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Einst begegnete ihm Friedrich, der ließ ihn nicht los, und als der Erasmus durch manche Erinnerung an sein Vaterland und an sein Haus recht mild und weich geworden, da sagte Friedrich: „Weißt du wohl, Spikher, daß du in recht gefährliche Bekanntschaf geraten bist? Du mußt es doch wohl schon gemerkt haben, daß die schöne Giulietta eine der schlauesten Courtisanen ist, die es je gab. Man trägt sich dabei mit allerlei geheimnisvollen, seltsamen Geschichten, die sie in gar be-sonderm Lichte erscheinen lassen. Daß sie über die Menschen, wenn sie will, eine unwiderstehliche Macht übt und sie in unauflösliche Bande verstrickt, seh’ ich an dir, du bist ganz und gar verändert, du bist ganz der verführerischen Giulietta hingegeben, du denkst nicht mehr an deine liebe fromme Hausfrau.“ - Da hielt Erasmus beide Hände vors Gesicht, er schluchzte laut, er rief den Namen seiner Frau. Friedrich merkte wohl, wie ein innerer harter Kampf begonnen. „Spik-her,“ fuhr er fort, „laß uns schnell abreisen.“ „Ja, Friedrich,“ rief Spikher hefig, „du hast recht. Ich weiß nicht, wie mich so finstre gräßliche Ahnungen plötzlich ergreifen, - ich muß fort, noch heute fort.“ - Beide Freunde eilten über die Straße, quer vorüber schritt Signor Dapertutto, der lachte dem Eras-mus ins Gesicht und rief: „Ach, eilt doch, eilt doch nur schnell, Giulietta wartet schon, das Herz voll Sehnsucht, die Augen voll Tränen. - Ach, eilt doch, eilt doch!“ Erasmus wurde wie vom Blitz getroffen. „Dieser Kerl,“ sprach Friedrich, „dieser Ciarlatano ist mir im Grunde der Seele zuwider, und daß der bei Giulietta aus- und eingeht und ihr seine Wunderessenzen verkauf“ - „Was!“ rief Erasmus, „dieser abscheuliche Kerl bei Giulietta - bei Giulietta?“ - „Wo bleibt Ihr aber auch so lange, alles wartet auf Euch, habt Ihr denn gar nicht an mich gedacht?“ so rief eine sanfe Stimme vom Balkon herab. Es war Giulietta, vor deren Hause die Freunde, ohne es bemerkt zu haben, standen. Mit einem Sprunge war Erasmus im Hause. „Der ist nun einmal hin und nicht mehr zu retten“, sprach Friedrich leise und schlich über die Straße fort. - Nie war Giulietta liebenswürdiger gewesen, sie trug dieselbe Kleidung als damals in dem Garten, sie strahlte in voller Schönheit und jugendlicher Anmut. Erasmus hatte alles vergessen, was er mit Friedrich gesprochen, mehr als je riß ihn die höchste Wonne, das höchste Entzücken unwiderstehlich hin, aber auch noch niemals hatte Giulietta so ohne allen Rückhalt ihm ihre innigste Liebe merken lassen. Nur ihn schien sie zu beachten, nur für ihn zu sein. - Auf einer Villa, die Giulietta für den Sommer gemietet, sollte ein Fest gefeiert werden. Man begab sich dahin. In der Gesellschaf befand sich ein junger Italiener von recht häßlicher Gestalt und noch häßlicheren Sitten, der bemühte sich viel um Giulietta und erregte die Eifersucht des Erasmus, der voll Ingrimm sich von den andern entfernte und einsam in einer Seitenallee des Gartens auf-und abschlich. Giulietta suchte ihn auf. „Was ist dir? - bist du denn nicht ganz mein?“ Damit umfing sie ihn mit den zarten Armen und drückte einen Kuß auf seine Lippen. Feuerstrahlen durchblitzten ihn, in rasender Liebeswut drückte er die Geliebte an sich und rief: „Nein, ich lasse dich nicht, und sollte ich untergehen im schmachvollsten Verderben!“ Giulietta lächelte seltsam bei diesen Worten, und ihn traf jener sonderbare Blick, der ihm jederzeit innern Schauer erregte. Sie gingen wieder zur Gesellschaf. Der widrige junge Italiener trat jetzt in die Rolle des Erasmus; von Eifersucht getrieben, stieß er allerlei spitze beleidigende Reden gegen Deutsche und insbesondere gegen Spikher aus. Der konnte es endlich nicht länger ertragen; rasch schritt er auf den Italiener los. „Haltet ein“, sprach er, „mit Euern nichtswürdigen Sticheleien auf Deutsche und auf mich, sonst werfe ich Euch in jenen Teich, und Ihr könnt Euch im Schwimmen versuchen.