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Erinnere mich bloß nicht daran, dachte Brinkerhoff.

Midge stöckelte herein und platzierte eine wohlgerundete Pobacke auf Brinkerhoffs Schreibtisch. »Ich bin schon auf dem Weg nach

Hause, aber wenn dein Chef aus Südamerika zurückkommt, möchte er die Zusammenstellung dieser Zahlen sehen. Und das ist Montag in aller Herrgottsfrühe.« Sie knallte Brinkerhoff die Ausdrucke auf den Schreibtisch.

»Wer bin ich denn, ein Buchhalter?«

»Nein, mein Süßer, du bist einer, der nichts anbrennen lässt. Ich dachte, das wüsstest du.«

»Und wie komme ich dann dazu, mich mit Schnee von gestern zu befassen?«

Sie griff sich ordnend ins Haar. »Du wolltest doch immer schon mehr Verantwortung. Da hast du sie.«

Er sah mit einem Hundeblick zu ihr auf. »Midge ... ich habe überhaupt nichts vom Leben.«

Sie blickte auf ihn herunter und tippte mit dem Finger auf den Papierstapel. »Chad Brinkerhoff, das ist dein Leben!« Sie wurde versöhnlich. »Kann ich noch etwas für dich tun, bevor ich mich

empfehle?«

Er schaute sie flehend an und rollte die Schultern. »Mein Nacken ist ganz verspannt.«

Midge biss nicht an. »Nimm eine Tablette.«

»Keine Rückenmassage?«, schmollte er.

»Im Cosmopolitan steht, zwei Drittel aller Rückenmassagen enden im Bett.«

»Bei uns aber nie!«, jammerte Brinkerhoff.

»Genau.« Midge zwinkerte ihm zu. »Da liegt ja auch das Problem.«

»Midge...«

»Gute Nacht, Chad.« Sie strebte zur Tür.

»Du willst schon gehen?«

Midge hielt unter dem Türrahmen inne. »Ich würde ja bleiben«, sagte sie, »aber ich habe immerhin noch ein bisschen Stolz im Leib. Ich bin nicht bereit, die zweite Geige zu spielen – schon gar nicht

neben einem Teenager.«

»Meine Frau ist kein Teenager«, verteidigte sich Brinkerhoff. »Sie benimmt sich nur so.«

Midge sah ihn erstaunt an. »Von deiner Frau ist überhaupt nicht die Rede.« Sie klimperte unschuldig mit den Wimpern. »Ich meine Carmen.« Sie gab dem Namen einen rollenden puertoricanischen

Akzent.«

»Wen?« Brinkerhoffs Stimme schwankte leicht.

»Carmen! Von Küchenpersonal!«

Brinkerhoff spürte, wie er rot wurde. Carmen Huerta war eine neunzehnjährige Konditorin, die im Kasino der NSA beschäftigt war. Brinkerhoff hatte mit ihr nach Dienstschluss ein paar Techtelmechtel

im Vorratsmagazin gehabt.

Midge blinzelte ihm schelmisch zu. »Chad, denk dran ... Big Brother is watching you!«

Big Brother? Brinkerhoff schnappte ungläubig nach Luft. Im VORRATSMAGAZIN auch?

Big Brother, oder Brother, wie Midge meist sagte, war ein Centrex 333, der in einem kleinen Kabinett neben dem Hauptraum der Bürosuite untergebracht war. Brother war Midges Augapfel. Der Computer empfing Daten von 148 Videoüberwachungskameras, 377 angzapften Telefonleitungen und 212 Wanzen, die im NSA-Komplex

verstreut angebracht waren.

Die Direktoren der NSA hatten erst aus Erfahrung klug werden müssen, um zu lernen, dass 26.000 Mitarbeiter nicht nur eine große Hilfe, sondern auch eine große Gefahr waren. Jeder nennenswerte Geheimnisverrat in der Geschichte der NSA war von innen gekommen. Als Analystin der internen Sicherheit hatte Midge die Aufgabe, alles zu verfolgen, was innerhalb der Mauern der NSA vor sich ging – wozu offenbar auch die Vorgänge im Vorratsmagazin des

Kasinos gehörten.

Brinkerhoff stand auf. Er wollte sich rechtfertigen, aber Midge war schon unterwegs nach draußen. »Die Hände immer hübsch über der

Bettdecke«, rief sie ihm über die Schulter zu. »Und keine Spielereien, wenn ich nicht da bin! Die Wände haben Augen und Ohren.«

Brinkerhoff sank wieder in seinen Schreibtischsessel und lauschte dem Klacken ihrer Absätze hinterher, das sich den Gang hinunter entfernte. Aber er konnte sich wenigstens darauf verlassen, dass Midge dichthielt. Selbst nicht frei von Schwächen hatte sie sich auf ein paar Unbesonnenheiten eingelassen – in erster Linie

Rückenmassagen mit Beiprogramm bei Brinkerhoff.

