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Gaunt starrte den Coroner an, und seine Finger vollführten einen Trommelwirbel auf dem breiten, ledernen Jagdgürtel um seine schmale Taille.

»Mylord Coroner, der Bankettsaal ist bereit. Euer Schreiber, Bruder Athelstan, ist schon hinaufgegangen. Ich nehme an, er erwartet uns. Wie Mountjoy und Sturmey zu Tode gekommen sind, habt Ihr uns erklärt.« Er wollte weiterreden, sah aber Cranstons warnenden Blick, wandte sich ab, wühlte in seiner Börse und warf dem Waffenschmied, der in den Garten zurückgekommen war, eine Goldmünze zu.

»Die hast du dir verdient, Mann. Bleib hier, bis diese Sache erledigt ist. Und wenn du nachher gehst, halte deine Zunge im Zaum, denn sonst werde ich dafür sorgen, daß du die Zunge mitsamt dem Kopf verlierst!«

Überwältigt von einer Mischung aus Dankbarkeit und Angst, fiel Simon auf die Knie. Cranston führte die anderen zurück ins Rathaus.

Vierzehn

Athelstan erwartete sie im Bankettsaal. Der Aufwärter hatte die Tafel so gedeckt, wie sie am Abend des Mordes an Fitzroy gewesen war; an jedem Platz stand ein silberner Teller. Auf Athelstans Wunsch nahmen Gaunt, Hussey und die übrigen ihre Plätze ein. Eine Zeitlang herrschte Gemurmel und Gemurre, aber die Lektion, die Cranston ihnen im Garten erteilt hatte, erfüllte alle mit banger Erwartung.

Athelstan setzte sich auf Fitzroys Platz und lächelte Goodman zu seiner Linken und Denny zur Rechten zu. Er wartete, bis das Gemurmel erstarb, während Cranston sich an Lord Clifford wandte, der an der Tür stand.

»Mylord, Ihr könnt Bruder Athelstans Platz einnehmen.« Cranston wandte sich ab. »Ich weiß, daß Ihr nicht da wart, als Fitzroy starb.«

Der junge Edelmann, der nervös mit dem Griff seines Dolches spielte, gehorchte stumm. Noch einmal schaute sich Athelstan im Raum um; zwei der Gildeherren waren bereits in seine kleine Falle gegangen. Gaunt schlug mit der Faust auf den Tisch und verlangte, daß es weitergehe. Athelstan stand auf.

»Euer Gnaden, an dem Abend, da Fitzroy starb, befanden wir uns mitten in einem prächtigen Bankett, nicht wahr?«

»Vorzüglich beobachtet«, versetzte Gaunt spitz.

»Nein, Euer Gnaden, das ist wichtig. Sagt mir«, fuhr Athelstan beharrlich fort, »war das Bankett schon beendet?«

Gaunt rutschte auf seinem Platz hin und her. »Natürlich nicht. Der Hauptgang war serviert worden, und die Köche bereiteten den Nachtisch zu, als Fitzroy dem Fest ein makabres Ende machte.«

»Ja«, sagte Athelstan. »Das hatte ich vergessen -bis zu dem Tag, da ich eine kandierte Pflaume aß. Ich geriet in Verlegenheit, weil Zucker und Honigsirup mir an Gaumen und Zähnen klebten und ich mir die Stücke aus dem Mund stochern mußte. Als ich danach meine Hände in einer Schüssel wusch, fiel mir ein, daß ich das letztemal so viel Zucker an den Händen gehabt hatte, als ich Fitzroy unmittelbar nach seinem Tod untersuchte. Ich fragte mich, warum der tote Gildeherr so viel Zucker im Mund hatte, obwohl der Nachtisch noch gar nicht aufgetragen worden war.« Er schaute sich in dem stillen Saal um. »Euer Gnaden, Ihr Herren, erinnert Euch, was an jenem Abend serviert wurde. Kann einer von Euch sich entsinnen, daß wir etwas bekommen haben, was dick mit Zucker oder Sirup überzogen war?«

»Fitzroy könnte so etwas gegessen haben, bevor er zum Bankett kam«, wehrte Hussey ab.

»Nein, nein«, antwortete Athelstan. »Wir haben bereits festgestellt, daß Fitzroy, wenn er ein solches Gift vorher zu sich genommen hätte, binnen einer Stunde gestorben wäre«. Athelstan lächelte, denn wieder war ein Gildemeister in seine Falle gegangen.

»Was meint Ihr damit?« blaffte Gaunt.