“ In dem Augenblick blitzte ein Dolch in des Italieners Hand, da packte Erasmus ihn wütend bei der Kehle und warf ihn nieder, ein kräfiger Fußtritt ins Genick, und der Italiener gab röchelnd seinen Geist auf. - Alles stürzte auf den Erasmus los, er war ohne Besinnung - er fühlte sich ergriffen, fortgerissen. Als er wie aus tiefer Betäubung erwachte, lag er in einem kleinen Kabinett zu Giuliettas Füßen, die, das Haupt über ihn herabgebeugt, ihn mit beiden Armen umfaßt hielt. „Du böser, böser Deutscher,“ sprach sie unendlich sanf und mild, „welche Angst hast du mir verursacht! Aus der nächsten Gefahr habe ich dich errettet, aber nicht sicher bist du mehr in Florenz, in Italien. Du mußt fort, du mußt mich, die dich so sehr liebt, verlassen.“ Der Gedanke der Trennung zerriß den Erasmus in namenlosem Schmerz und Jammer. „Laß mich bleiben,“ schrie er, „ich will ja gern den Tod leiden, heißt denn sterben mehr als leben ohne dich?“ Da war es ihm, als rufe eine leise ferne Stimme schmerzlich seinen Namen. Ach! es war die Stimme der frommen deutschen Hausfrau. Erasmus verstummte, und auf ganz seltsame Weise fragte Giulietta: „Du denkst wohl an dein Weib? - Ach, Erasmus, du wirst mich nur zu bald verges-sen.“ - „Könnte ich nur ewig und immerdar ganz dein sein“, sprach Erasmus. Sie standen gerade vor dem schönen breiten Spiegel, der in der Wand des Kabinetts angebracht war und an dessen beiden Seiten helle Kerzen brannten. Fester, inniger drückte Giulietta den Erasmus an sich, indem sie leise lispelte: „Laß mir dein Spiegelbild, du innig Geliebter, es soll mein und bei mir bleiben immerdar.“ - „Giulietta,“ rief Erasmus ganz verwundert, „was meinst du denn? - mein Spiegelbild?“ - Er sah dabei in den Spiegel, der ihn und Giulietta in süßer Liebesumarmung zurückwarf. „Wie kannst du denn mein Spiegelbild behalten,“ fuhr er fort, „das mit mir wandelt überall und aus jedem klaren Wasser, aus jeder hellgeschliffenen Fläche mir entgegentritt?“ - „Nicht einmal,“ sprach Giulietta, „nicht einmal diesen Traum deines Ichs, wie er aus dem Spiegel hervorschimmert, gönnst du mir, der du sonst mein mit Leib und Leben sein wolltest? Nicht einmal dein unstetes Bild soll bei mir bleiben und mit mir wandeln durch das arme Leben, das nun wohl, da du fliehst, ohne Lust und Liebe bleiben wird?“ Die heißen Tränen stürzten der Giulietta aus den schönen dunklen Augen. Da rief Erasmus, wahnsinnig vor tötendem Liebesschmerz: „Muß ich denn fort von dir? - muß ich fort, so soll mein Spiegelbild dein bleiben auf ewig und immerdar. Keine Macht - der Teufel soll es dir nicht entreißen, bis du mich selbst hast mit Seele und Leib.“ - Giuliettas Küsse brannten wie Feuer auf seinem Munde, als er dies gesprochen, dann ließ sie ihn los und streckte sehnsuchtsvoll die Arme aus nach dem Spiegel. Erasmus sah, wie sein Bild unabhängig von seinen Bewegungen hervortrat, wie es in Giuliettas Arme glitt, wie es mit ihr im seltsamen Duf verschwand. Allerlei häßliche Stimmen meckerten und lachten in teuflischem Hohn; erfaßt von dem Todeskrampf des tiefsten Entsetzens, sank er bewußtlos zu Boden, aber die fürchterliche Angst - das Grausen riß ihn auf aus der Betäubung, in dicker dichter Finsternis taumelte er zur Tür hinaus, die Treppe hinab. Vor dem Hause ergriff man ihn und hob ihn in einen Wagen, der schnell fortrollte. „Dieselben haben sich etwas alteriert, wie es scheint,“ sprach der Mann, der sich neben ihn gesetzt hatte, in deutscher Sprache, „dieselben haben sich etwas alteriert, indessen wird jetzt alles ganz vortrefflich gehen, wenn Sie sich nur mir ganz überlassen wollen. Giuliettchen hat schon das ihrige getan und mir Sie empfohlen. Sie sind auch ein recht lieber junger Mann und inklinieren erstaunlich zu angenehmen Späßen, wie sie uns, mir und Giuliettchen, sehr behagen. Das war mir ein recht tüchtiger deutscher Tritt in den Nacken. Wie dem Amoroso die Zunge kirschblau zum Halse heraushing - es sah recht possierlich aus, und wie er so krächzte und ächzte und nicht gleich abfahren konnte - ha - ha - ha -“ Die Stimme des Mannes war so widrig höhnend, sein Schnickschnack so gräßlich, daß die Worte Dolchstichen gleich in des Erasmus Brust fuhren. „Wer Ihr auch sein mögt,“ sprach Eras-mus, „schweigt, schweigt von der entsetzlichen Tat, die ich be-reue!