noch in Frage?«
»Ich . ich . bin ganz deiner Meinung, Tanner.«
»Ein Hotel käme in Frage, Andrew. Sie könnten sich in einem Hotel verstecken. Aber in was für einem Hotel? Zwei verängstigte Frauen, die auf der Flucht sind. Sie müssten immer damit rechnen, dass man Verbindung mit uns aufnimmt, egal, für welches sie sich entscheiden, verstehst du? Sie können sich nicht sicher fühlen. Kannst du dich noch an Sonja Verbrügge in Berlin erinnern? Wir haben sie mit der dringenden Nachricht überlistet, die wir ihr auf den Bildschirm geschickt haben. Sie ist im Hotel Artemisia abgestiegen, weil dort nur Frauen unterkommen. Deshalb dachte sie, sie wäre dort in Sicherheit. Nun ja, ich glaube die Damen Stevens und Harris denken ganz ähnlich. Was also schließen wir daraus?«
Er wandte sich wieder seinem Bruder zu. Andrew hatte die Augen geschlossen und schlief. Tanner ging zu ihm und schlug ihm ins Gesicht.
Andrew fuhr hoch. »Was ...?«:
»Pass gefälligst auf, wenn ich mit dir rede, du Trottel.«
»Ich . Tut mir Leid, Tanner. Ich war nur .«
Tanner ging an den Computer. »Nun ja, mal sehen, welche Hotels in Manhattan nur Frauen aufnehmen.«
Tanner klinkte sich ins Internet ein, stellte ein paar Recherchen an und druckte das Ergebnis aus. Er las die Namen laut vor. »Das El Carmelo Residence an der Westlichen Vierzehnten Straße, das Centro Maria Residence an der Westlichen Vierundfünfzigsten Straße, das Parkside Evangeline an der Südlichen Gramercy und das Wilton Hotel for Women.« Er blickte auf und lächelte. »Dort könnten sie laut kartesianischer Logik sein, Andrew. Nun wollen wir doch mal sehen, was uns die Technologie verrät.«