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Athelstan erhob sich. »Steh auf«, befahl er.

Boscombe rappelte sich hoch.

»Trägst du dieselben Kleider wie heute morgen?«

»Ja, natürlich - heute morgen allerdings, Bruder, war das noch mein Sonntagsstaat.« Boscombe zerrte an seinem milchweißen Wams und berührte die weiche, braune Wollhose; beides war schmutzig und starrte vor Dreck.

»Seht ihn Euch an, Sir John«, sagte Athelstan. »Hat dieser Mann Sir Gerard einen Dolch ins Herz gestoßen?«

»Nun …«, murmelte Cranston, und er packte Boscombes Handgelenke und betrachtete aufmerksam beide Ärmel. »Keine Blutspuren zu finden.« Er schlug dem Diener so herzhaft auf die Schulter, daß der arme Boscombe beinahe wieder auf das Bett gekippt wäre. »Du bist kein Mörder.« Cranston schmatzte plötzlich, und Athelstan merkte, wie lange der Coroner schon nichts mehr getrunken hatte. »Komm jetzt, mein Junge, wir gehen hinauf.«

Cranston hämmerte an die Tür. Die Wache öffnete, wollte Boscombe aber nicht gehen lassen.

»Verschwinde!« donnerte Cranston. »Wie kannst du es wagen, dich dem Coroner des Königs in den Weg zu stellen?«

Hastig wich der Mann zurück und murmelte eine Entschuldigung. Der Coroner schleifte den armen Boscombe an der Hand hinter sich her, durch den Korridor und ins Rathaus hinauf. Sie fanden den Regenten und die anderen im Garten, wo sie auf Holzbänken saßen und kühlen Weißwein tranken, als wäre es ein schöner Sommertag und alles in bester Ordnung. Den Männern des Haushalts, die den Leichnam des Sheriffs in Tücher gewickelt hatten und ihn jetzt in den Keller hinunterschleppten, um ihn zwischen Weinfässer zu legen, wo er kühl bleiben und nicht stinken würde, schenkten sie keinen Blick.

Cranston und Athelstan traten beiseite, als die Bediensteten, unter ihrer grausigen Bürde fluchend und murrend, vorüberhasteten. In der hinteren Ecke des Gartens lagen die beiden großen Wolfshunde einsam im Gras, als wüßten sie, daß ihr privilegiertes Leben nun vorbei war. Sir John trat schwungvoll vor die sitzenden Männer, den bleichen Boscombe immer noch bei der Hand. Goodman sprang auf, und die übrigen beobachteten Sir John mit schmalen Augen und mißbilligenden Mienen.

Eine unangenehme Bande, dachte Athelstan: Männer, die sich der Anhäufung von Macht und Reichtum verschrieben hatten, dunkle Seelen mit unheimlichen Gedanken und gewaltigem Ehrgeiz. Sie erinnerten ihn an Falken in einem Burghof, die an ihren Fesseln zerrten, bereit, ihren Sitz zu verlassen und zum Töten auf ihre Beute herabzustoßen. Goodman trat Sir John mit großer Geste entgegen.

»Dieser Mann ist ein Gefangener der Stadt!«

»Und ich bin der Coroner der Stadt«, antwortete Cranston. Er hatte Mountjoy auch nie leiden können, aber Goodman verabscheute er als einen Mann, der seine eigene Mutter verraten würde, solange der Preis stimmte.

»Ihr seid aber nicht ermächtigt, ihn freizulassen«, stammelte Goodman.

»Was gibt's, Sir John? fragte Lord Adam Clifford, der neben dem Regenten saß, in trägem Tonfall. Der junge Mann beschirmte seine Augen vor der Spätnachmittagssonne, als er aufblickte. »Gütiger Gott, Mann, Ihr wollt ihn doch jetzt nicht hängen, oder? Ich habe noch nichts gegessen, und dieser Garten hat für einen Tag genug Gewalttätigkeit gesehen.«

Cranston wandte sich an den Regenten. »Mylord, ein kleines Theaterspiel - wenn Ihr gestattet?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Cranston kehrt, zwinkerte Athelstan zu und schob den armen Boscombe in Mountjoys Laube. Achselzuckend stellte der Regent seinen Weinbecher auf den Boden und folgte Cranston. Lord Adam lächelte Athelstan zu.

»Ein feines Theaterspiel«, murmelte er. »Tja, Gentlemen, ich denke, wir sollten Seiner Gnaden folgen.«

In der Laube wurde Boscombe wieder nervös. Er zitterte wie ein Aspik, als Cranston ihn zu der blutbefleckten Rasenbank führte.

