»Fünf Millionen, die er sich von der einen in die andere Tasche stecken kann«, sagte Kelly leise.
Tanner blickte über das Publikum hinweg zu Kelly und Diane, und seine Augen wurden mit einem Mal eisig. »Zwei leidgeprüfte Hinterbliebene weilen heute unter uns, die Ehefrauen von Mr. Mark Harris und Mr. Richard Stevens. Ich möchte sie bitten, zu uns auf das Podium zu kommen.«
»Wir dürfen nicht hinaufgehen«, sagte Kelly erschrocken. »Wir müssen in der Menge bleiben. Was machen wir jetzt?«
Diane blickte Kelly überrascht an. »Was meinen Sie damit? Sie wollten sich doch eine Möglichkeit einfallen lassen, wie wir hier wieder rauskommen, erinnern Sie sich? Setzen Sie Ihren Plan in die Tat um.«
Kelly schluckte. »Es hat nicht geklappt.«
»Dann gehen Sie zu Plan B über«, sagte Diane nervös.
»Diane .« »Ja?«
»Es gibt keinen Plan B.«
Diane riss die Augen auf. »Sie meinen, wir sind hierher gekommen, ohne dass Sie einen Ausweg wissen?«
»Ich dachte .«
Tanners Stimme dröhnte aus den Lautsprechern. »Würden Mrs. Stevens und Mrs. Harris jetzt bitte hochkommen?«
Kelly wandte sich an Diane und sagte: »Ich ... Es tut mir Leid.«
»Es ist meine Schuld. Ich hätte nicht darauf dringen dürfen, dass wir hierher gehen.«
Die Zuhörer drehten sich zu ihnen um. Sie saßen in der Falle.
»Mrs. Stevens und Mrs. Harris .«
»Wir haben keine andere Wahl«, sagte Diane. »Wir gehen hinauf.« Sie atmete tief durch. »Los.«
Zögernd gingen die beiden Frauen auf das Podium zu.
Diane schaute zu Betty Barker, die mit entsetzter Miene dasaß und den Blick auf sie geheftet hatte.
Diane und Kelly spürten, wie ihr Herz schneller schlug, als sie sich der Bühne näherten.
Richard, mein Liebster, dachte Diane, ich habe es versucht. Egal, was passiert, ich möchte, dass du weißt, wie .
Mit einem Mal wurden an der Rückseite des Parks Rufe laut. Die Zuhörer reckten die Köpfe, um zu sehen, was dort los war.
Ben Roberts war am Eingang aufgetaucht, begleitet von einem Kamerateam und etlichen Assistenten.
Die beiden Frauen wandten sich um. Kelly fasste Diane am Arm und schaute sie mit strahlender Miene an. »Plan A hat doch geklappt! Ben ist da.«
Und Diane blickte auf und sagte leise: »Danke, Richard.«
»Was?«, entfuhr es Kelly. Dann wurde ihr mit einem Mal klar, was Diane meinte. »Gut. Kommen Sie. Ben wartet auf uns.«
Tanner beobachtete das Geschehen mit starrer Miene. »Entschuldigen Sie«, rief er dann. »Tut mit Leid, Mr. Roberts. Aber dies ist eine private Gedenkfeier. Ich muss Sie und Ihr Team bitten, uns zu verlassen.«
»Guten Morgen, Mr. Kingsley«, sagte Ben Roberts. »Ich wollte für meine Sendung ein kurzes Porträt von Mrs. Harris und Mrs. Stevens im Studio aufzeichnen, aber da wir nun schon mal hier sind, dachte ich, wir dürften vielleicht auch ein paar Bilder von der Gedenkfeier bringen.«
Tanner schüttelte den Kopf. »Nein, Sie können leider nicht hier bleiben.«
»Schade. Dann nehme ich Mrs. Harris und Mrs. Stevens direkt ins Studio mit.«
»Das geht nicht«, versetzte Tanner barsch.
Ben schaute ihn an. »Was geht nicht?«
Tanner zitterte beinahe vor Wut. »Ich ... ich meine ... Sie ... ach, nichts.«
Die beiden Frauen waren jetzt bei Ben.
»Tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe«, sagte er leise. »Aber ich musste noch einen Nachrichtenbeitrag über einen Mord schneiden und .«
»Um ein Haar hättest du über zwei weitere Morde berichten können«, sagte Kelly. »Nichts wie weg von hier.«
Tanner musste ohnmächtig mit ansehen, wie sich Kelly, Diane, Ben Roberts und sein Team an seinen Männern vorbeidrängten und den Park verließen.