“ - „Bereuen, bereuen!“ erwiderte der Mann, „so bereut Ihr auch wohl, daß Ihr Giulietta kennen gelernt und ihre süße Liebe erworben habt?“ - „Ach, Giulietta, Giulietta!“ seufzte Erasmus. „Nun ja,“ fuhr der Mann fort, „so seid Ihr nun kindisch, Ihr wünscht und wollt, aber alles soll auf gleichem glatten Wege bleiben. Fatal ist es zwar, daß Ihr Giulietta habt verlassen müssen, aber doch könnte ich wohl, bliebet Ihr hier, Euch allen Dolchen Eurer Verfolger und auch der lieben Justiz entziehen.“ Der Gedanke, bei Giulietta bleiben zu können, ergriff den Erasmus gar mächtig. „Wie wäre das möglich?“ fragte er. - „Ich kenne“, fuhr der Mann fort, „ein sympathetisches Mittel, das Eure Verfolger mit Blindheit schlägt, kurz, welches bewirkt, daß Ihr ihnen immer mit einem andern Gesichte erscheint und sie Euch niemals wieder erkennen. Sowie es Tag ist, werdet Ihr so gut sein, recht lange und aufmerksam in irgend einen Spiegel zu schauen, mit Euerm Spiegelbilde nehme ich dann, ohne es im mindesten zu versehren, gewisse Operationen vor, und Ihr seid geborgen, Ihr könnt dann leben mit Giulietta ohne alle Gefahr in aller Lust und Freudigkeit.“ - „Fürchterlich, fürchterlich!“ schrie Erasmus auf. „Was ist denn fürchterlich, mein Wertester?“ fragte der Mann höhnisch. „Ach, ich - habe, ich - habe“, fing Erasmus an - „Euer Spiegelbild sitzen lassen,“ fiel der Mann schnell ein, „sitzen lassen bei Giulietta? - ha ha ha! Bravissimo, mein Bester! Nun könnt Ihr durch Fluren und Wälder, Städte und Dörfer laufen, bis Ihr Euer Weib gefunden nebst dem kleinen Rasmus und wieder ein Familienvater seid, wiewohl ohne Spiegelbild, worauf es Eurer Frau auch weiter wohl nicht ankommen wird, da sie Euch leiblich hat, Giulietta aber immer nur Euer schimmerndes Traum-Ich.“ - „Schweige, du entsetzlicher Mensch“, schrie Erasmus. In dem Augenblick nahte sich ein fröhlich singender Zug mit Fackeln, die ihren Glanz in den Wagen warfen. Erasmus sah seinem Begleiter ins Gesicht und erkannte den häßlichen Doktor Dapertutto. Mit einem Satz sprang er aus dem Wagen und lief dem Zuge entgegen, da er schon in der Ferne Friedrichs wohltönenden Baß erkannt hatte. Die Freunde kehrten von einem ländlichen Mahle zurück. Schnell unterrichtete Erasmus Friedrichen von allem, was geschehen, und verschwieg nur den Verlust seines Spiegelbildes. Friedrich eilte mit ihm voran nach der Stadt, und so schnell wurde alles Nötige veranstaltet, daß, als die Morgenröte aufgegangen, Erasmus auf einem raschen Pferde sich schon weit von Florenz entfernt hatte. - Spikher hat manches Abenteuer aufgeschrieben, das ihm auf seiner Reise begegnete. Am merkwürdigsten ist der Vorfall, welcher zuerst den Verlust seines Spiegelbildes ihm recht seltsam fühlen ließ. Er war nämlich gerade, weil sein müdes Pferd Erholung bedurfe, in einer großen Stadt geblieben und setzte sich ohne Arg an die stark besetzte Wirtstafel, nicht achtend, daß ihm gegenüber ein schöner klarer Spiegel hing. Ein Satan von Kellner, der hinter seinem Stuhle stand, wurde gewahr, daß drüben im Spiegel der Stuhl leer geblieben und sich nichts von der darauf sitzenden Person reflektiere. Er teilte seine Bemerkung dem Nachbar des Erasmus mit, der seinem Nebenmann, es lief durch die ganze Tischreihe ein Gemurmel und Geflüster, man sah den Erasmus an, dann in den Spiegel. Noch hatte Eras-mus gar nicht bemerkt, daß ihm das alles galt, als ein ernsthafer Mann vom Tische aufstand, ihn vor den Spiegel führte, hineinsah und, dann sich zur Gesellschaf wendend, laut rief: