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»Seht Euch vor, Sir John!« zischte Gaunt.

Athelstan schloß die Augen und betete, daß Cranston nicht zu weit gehen möge.

»Wenn ich lüge«, antwortete Sir John, »soll mir jemand widersprechen.« Er sah die Gildeherren an, aber alle schwiegen - auch Clifford, dem jetzt die Schweißperlen übers Gesicht rannen.

»Ein Führer tritt auf den Plan«, fuhr Cranston fort. »Ein geheimnisvoller Mann, der sich Ira Dei nennt, der ›Zorn Gottes«. Er führt die ›Große Gemeinschaft des Reiches‹, einen geheimen Rat von Bauernführern. Sie wissen nicht, wer er ist, und auch sonst weiß es niemand. Er kommt und geht und sät die Saat der Zwietracht. Und nun verändern sich die Dinge. Seine Gnaden der Regent beschließt, einen Freundschaftsbund mit den führenden Kaufleuten der Stadt zu schließen. Ira Dei möchte dies vereiteln, und er sucht sich einen Verräter in der Umgebung des Regenten. Den findet er in Mylord Clifford, einem jungen Mann, der seine bescheidene Herkunft nicht vergessen hat, zumindest nicht die seiner Familie. Entweder aus Idealismus oder aus eigennützigem Gewinnstreben - oder aus beiden Gründen - willigt Clifford ein, als Agent des Ira Dei die Pläne Lord Gaunts zunichte zu machen.«

»Lüge!« schrie Clifford, aber das Zittern in seiner Stimme trug nicht dazu bei, seine Gefährten zu überzeugen. Mit versteinerten Mienen starrten sie ihn an.

»Mylord Cliffords Vater«, fuhr Cranston fort, »war Hauptmann bei den Bogenschützen, ein erfahrener Schütze, der sein Wissen an seinen Sohn Adam weitergab. An dem Nachmittag, als Sir Gerard Mountjoy stirbt, kommt Clifford mit einem Jagdbogen oder einer präparierten Armbrust und schleicht sich, als alle ruhen oder ihren Geschäften nachgehen, wie der Schatten des Todes in den Gang. Er schießt den Dolch ab, Mountjoy stirbt unter mysteriösen Umständen, und wir verstricken uns in das Rätsel, wie er wohl gestorben sein mag, statt uns damit zu beschäftigen, wer ihn warum ermordet hat.« Cranston erquickte sich mit einem großzügigen Schluck aus seinem Weinschlauch. »Am folgenden Abend schlägt der Mörder wieder zu.«

»Unmöglich!« rief Goodman. »Wißt Ihr denn nicht mehr, Sir John, daß Lord Clifford bei dem Bankett gefehlt hat?«

Cranston drückte den Stopfen fest in seinen Weinschlauch. »Ja, er sagte, er habe anderswo Geschäfte, aber erst, nachdem er die vergiftete Leckerei neben Fitzroys Teller gelegt hatte.«

»Natürlich!« Gaunt sprang auf und deutete auf seinen Adjutanten. »Adam, Ihr wart für die Sitzordnung zuständig, und dann habt Ihr Euch entschuldigt und behauptet, Ihr hättet Geschäfte in der Stadt.« Gaunts Gesicht wurde fleckig vor Wut. »Ihr habt überaus hartnäckig darauf bestanden. Mylord Coroner hat recht: Nicht einmal ich wußte, wo jeder sitzen würde. Das blieb Euch überlassen, und Ihr habt es den Gästen gesagt.«

Auch der Bürgermeister sprang plötzlich auf. »Cranston!« rief er. »Ihr seid ein Dummkopf!«

»Sir Christopher«, schritt Athelstan behutsam ein, »erklärt Euch bitte.«

Der Bürgermeister trat in die Mitte des Saales, und ein selbstzufriedenes Lächeln leuchtete auf seinem Gesicht. »Seht Ihr das denn nicht, Mylord?« fragte er Gaunt. »Mountjoy wurde ermordet, Sturmey wurde ermordet, Fitzroy wurde ermordet. Aber den heimtückischen Überfall auf Mylord Clifford wollen wir doch nicht vergessen!«

»Oh nein«, sagte Athelstan. »Den wollen wir nicht vergessen. Schrammen und Blutergüsse. Nichts besonders Ernstes. Das weiß Lord Adam sicher selbst.«

Goodman biß sich auf die Unterlippe, als ihm bewußt wurde, wie töricht sein Ausbruch gewesen war.

»Ihr meint…?«

»Ich meine«, sagte Athelstan ruhig, »wenn man Lord Adam in Gewahrsam nimmt und untersucht, wird man feststellen, daß seine Blutergüsse und sogenannten Wunden nur oberflächlich sind.«

Goodman eilte zu seinem Platz zurück.