Harry Flint blickte zu Tanner und wartete auf dessen Anweisungen. Als Tanner langsam den Kopf schüttelte, dachte er: Es ist noch nicht vorbei, ihr zwei.
Diane und Kelly stiegen in Ben Roberts’ Wagen. Sein Team folgte ihnen mit zwei Kleinbussen.
Roberts wandte sich an Kelly. »Nun, kannst du mir vielleicht verraten, was das Ganze soll?«
»Ich wünschte, ich könnte es, Ben. Aber noch ist es nicht so weit. Sobald ich weiß, worum es geht, sage ich’s dir. Ich verspreche es.«
»Kelly, ich bin Reporter. Ich muss wissen .«
»Heute bist du als Freund gekommen.«
Roberts seufzte. »Na schön. Wohin soll ich euch bringen?«
»Könnten Sie uns am Times Square, Ecke Zweiundvierzigste Straße absetzen?«
»Wird gemacht.«
Zwanzig Minuten später stiegen Kelly und Diane aus.
Kelly küsste Ben Roberts auf die Wange. »Danke, Ben. Das werde ich dir nie vergessen. Wir bleiben in Verbindung.«
»Passt auf euch auf.«
Sie winkten ihm zu, wandten sich dann ab und gingen weg.
»Ich komme mir nackt vor«, sagte Kelly.
»Wieso?«
»Diane, wir haben keinerlei Waffen, nichts. Ich wünschte, wir hätten eine Pistole.«
»Wir haben unseren Verstand.«
»Ich wünschte, wir hätten eine Schusswaffe. Was wollen wir hier? Was sollen wir jetzt machen?«
»Wir laufen nicht mehr davon. Ab jetzt gehen wir in die Offensive.«
Kelly blickte sie fragend an. »Was soll das heißen?« »Das heißt, dass ich es satt habe, die Zielscheibe abzugeben. Wir nehmen sie uns vor, Kelly.«
Kelly schaute Diane einen Moment lang an. »Wir nehmen uns die KIG vor?«
»Ganz recht.«
»Sie haben zu viele Krimis gelesen. Wie sollen wir zwei denn die größte Denkfabrik der Welt in die Knie zwingen?«
»Zunächst besorgen wir uns die Namen aller Mitarbeiter, die in den letzten paar Wochen ums Leben gekommen sind.«
»Wie kommen Sie darauf, dass es neben Mark und Richard noch andere gibt?«
»Weil in der Ankündigung in der Zeitung von all ihren Mitarbeitern die Rede war. Da werden es wohl mehr als zwei gewesen sein.«
»Oh. Und wer wird uns die Namen verraten?«
»Ich zeig’s Ihnen«, erwiderte Diane.
Das Internet-Café namens Easy Access bestand aus einem großen Saal mit etlichen Reihen kleiner Kabuffs, in denen alles in allem gut vierhundert Computer standen, die meisten davon besetzt. Es gehörte zu einer Kette, die Filialen in aller Welt besaß.
Als sie das Café betraten, ging Diane zum Automaten und besorgte sich eine Karte, mit der sie eine Stunde lang Zugang zum Internet hatten.
Als sie zurückkam, fragte Kelly? »Wo fangen wir an?«
»Fragen wir den Computer.«
Sie fanden ein freies Kabuff und nahmen Platz.
Kelly sah zu, wie Diane sich ins Internet einloggte. »Was kommt jetzt?« »Zunächst suchen wir über Google die Namen anderer Opfer, die bei der KIG beschäftigt waren.«
Diane klickte www.google.com an und gab ihre Suchbegriffe ein: »Nachruf« und »KIG«.
Eine lange Liste mit Referenzstellen erschien am Bildschirm. Diane suchte insbesondere nach Zeitungsveröffentlichungen, die online abrufbar waren, und fand etliche. Sie klickte die entsprechenden Links zu einer Reihe unlängst veröffentlichter Nachrufe und Artikel an. In einem der Artikel wurde auf die KIG-Niederlassung in Berlin verwiesen, worauf sie die entsprechende Website besuchte.
»Das ist ja interessant ... Franz Verbrügge.«
»Wer ist das?«
»Die Frage lautet eher, wo er ist. Anscheinend ist er verschwunden. Er hat bei der KIG in Berlin gearbeitet, und seine Frau Sonja kam unter mysteriösen Umständen ums Leben.«
Diane klickte einen weiteren Link an, zögerte einen Moment und blickte dann zu Kelly auf. »Mark Harris - in Frankreich.«