Kelly ging zum Umkleideraum zurück. Als sie an die Tür kam, hörte sie eines der Models sagen: »Will Kelly den wirklich heiraten?«
Kelly blieb stehen und lauschte.
»Sie muss verrückt geworden sein.«
»Ich habe gesehen, wie sie den hübschesten Männern auf der Welt einen Laufpass gegeben hat, und den reichsten dazu. Was findet sie nur an ihm?«
Eines der Models, das bislang geschwiegen hatte, ergriff das Wort. »Das ist doch ganz einfach«, sagte sie.
»Was denn?«
»Ihr werdet lachen.« Sie zögerte einen Moment.
»Mach schon.«
»Habt ihr schon mal den Spruch >Liebe macht blind< gehört?«
Niemand lachte.
Die Trauung fand im Justizministerium in Paris statt, und sämtliche Models nahmen als Brautjungfern daran teil. Draußen auf der Straße hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, nachdem sich die Nachricht von der Hochzeit des Supermodels Kelly herumgesprochen hatte. Und natürlich waren auch sämtliche Paparazzi aufmarschiert.
Sam Meadows war Marks Trauzeuge. »Wo wollt ihr die Flitterwochen verbringen?«, fragte Meadows.
Mark und Kelly blickten einander an. Sie hatten noch keinen Gedanken an die Flitterwochen verschwendet.
Mark sagte: »Äh ...« Dann nannte er den erstbesten Ort, der ihm einfiel. »In Sankt Moritz.«
Kelly lächelte beklommen. »Ja, in Sankt Moritz.«
Keiner von beiden war schon einmal in St. Moritz gewesen, und dementsprechend überwältigt waren sie von dem Ausblick, der sich ihnen bot, einem atemberaubenden Panorama aus majestätischen Bergen und lieblichen Tälern.
Das Hotel Palace Badrutt stand auf einem hohen Hügel. Mark hatte vorher angerufen und ein Zimmer reserviert, und als sie eintrafen, wurden sie vom Direktor höchstpersönlich in Empfang genommen. »Guten Tag, Mr. und Mrs. Harris. Ich habe unsere Hochzeitssuite für Sie vorbereiten lassen.«
Mark schwieg einen Moment lang. »Könnten Sie ... könnten Sie uns vielleicht ein zweites Bett in der Suite aufstellen?«
»Ein zweites Bett?«, fragte der Direktor mit ausdrucksloser Stimme.
»Äh ... ja, bitte.«
»Oh, selbstverständlich.«
»Vielen Dank.« Mark wandte sich an Kelly. »Hier gibt’s allerhand interessante Sachen zu sehen.« Er zog eine Liste aus der Tasche. »Das Engadiner Museum, den Druidenstein, den Sankt-Mauritius-Brunnen, auch einen schiefen Turm ...«
Als Mark und Kelly allein in ihrer Suite waren, sagte Mark: »Liebling, ich möchte keine Situation aufkommen lassen, in der du dich unwohl fühlst. Wir veranstalten diese Flitterwochen ja nur, damit kein Klatsch aufkommt. Wir werden unser ganzes Leben gemeinsam verbringen. Und das, was uns verbindet, ist wichtiger als alles Körperliche. Ich möchte einfach mit dir zusammen sein und dich bei mir haben.«
Kelly nahm ihn in die Arme und schmiegte sich an ihn.
»Ich . ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Mark lächelte. »Du musst doch gar nichts sagen.«
Sie speisten im Restaurant unten im Erdgeschoss zu Abend und gingen dann wieder auf ihre Suite. Mittlerweile war ein zweites Doppelbett aufgestellt worden.
»Wollen wir eine Münze werfen?«
Kelly lächelte. »Such dir einfach eins aus.«
Als Kelly fünfzehn Minuten später aus dem Badezimmer kam, lag Mark bereits im Bett.
Kelly ging zu ihm und setzte sich auf die Bettkante.