»Was für ein wunderbares Manöver«, fuhr Athelstan fort. »Aber überlegt doch: Wenn Ira Dei die Absicht gehabt hätte, Clifford zu töten, dann hätte er es getan.«

»Der Überfall war abgesprochen«, rief der Coroner Goodman zu. »Eine reine Ablenkung.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf Clifford. »Ihr wißt es, Mylord. Wenn Ihr anderer Meinung seid, zieht das Hemd aus, und zeigt uns diese schrecklichen Wunden.«

Stumm funkelte Clifford ihn an.

»Und Mylord Gaunt hat recht«, fuhr der Coroner fort. »Ihr wußtet, wo jeder von uns an jenem Abend sitzen würde.«

»Ich war nicht da«, murmelte Clifford.

»Lügner!« bellte Cranston.

Clifford schüttelte den Kopf, aber seine Augen verrieten ihn.

»Ein raffinierter Plan«, sagte Cranston. »Als Fitzroy starb, wart Ihr also nicht da. Aber wie, Mylord Clifford, konntet Ihr auch fehlgehen? Wenn Fitzroy sich woanders hingesetzt hätte, dann hätte vielleicht ein anderer die Süßigkeit gegessen. Begreift Ihr nicht?« Cranston grinste die Gildemeister boshaft an. »Es ging nicht darum, daß ausgerechnet Mountjoy und Fitzroy starben, solange nur überhaupt welche von Euch zu Tode kamen, ermordet unter geheimnisvollen Umständen; dies würde genug Chaos und Verwirrung hervorrufen, um alle Pläne des Regenten zunichte zu machen.«

»Und das Gold? Und Sturmeys Tod?« Nicholas Hussey ergriff das Wort, während der Regent sich vorbeugte und den Verräter am anderen Ende des Tisches anfunkelte.

»Oh, das Gold«, knurrte Cranston. »Natürlich, das hat die Sache dann vollends besiegelt, nicht wahr? Leider hatten Mylord Bürgermeister und der verstorbene Sheriff sich für Peter Sturmey entschieden, einen berühmten Schlosser, der eine neue, mit sechs Schlössern gesicherte Truhe bauen sollte. Aber was Ihr, Sir Christopher, entweder vergessen oder nicht gewußt hattet, war, daß unser Meister Sturmey ein Doppelleben führte. Er liebte Knaben. Vor fünfzehn Jahren war er, wie mancher Große in dieser Stadt, in einen Skandal verwickelt gewesen. Gegen Sturmey gab es keine Beweise, aber ich bin sicher, er verfolgte seine heimlichen Leidenschaften von da an verstohlener und vorsichtiger.« Cranston verstummte und schaute den königlichen Lehrer an. »Sir Nicholas, ich glaube, Ihr gingt damals in St. Paul zur Schule?«

Hussey nickte, den Blick gesenkt, die untere Partie des Gesichts hinter den Händen verborgen. »Ich erinnere mich an den Skandal«, sagte er leise, »aber ich wußte nicht viel davon. Ich war damals noch ein Junge.«

»Ja«, sagte Sir John. »Ihr wart noch ein Junge, genau wie Ihr, Mylord Clifford, der Ihr als Page in einem mächtigen Londoner Haus wart - bei Sir Raymond Bragley, der damals Sheriff von London war. Wie sich Mylord Bürgermeister erinnern wird, ermittelte Bragley damals in dem Skandal, und Ihr, Mylord Clifford, müßt die wichtigen Botschaften gut gekannt haben, die Ihr in der ganzen Stadt befördert habt. Vermutlich wußtet Ihr von Sturmeys geheimen Lastern und auch, daß er ihnen immer noch frönte. Wer weiß? Vielleicht hat er sich sogar an Euch herangemacht - und so konntet Ihr ihn erpressen: Entweder er machte Euch einen zweiten Satz Schlüssel, oder er würde die Höchststrafe für Sodomie erleiden, den Tod auf dem Scheiterhaufen in Smithfield.«

Clifford starrte auf den Tisch und spreizte die Hände. Er leistete keinen Widerstand, als Gaunt dem Gardehauptmann zunickte und dieser ihm den Dolch aus der Scheide zog.

»Selbstverständlich mußte Sturmey sterben«, fuhr Cranston fort. »Deshalb locktet Ihr ihn hinunter nach Billingsgate, wo er am Kai auf Euch wartete. Ein vorzügliches Ziel, auf das Ihr aus einer dunklen Gasse schießen konntet.« Cranston zuckte die Achseln. »Was kann ich noch sagen?«

Clifford fuhr auf und hob den Kopf. »Ihr könntet zur Abwechslung einmal einen Beweis erbringen! Das alles sind Vermutungen, Hypothesen, Ihr habt nicht den Fetzen eines Beweises, um einen königlichen Richter zu überzeugen. Jeder könnte Mountjoy ermordet haben. Jeder könnte eine vergiftete Süßigkeit neben Fitzroys Teller gelegt haben. Und was Sturmey angeht - ja, ich erinnere mich an den Fall, aber Ihr habt seine geheime Werkstatt selbst gesehen! Jeder könnte ihn gezwungen haben, dort hineinzugehen und sechs Schlüssel zu machen.«