Brinkerhoffs Gedanken weilten wieder bei Carmen. Er stellte sich

ihren geschmeidigen Körper vor, ihre schokoladefarbenen Schenkel und die Begleitmusik des Mittelwellensenders, der in voller Lautstärke Salsa aus San Juan geschmettert hatte. Er lächelte. Wenn du fertig bist, könntest du ja noch auf einen Imbiss bei ihr

vorbeischauen.

Er entfaltete den ersten Ausdruck.

CRYPTO – KOSTEN/NUTZEN-RECHNUNG

Seine Stimmung verbesserte sich schlagartig. Die Hausaufgaben, die Midge ihm gebracht hatte, waren ein Klacks. Der Rechnungsbericht der Crypto war stets eine leichte Übung. Von Rechts wegen hätte Brinkerhoff sämtliche Positionen einzeln addieren müssen, aber die einzige Zahl, für die sich die Direktoren je interessiert hatten, waren die DKD – die Durchschnittskosten pro Dechiffrierung. Solange sich diese Zahl unter tausend Dollar hielt, war Fontaine vollauf zufrieden. Ein Tausender pro Entschlüsselung, kicherte Brinkerhoff. Die Steuermittel im Einsatz. Während er sich zügig durch die Unterlagen arbeitete und die täglichen DKDS

überprüfte, schlichen sich Bilder von Carmen Huerta in sein Gehirn ... wie sie sich selbst mit Honig und Puderzucker bekleckerte. Kurze Zeit später war er mit der Arbeit so gut wie durch. Die Crypto-Daten

waren perfekt – wie immer.

Als er den Bericht schon weglegen wollte, um nach dem nächsten zu greifen, stach ihm der letzte DKD-Wert am Ende des Blattes ins Auge. Er fiel total aus dem Rahmen. Die Zahl war so groß, dass sie in die nächsten Spalten hinüberlief und die ganze Seite verunzierte.

Brinkerhoff betrachtete sie fassungslos.

999 999 999. Er holte tief Luft. Eine Milliarde Dollar? Die Bilder von Carmen zerplatzten wie eine Seifenblase. Ein Milliarden-Dollar­Code ?

Brinkerhoff saß einen Augenblick lang wie gelähmt, um dann in den Flur hinauszustürzen, als sei der Leibhaftige hinter ihm her.

»Midge! Midge! Komm zurück!«

KAPITEL 44

Phil Charturkian stand kochend vor Wut im Sys-Sec-Lab. Strathmores Befehl hallte in seinem Kopf wider. Sie werden jetzt die Crypto-Abteilung verlassen. Und zwar augenblicklich! Fluchend

kickte er den Abfallbehälter durch das Laboratorium.

»Ein Diagnoseprogramm! Beim Arsch des Propheten! Seit wann darf der Vizedirektor einfach die Gauntletfilter umgehen?«

Die Sys-Sec-Leute wurden sehr gut bezahlt, damit sie die Computersysteme der NSA vor Schaden bewahrten. Phil Charturkian hatte begriffen, dass man für diesen Job lediglich zwei Voraussetzungen brauchte, diese allerdings in hohem Grade:

Sachverstand und einen paranoiden Hang, die Flöhe husten zu hören.

Zum Teufel aber auch, du hörst keine Flöhe husten! Der verdammte Betriebsmonitor zeigt achtzehn Stunden an!

Das war ein Virus. Charturkian hatte es im Urin. Für ihn war sonnenklar, was hier los war: Strathmore hatte Mist gebaut, weil er die Gauntlet-Filter umgangen hatte, und jetzt versuchte er sich mit der

windigen Geschichte von einem Diagnoseprogramm herauszureden.

Charturkian wäre nicht ganz so aufgebracht gewesen, wenn der TRANSLTR das Einzige gewesen wäre, worum er sich Sorgen machen musste. Aber so war es eben nicht. Das riesige Dechiffrierungsmonster war keineswegs eine einsame Insel, auch wenn man diesen Eindruck haben konnte. Die Kryptographien glaubten zwar, der einzige Zweck von Gauntlet bestünde im Schutz ihres Lieblingsspielzeugs, aber jeder Sys-Sec-Techniker hätte sie eines Besseren belehren können. Die Gauntlet-Virenfilter dienten einem viel höheren Zweck: dem Schutz der zentralen Datenbank der

NSA.

Die Geschichte des Aufbaus dieser Datenbank hatte Charturkian schon immer fasziniert. Trotz der Bemühungen des Verteidigungsministeriums in den späten Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, das Internet unter eigener Regie zu halten, war dieses Netzwerk einfach ein viel zu nützliches Instrument, um nicht das größte Interesse und die Begehrlichkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Zuerst erzwangen sich die Universitäten den Zugang. Kurz danach kamen die kommerziellen Server. Dann brachen alle Dämme, und jedermann konnte ins Internet. Zu Beginn der Neunzigerjahre war das einst so wohl behütete »Internet« der Regierung zu einem undurchdringlichen Dschungel von E-Mails jeglicher Provenienz bis