»So!« Cranston strahlte Gaunt und die übrigen an, die am Tor standen. »Nun, Master Boscombe« - er zog seinen eigenen langen Dolch -, »jetzt sollst du mich ermorden.« Cranston ließ sich auf die Rasenbank fallen, ohne auf das geronnene Blut zu achten, und schaute grinsend zum Bürgermeister hinüber. »Sir Christopher, seid so gut - einen Becher von dem Wein, den Ihr da trinkt?«

Der Coroner wischte sich die Stirn und befeuchtete seine Lippen. Goodman wollte protestieren, aber Gaunt schnippte mit den Fingern. Der Bürgermeister eilte davon und kam mit einem randvollen Becher zurück, den er dem Coroner in die große Pranke drückte. Wortlos prostete Cranston dem Regenten zu und starrte dann den jämmerlichen Boscombe an, der mit spitzen Fingern den Dolch festhielt, als fürchte er, sich daran zu schneiden, von Sir John ganz zu schweigen.

»Also!« blaffte Cranston und nahm einen Schluck aus seinem Becher. »Erstich mich, Boscombe!«

Athelstan trat vor. »Na los, Mann«, murmelte er. »Mach schon.«

Mit vorgestrecktem Dolch tappte Boscombe auf Sir John zu. Was dann geschah, hätte Athelstan nicht genau sagen können. Cranston trank weiter von seinem Wein, Boscombe stieß zu - aber im nächsten Augenblick hatte der Coroner ihm den Dolch aus der Hand geschlagen und den Diener der Länge nach ins Gras geschleudert. Cranston trank seinen Becher leer und stand auf.

»Der Lord Coroner hat klargemacht, worauf es ihm ankam«, stellte Athelstan taktvoll fest. »Boscombe kann einen Dolch nicht einmal richtig halten. Genau wie Sir John war Sir Gerard ein feuriger Mann. Er hätte Widerstand geleistet, von den Hunden ganz zu schweigen. Und was noch wichtiger ist, Mylord«, fügte Athelstan hinzu, an Gaunt gewandt, »wenn Boscombe ihm den Dolch so tief in die Brust gestoßen hätte, dann müßte er Blutflecken an Händen und Ärmeln haben. Aber«, schloß er und half Boscombe auf die Beine, »solche Flecken gibt es nicht.«

Gaunt starrte erst Athelstan, dann Boscombe an. Seufzend blies er die Wangen auf; dann wühlte er eine Münze aus seinem Beutel und warf sie Boscombe zu, der sie trotz seiner Nervosität geschickt auffing.

»Master Boscombe, dir ist schweres Unrecht geschehen. Warte dort drüben.«

Flink wie ein Kaninchen huschte Boscombe davon und ließ sich bei den großen Wolfshunden nieder. Gaunt trat auf Cranston und Athelstan zu und strich mit der Fingerspitze über den Rand seines Bechers.

»Wenn Boscombe es nicht war«, sagte er leise, »wer war es dann?«

Athelstan und Cranston starrten ihn wortlos an.

»Was noch wichtiger ist«, fuhr Gaunt fort, »wie wurde der Mord vollbracht? Der Garten ist nach allen Seiten geschlossen. Mountjoy war Soldat, und seine Hunde bewachten ihn. Wir haben seinen Weinbecher untersucht, der kein Betäubungsmittel enthielt. Wie also konnte jemand so nah herankommen und den Mann umbringen?« Gaunt deutete auf Sir John. »Mylord Coroner, Ihr und Euer Schreiber werdet heute abend bei dem Bankett meine Gäste sein. Ihr habt den Befehl, diese Sache so schnell wie möglich aufzuklären.« Er schaute seine Begleiter an. »Meine Herren, wir müssen diese Angelegenheit in die fähigen Hände des Lord Coroner legen.«

»Habt Ihr denn die andere Geschichte schon aufgeklärt?« fragte Goodman boshaft.

Cranston wurde rot vor Wut über das Gelächter, das diese Bemerkung auslöste. Sir Nicholas Hussey, den Cranston insgeheim schätzte, machte ein betretenes Gesicht.

»Um was für eine Geschichte geht es?« wollte Gaunt wissen.

»Oh«, blökte Goodman und trat vor, »auf der London Bridge und anderswo werden die abgeschlagenen Köpfe und blutigen Gliedmaßen von hingerichteten Verrätern gestohlen. Schon seit Wochen versucht Sir John, den Dieb zu fangen.«

Gern hätte Athelstan dem Bürgermeister in das rote, fleischige Gesicht geschlagen; statt dessen schaute er zu Boden und hoffte, Cranston werde seinem Jähzorn nicht nachgeben. Sir John enttäuschte ihn nicht; er baute sich vor dem Bürgermeister auf, das Gesicht nur noch eine Handbreit von dem seines Widersachers entfernt.

»Ich werde diese Angelegenheit nicht nur aufklären«, flüsterte er laut genug, daß die anderen es hören konnten, »sondern versichere Euch, Sir, daß, wenn die Sache erledigt ist, auf der London Bridge neue Köpfe auf die Stangen gespießt werden.«