»Ich meine damit, Euer Gnaden, wir haben bereits festgestellt, daß Fitzroy das Gift nicht vor dem Bankett genommen hat. Wir haben außerdem festgestellt, daß nichts von dem, was er beim Bankett gegessen oder getrunken hat, vergiftet war. Und doch«, fuhr Athelstan fort, »wurde Fitzroy ohne Zweifel hier in diesem Raum vergiftet, weil er etwas aß, das niemand sonst aß.«

»Was denn?« rief Hussey und beugte sich vor. »Genug der Rätsel, Bruder!«

»Fitzroy wurde von jemandem vergiftet, der wußte, daß er ein Schleckermaul war. Jawohl, Fitzroy hatte eine große Vorliebe für Zuckerwerk. Manche bezeichneten ihn sogar als Vielfraß. Ich glaube, es geschah folgendermaßen: Jemand, der wußte, wo Fitzroy sitzen würde, legte irgendein Zuckerwerk, etwas sehr Süßes, neben seinen Silberteller, bevor das Bankett begann. Nur der dicke, klebrige Zucker verbarg die Tatsache, daß diese Köstlichkeit mit Gift getränkt war. Und dieser Zucker war es, was ich im Mund des Töten entdeckte. Und so, vermute ich, wurde Fitzroy getötet.«

»Unsinn!« rief Goodman, sein arrogantes Gesicht war jetzt totenbleich. »Hätte Fitzroy das nicht merkwürdig gefunden?«

»Nein«, sagte Athelstan. »Erstens war er ja zu einem Bankett gekommen. Vielleicht dachte er, ein Diener habe die Süßigkeit fallengelassen oder als besondere Aufmerksamkeit für ihn hingelegt. Und zweitens …« Athelstan lächelte. »Ihr habt Euch alle hingesetzt. Vor jedem von Euch steht ein kleiner silberner Teller. Neben jeden habe ich, bevor Ihr hereinkamt, eine Süßigkeit gelegt. Wie viele von Euch haben sie inzwischen aufgegessen? Haben sie geistesabwesend in den Mund gesteckt?«

Denny, Goodman und Bremmer grinsten verlegen.

»Woher wißt Ihr, daß sie nicht vergiftet war?« bellte Cranston und genoß ihren verdatterten Gesichtsausdruck. Schwerfällig erhob er sich. »Aber Ihr habt getan, was jeder tun würde, der an einem Tisch sitzt und aufs Essen wartet. Ihr habt eine Leckerei gefunden und in den Mund gesteckt. Fitzroy war nicht anders. Ja, bei seinem Appetit konnte er wohl kaum widerstehen.«

»Ja, aber wer hat sie ihm hingelegt?«

Die Atmosphäre wurde eisig. Gaunts Frage hing wie ein Damoklesschwert über ihnen. Cranston deutete auf Lord Adam Clifford.

»Ihr, Sir, seid ein Verräter, ein Lügner und Mörder! Ich beschuldige Euch, in böser Absicht den Tod des Sir Thomas Fitzroy, des Peter Sturmey und des Sir Gerard Mountjoy herbeigeführt zu haben!«

Clifford sprang auf; seine Augen waren riesig und sein Gesicht rot vor Zorn. »Du fetter alter Trottel!« brüllte er. »Wie kannst du es wagen?«

Wie vom Donner gerührt lehnte sich Gaunt auf seinem Stuhl zurück; die Gildeherren starrten Cranston fassungslos an. Clifford kam drohend auf den Coroner zu, die Hand am Dolch. Sir John zog sein Schwert, aber Gaunts Gardehauptmann trat rasch zwischen die beiden Männer.

»Lord Adam, ich schlage vor, Ihr setzt Euch wieder hin«, sagte der Soldat leise und sah sich über die Schulter nach seinem Herrn um. Gaunt hatte seine Fassung wiedergefunden und nickte stumm, ohne seinen jungen Adjutanten aus den Augen zu lassen.

»Setzt Euch, Adam«, sagte er leise. »Mylord Coroner, fahrt fort. Aber sollten sich Eure Anschuldigungen als falsch erweisen, so werdet Ihr Euch dafür verantworten müssen.«

»Ich werde mich vor Gott verantworten«, erwiderte Cranston und schaute in die Runde. »Jetzt will ich Euch eine Geschichte erzählen«, begann er, »von einem Königreich, in dem der König ein Kind ist und alle Macht bei seinem Onkel, dem Regenten, liegt. In Abwesenheit eines starken Herrschers entstehen Fraktionen, die sich um die Macht balgen. Die Adligen bei Hofe vertiefen sich in tödliche Rivalitäten, in der Stadt wetteifern mächtige Bürger um die Herrschaft. Das arbeitende Volk draußen auf dem Land murrt und führt verräterische Reden. Es bilden sich geheime Zirkel und Gruppen, die Aufstandspläne schmieden.«