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»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte HK angespannt. »Das Jahr 1600 ist jetzt versiegelt, fast wie in

Stein gehauen. Aber wir durchleben es. Wir sind in keiner unmittelbaren Gefahr und es sind immer noch ein paar Fluchtwege offen.«

»Und warum können wir dann nicht kommen und euch holen?«, wollte Jonas wissen. »Euch vielleicht auf einem dieser Fluchtwege treffen? Am Ende der Ausfahrt oder wie immer ihr das bei Zeitreisen nennt.«

»Weil diese Fluchtwege nur dann funktionieren, wenn du und Katherine das Jahr 1611 in Ordnung bringen könnt«, erwiderte HK. »Es hängt alles zusammen.«

»Das klingt fast genau wie das, was Zwei zu uns gesagt hat«, flüsterte Katherine.

»Ihr müsst die Dinge in 1611 stabil halten!«, schrie HK und redete immer schneller, als laufe ihm die Zeit davon. »Ihr seid unsere einzige Hoffnung! Die einzige Hoffnung der Zeit! Sonst -«

Wieder verstummte der Definator.

Es störte Jonas nicht besonders. Er war noch nicht so weit, um über Sonst nachzudenken. Er starrte wieder auf die Zeichnung von Andrea und ließ den Frieden und die Freude in ihren Zügen auf sich wirken.

Ich habe ihr geholfen, dachte er. Und sie mir. Es hat in beiden Richtungen funktioniert.

»Jetzt ist mir klar, warum manche alten Leute nur an die Vergangenheit denken wollen«, murmelte er. »Da wissen sie wenigstens, wie die Dinge ausgegangen sind.«

»Wir wissen aber auch einiges über die Zukunft«, erinnerte ihn Katherine. »Wir wissen, dass, egal was passiert, wir alles tun werden, um die Zeit zu reparieren und unsere Freunde zu retten. Zwei hat sich getäuscht -manche Dinge kann man immer vorhersehen.«

Zwei hat sich getäuscht, dachte Jonas. Er hat sich in vielem getäuscht.

Ihm wurde ganz schwummrig, wenn er daran dachte, wie sehr Zwei sie und selbst HK manipuliert hatte. Und obwohl der Zeitanalyst Andrea glücklich gemacht hatte, war Jonas klar, dass er zu rücksichtslos, zu gefährlich und eine zu große Bedrohung für die Zeit gewesen war.

Das würde Konsequenzen haben.

Jonas ließ das Bild von Andrea sinken und sah hinaus in die Welt, die vor ihnen lag. Sie war ganz still, nur ein großes graues Etwas, doch er wusste, dass sie schon bald Gestalt annehmen würde. Vielleicht hatten sie Zwei im Jahr 1600 nicht unbedingt ausgetrickst. Aber sie hatten sich behauptet: Im Augenblick waren sie alle in Sicherheit. Und das Jahr 1611 war nicht einfach nur ein weiteres gefährliches Jahr.

Es war auch eine neue Chance.

Nachwort der Autorin

Wenn man heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, auf die Insel Roa noke in North Carolina will, kann man die Virginia Dare Memorial Bridge überqueren. Und bei der Ankunft befindet man sich dann im Bezirk Dare County. Ein Stück weiter östlich führt eine Route namens Virginia Dare Trail zu den Inseln der Outer Banks. Und weiter nördlich, am Smith Mountain Lake in Virginia, kann man auf einem Ausflugsschiff namens Virginia Dare eine Spazierfahrt unternehmen. Wer lieber zu Hause bleibt, kann mit Virgi nia Dare Vanille einen Kuchen backen oder sich die Musik der Virginia Dare Band anhören.

Dafür, dass wir so wenig über sie wissen, ist Virginia Dare unglaublich berühmt. In den Geschichtsbüchern wurden nur zwei Informationen über ihr tatsächliches Leben festgehalten: Sie wurde am 18. August 1587 als Tochter von Ananias und Eleanor Dare geboren und sechs Tage später, am 24. August 1587, getauft. Das ist alles! Mehr gesichertes Wissen gibt es nicht über sie. Beide Informationen stammen aus Berichten ihres Groß vaters John White, des Gouverneurs der Kolonie von Roanoke. Dieser ver ließ Roanoke am 27. August, als Virginia gerade neun Tage alt war. Ihr weiteres Leben ist unbekannt. Alles andere gehört ins Reich der Legende, ist reine Spekulation, ein Mysterium.

