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Während sie sich anzog, blickte sich Kelly in dem Penthouse um, und wie immer hatte sie das Gefühl, als ob mit ihr ein Wunder geschehen wäre. Das Apartment war atemberaubend. Es lag an der exklusiven Rue St.-Louis-en-L’île im 4. Arrondissement von Paris. Eine Doppeltür führte in eine elegante Vorhalle mit hoher Decke und einer Wandtäfelung in sanften Gelbtönen. Das Wohnzimmer war teils mit modernem französischen Mobiliar, teils im Stil der Régence eingerichtet. Von der Terrasse aus hatte man freien Blick über die Seine zur Kathedrale Notre Dame.

Kelly freute sich schon auf das kommende Wochenende, an dem ihr Mann mit ihr einen seiner Überraschungsausflüge unternehmen wollte.

Ich möchte, dass du dich schick machst. Du wirst bestimmt begeistert sein, wenn wir dort sind.

Kelly lächelte vor sich hin. Mark war der wunderbarste Mann auf der Welt. Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ich sollte mich beeilen, dachte sie. Die Modenschau fängt in einer halben Stunde an. Kurz darauf verließ sie das Apartment und ging den Flur entlang zum Aufzug. Noch ehe sie ihn erreicht hatte, öffnete sich die Tür der Nachbarwohnung, und Madame Josette Lapointe trat auf den Korridor heraus. Sie war eine kleine, rundliche Frau, die stets ein freundliches Wort für Kelly übrig hatte.

»Guten Tag, Madame Harris.«

Kelly lächelte. »Guten Tag, Madame Lapointe.«

»Sie sehen wie immer hinreißend aus.«

»Vielen Dank.« Kelly drückte auf den Fahrstuhlknopf.

Ein paar Schritte entfernt hantierte ein stämmiger Mann in Arbeitskleidung an einem Schaltkasten an der Wand. Er warf einen kurzen Blick auf die beiden Frauen und wandte sich rasch wieder ab.

»Wie ergeht es Ihnen denn so als Mannequin?«

»Sehr gut, danke.«

»Ich muss mir demnächst mal eine Ihrer Modenschauen ansehen.«

»Ich würde mich freuen. Das lässt sich jederzeit arrangieren.«

Der Aufzug kam und Kelly und Madame Lapointe stiegen in die Kabine. Der Mann in der Arbeitskluft holte ein kleines Walkie-Talkie aus der Tasche, sprach ein paar kurze Worte hinein und entfernte sich raschen Schrittes.

Kurz bevor sich die Fahrstuhltür schloss, hörte Kelly das Telefon in ihrem Apartment klingeln. Sie zögerte einen Moment. Sie war in Eile, aber vielleicht kam der Anruf von Mark.

»Fahren Sie ruhig schon«, sagte sie zu Madame Lapointe.

Kelly trat aus dem Aufzug, kramte nach ihrem Schlüssel, fand ihn und lief in ihre Wohnung. Sie rannte zum klingelnden Telefon und nahm den Hörer ab. »Mark?«

»Nanette?«, fragte eine fremde Stimme.

Kelly war enttäuscht. »Nous ne connaissons pas la personne qui repond à ce nom.«

»Pardonnez-moi. C’est une erreur de téléphone.«

Verwählt. Kelly legte den Hörer auf. Im gleichen Augenblick hörte sie einen gewaltigen Schlag, der das ganze Gebäude erschütterte, kurz darauf Stimmengewirr und laute Schreie. Erschrocken stürmte sie auf den Flur, um nachzusehen, was geschehen war. Die Geräusche kamen von unten. Kelly rannte die Treppe hinab, und als sie ins Foyer kam, vernahm sie aufgeregte Stimmen aus dem Keller.

Beklommen stieg sie die Stufen hinab und blieb dann erschrocken stehen, als sie den zerschmetterten Körper von Madame Lapointe sah. Kelly meinte jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Die arme Frau. Vor einer Minute war sie noch am Leben, und jetzt ... Und ich hätte ebenfalls da drin sein können. Wenn der Anruf nicht gewesen wäre ...

Eine Menschentraube scharte sich um den Aufzug, und in der Ferne ertönten Sirenen. Ich müsste eigentlich hier bleiben, dachte Kelly schuldbewusst, aber ich kann nicht. Ich muss weg. Sie warf einen Blick auf die Leiche und flüsterte:

»Es tut mir so Leid, Madame Lapointe.«

Als Kelly beim Modehaus eintraf und den Eingang für die Mitwirkenden nahm, wartete Pierre, der nervöse Koordinator, bereits auf sie.

Er kam auf sie zugestürmt. »Kelly! Kelly! Du kommst zu spät! Die Modenschau hat bereits begonnen und ...«

»Tut mir Leid, Pierre. Es.. es gab einen schweren Unfall.«

Bestürzt schaute er sie an. »Bist du verletzt?«

»Nein.« Kelly schloss einen Moment lang die Augen. Bei der Vorstellung, dass sie nach dem, was sie soeben erlebt hatte, arbeiten sollte, wurde ihr übel, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sie war der Star der Modenschau.

»Beeilung!«, rief Pierre. »Vite!«

Kelly begab sich zu ihrer Garderobe.

Die renommierteste Modenschau des Jahres fand an der Rue Cambon statt, in dem Salon, in dem ursprünglich Chanel residiert hatte. Die Paparazzi hatten die vorderen Reihen in Beschlag genommen. Sämtliche Plätze waren besetzt, und weiter hinten standen dicht gedrängt weitere Gäste, die unbedingt einen Blick auf die neuesten Entwürfe für die kommende Saison werfen wollten. Der Raum war anlässlich des großen Ereignisses mit Blumen und Stoffbahnen geschmückt, aber niemand achtete auf das Dekor. Aller Augen waren auf den langen Laufsteg gerichtet - auf die farbenprächtige Parade der eleganten Schönheiten. Im Hintergrund lief leise Musik, deren langsamer, sinnlicher Rhythmus die anmutigen Bewegungen der Mannequins unterstrich.

Während die bezaubernden Models auf und ab schritten, ertönte aus den Lautsprechern der Kommentar des Conferenciers zu den einzelnen Modellen.

Eine braunhaarige Asiatin kam auf den Laufsteg. »... ein Jackett aus Satin und Wolle mit besticktem Kragen, dazu eine Georgettehose und eine weiße Bluse .«

Eine schlanke Blondine tänzelte den Laufsteg entlang. »... trägt einen schwarzen Cashmere-Turtleneck mit einer weißen Cargo-Hose aus Baumwolle .«

Eine blasiert wirkende Rothaarige trat auf. »... eine schwarze Lederjacke, dazu eine Hose aus schwarzer Schantungseide und eine weiße Strickbluse .«

Ein französisches Model. »... eine pinkfarbene Angorajacke mit drei Knöpfen, ein pinkfarbener Rollkragenpullover mit Zopfmuster und eine schwarze Hose mit Aufschlägen .«

Dann kam der Augenblick, auf den alle warteten. Das schwedische Mannequin war abgegangen, und der Laufsteg war leer. »Und nun, da die Badesaison naht«, ertönte die Stimme des Conferenciers aus den Lautsprechern, »freuen wir uns, Ihnen unsere neue Strandmode vorstellen zu können.«

Erwartungsvolles Murmeln erhob sich, das allmählich anschwoll, als Kelly Harris auftrat. Sie trug einen weißen Bikini mit einem Oberteil, das ihre jugendlich festen Brüste kaum verhüllte, und ein knappes, ihre Figur betonendes Höschen. Alle blickten wie gebannt auf sie, als sie mit sinnlich geschmeidigen Bewegungen über den Laufsteg schwebte. Dann brandete der Applaus auf. Kelly quittierte ihn mit einem leichten Lächeln, machte kehrt und trat ab.

Hinter dem Vorhang erwarteten sie zwei Männer.

»Mrs. Harris, haben Sie einen Moment Zeit ...?«:

»Tut mir Leid«, erwiderte Kelly bedauernd. »Aber ich muss mich rasch umziehen.« Sie wollte weggehen.

»Moment! Mrs. Harris! Wir sind von der Kriminalpolizei. Ich bin Chefinspektor Dune, und das ist Inspektor Steunou. Wir müssen mit Ihnen reden.«

Kelly blieb stehen. »Die Polizei? Worüber wollen Sie mit mir reden?«

»Sie sind doch Mrs. Harris, ja?«

»Ja.« Mit einem Mal wurde ihr bang ums Herz.

»Dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ... dass ihr Mann letzte Nacht ums Leben gekommen ist.«

Kellys Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. »Mein Mann ... Wie ...?«

»Offenbar hat er Selbstmord begangen.«

Kelly hatte mit einem Mal ein starkes Dröhnen in den Ohren. Sie konnte kaum noch verstehen, was der Chefinspektor sagte. ». Eiffelturm ... Mitternacht ... Abschiedsbrief ... sehr bedauerlich ... tiefstes Mitgefühl.«