»Mark, bist du sicher, dass du damit klarkommst?«
»So sicher, wie ich mir in meinem ganzen Leben noch nie gewesen bin.«
»Gute Nacht.«
Kelly ging in ihr Bett, lag dann da und dachte nach. Sie ließ noch einmal die Nacht Revue passieren, die ihr Leben verändert hatte. Schscht! Sei still ... Wenn du deiner Mutter was davon erzählst, komm ich wieder und bring sie um. Dieses Ungeheuer hatte ihr etwas angetan, das ihr ganzes Dasein bestimmte. Er hatte etwas in ihr abgetötet und ihr Angst eingeflößt . Angst vor der Dunkelheit . Angst vor Männern . Angst vor der Liebe. Sie hatte sich seiner Macht unterworfen. Ich darf das nicht mehr zulassen. Auf keinen Fall. All die Gefühle, die sie so lange unterdrückt hatte, all die Leidenschaft, die sich im Laufe der Jahre aufgestaut hatte, brachen aus ihr hervor, als wäre ein Damm geborsten. Kelly blickte zu Mark, und mit einem Mal sehnte sie sich nach ihm, begehrte ihn mit aller Macht. Sie schlug die Zudecke zurück und ging zu seinem Bett. »Rutsch rüber.«
Mark setzte sich verdutzt auf. »Du hast doch gesagt, du . du willst nicht, dass ich in dein Bett komme, und ich .«
Kelly schaute ihn an und sagte leise: »Aber ich habe nicht gesagt, dass ich nicht in dein Bett will.« Sie betrachtete seine Miene, als sie ihr Nachthemd auszog und zu ihm ins Bett schlüpfte. »Nimm mich in die Arme«, flüsterte sie.
»Ja, Kelly! O ja!«
Er begann sanft und zärtlich. Zu sanft. Zu zärtlich. Die Schleusen hatten sich geöffnet, und Kelly brauchte ihn jetzt, wollte ihn unbedingt spüren. Sie liebte ihn mit einer Wildheit, die sie sich niemals zugetraut hätte, und gab sich dem wunderbaren Gefühl hin, das alles übertraf, was sie jemals erlebt hatte.
Als sie hinterher eng umschlungen beisammenlagen und sich ausruhten, sagte Kelly: »Kannst du dich an die Liste erinnern, die du mir gezeigt hast?«
»Ja.«
»Die kannst du wegwerfen«, sagte sie leise.
Mark grinste.
»Was bin ich bloß für ein Dummkopf gewesen«, sagte Kelly. Sie schmiegte sich an Mark, und sie redeten miteinander, liebten sich dann ein weiteres Mal, bis sie schließlich beide restlos erschöpft waren.
»Ich mache das Licht aus«, sagte Mark.
Sie verkrampfte sich und kniff die Augen zu, wollte Nein sagen. Aber sie spürte seinen warmen Körper neben sich, der sie beschützte, und so schwieg sie.
Als Mark das Licht ausgeschaltet hatte, schlug sie die Augen auf.
Und Kelly stellte fest, dass sie sich nicht mehr vor der Dunkelheit fürchtete. Sie ...
»Kelly? Kelly!«
Sie wurde jäh aus ihrem Tagtraum gerissen, blickte auf, und mit einem Mal war sie wieder in einem Juwelierladen an der Fifth Avenue in New York. Joseph Berry hielt ihr einen dicken Briefumschlag hin.
»Bitte sehr. Zwanzigtausend Dollar in Hundertdollarscheinen, genauso, wie Sie es wünschten.«
Es dauerte einen Moment, bis Kelly sich wieder gefasst hatte. »Vielen Dank.«
Kelly öffnete den Umschlag, nahm zehntausend Dollar heraus und reichte sie Diane.
Diane schaute sie verdutzt an. »Was soll das?«
»Das ist Ihre Hälfte.«
»Wofür? Ich kann doch nicht ...«
»Sie können es mir ja später zurückzahlen.« Kelly zuckte die Achseln. »Falls wir dann noch leben. Wenn nicht, brauche ich eh nichts mehr. Nun wollen wir doch mal sehen, wie wir von hier wegkommen.«
34
An der Lexington Avenue hielt Diane ein Taxi an.
»Wohin fahren wir?«
»La Guardia.«
Kelly schaute Diane überrascht an. »Ist Ihnen denn nicht klar, dass die alle Flughäfen überwachen?«
»Das will ich doch hoffen.«
»Was wollen Sie ...?« Kelly stöhnte auf. »Sie haben einen Plan, stimmt’s?«
Diane tätschelte Kellys Hand und lächelte. »Genau.«
Am La Guardia folgte Kelly Diane ins Flughafengebäude und zum Schalter von US Airways.
»Guten Morgen«, sagte der Angestellte der Fluggesellschaft, der hinter dem Schalter stand. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Diane lächelte. »Ja, wir hätten gern zwei Tickets nach Los Angeles.«
»Wann möchten Sie abfliegen?«
»Wenn möglich mit der nächsten Maschine. Auf die Namen Diane Stevens und Kelly Harris.«