Die Geschichte der Kolonie von Roanoke hat mich schon als Kind faszi niert. Ich erinnere mich, eine Biografie über Virginia Dare gelesen zu haben: Virginia Dare: Mystery Girl, die zu einer Buchserie über die Kindheit ame rikanischer Berühmtheiten gehörte. (Man sollte meinen, dass es ein extrem dünnes Buch gewesen sein musste, aber das war es nicht.) Als ich das erste Mal daran dachte, »Im Sog der Zeiten« zu schreiben, war mir sofort klar, dass Virginia Dare eines der verschollenen Kinder der Geschichte sein wür de. Doch als ich über die Kolonie von Roanoke zu forschen begann, stellte ich fest, dass die Geschichte wesentlich komplizierter war als die, die ich zu kennen glaubte.

So wie es aussieht, war Virginia Dare tatsächlich das erste englische Kind, das in der Neuen Welt geboren wurde. Aber schon die Behauptung, die Kolonie von Roanoke sei die erste englische Siedlung in Amerika gewesen, ist ein wenig suspekt. Bereits 1583 versuchte eine Gruppe Engländer auf Neufundland eine Siedlung zu gründen. Allerdings gaben sie ihr Vorhaben nach wenigen Wochen auf, weil ihnen die Vorräte ausgingen.

Als Kind stellte ich mir die Ankunft der ersten Europäer in Amerika so ähnlich vor wie die Landung auf dem Mond in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Doch das ist kein guter Vergleich. Zum einen lebten, anders als auf dem Mond, bereits Menschen in Nord und Südame rika. Zum anderen unternahm man innerhalb von vierzig Jahren ins gesamt neun bemannte Raumflüge zum Mond, während die Europäer im sechzehnten Jahrhundert Hunderte Male zwischen Amerika und Europa hin und herfuhren. Fischer aus England und anderen Nationen kamen in der wärmeren Jahreszeit regelmäßig in die Gewässer vor Neufundland, um dort zu fischen und ihren Fang anschließend nach Hause zu bringen und dort zu verkaufen. Die Spanier, die einen gewaltigen Vorsprung hatten, un terhielten zu dieser Zeit bereits zahlreiche Siedlungen auf der westlichen Erdhalbkugel und überquerten den Atlantik regelmäßig mit Schiffen voller Schätze aus Zentral und Südamerika.

Dieses Ungleichgewicht wir kriegen den Fisch und sie das Gold gefiel den Engländern nicht. Sie betrachteten die Spanier, unter anderem aus religiösen Gründen, ohnehin als ihre Feinde. (Spanien war ein katholisches Land und England im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert bereits pro testantisch.) Spanien schien alle Macht zu besitzen und seinen Einfluss in Europa wie in Amerika immer weiter auszudehnen. Eine der wichtigsten Maßnahmen, mit denen sich die Engländer dagegen zur Wehr setzten, be stand darin, spanische Schiffe anzugreifen und alles zu stehlen, was sie in die Finger bekamen. Das klingt nach Piraterie und ausgemachten Kriegs handlungen, doch die Engländer hatten einen anderen Begriff dafür: Kape rei. Das bedeutete im Klartext, dass die Engländer nicht das Gefühl hatten, etwas Unrechtes zu tun. Die englische Regierung und ihre Anführer dulde ten den Diebstahl der spanischen Schätze nicht nur sie ermunterten sogar dazu. Und Königin Elisabeth erhielt einen Anteil vom Profit.

Sir Walter Raleigh, einer ihrer Favoriten unter den Höflingen, gehörte gleichzeitig zu den Männern, die am stärksten ins Kapergeschäft involviert waren. (Wenn du besser aufgepasst hast als Jonas, kennst du seinen Namen vielleicht aus dem Geschichts oder Gemeinschaftskundeunterricht.) Ra leigh war der Ansicht, dass die Gründung einer Kolonie in Nordamerika eine gute Möglichkeit wäre, der spanischen Übermacht auf der westlichen Erdhalbkugel etwas entgegenzusetzen vor allem dann, wenn die Kolonie als Bastion und Versteck für englische Kaperer diente.

Raleigh selbst hatte nicht vor in der neuen Kolonie zu leben, die ihm vorschwebte; er blieb in England und schickte stattdessen andere los. Es ist schwer, zu ergründen, was die eigentlichen Kolonisten von Roanoke bewo gen hat, alles Vertraute hinter sich zu lassen und sich an einem völlig unbe kannten Ort eine neue Heimat zu erschaffen. Einige Historiker nehmen an, dass sich mehrere oder alle Kolonisten von der Church of England abspalten und ihre eigene Religion praktizieren wollten, wie die Pilgerväter, die sich dreiunddreißig Jahre später in Massachusetts niederließen. Andere vermu ten, dass die finanziellen Anreize vielleicht wichtiger waren: Jeder männ liche Siedler sollte zweihundert Hektar Land erhalten.