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„Das heißt?“

„Sie wollen unterhalten sein; natürlich jeder auf seine Weise.“

„Aber wer ist der Koch,“ rief ich aus, „der für diese verschiedenen und verwöhnten Gaumen das Schmackhafte zubereitet? Wie kann man es allen oder nur vielen recht machen? Denn darin liegt doch der Ruhm des Autors.“

„Sie sind nicht so verwöhnt, wie man glaubt“, entgegnete er. „Die Mode tut viel, und wenn nur die Schriftsteller fleißiger die Leihbibliotheken besuchten, würde mancher finden, was ihm noch abgeht oder was er zuviel hat. Kann doch keiner ein guter Theaterdichter werden, der nicht mit der ganzen Stadt vor seinem eigenen Stücke sitzt, aufmerksam zuschaut und lauscht, was am meisten Eindruck macht.“

Der Mann sprach mir aus der Seele. Er hatte ausgesprochen, was auch ich mir schon lange zugeflüstert hatte. „Die Leihbibliotheken studiere, wer den Geist des Volkes kennenlernen will“, fuhr er mit Pathos fort. „Sehen Sie einmal, Bester, jene lange Reihe von Bänden an. Die weißen Pergamentrücken sind so rein, als hätte man sie nie oder nur mit Handschuhen angefaßt. Wer ist wohl der Autor, der so vergessen und gleichsam in Ruhestand versetzt dort steht?“

Ich riet auf eine Reisebeschreibung oder ein naturgeschichtliches Werk.

„Letzteren Artikel führen wir gar nicht“, antwortete er wegwerfend. „Nein - es ist Jean Paul.“

„Wie?“ rief ich mit Schrecken, „ein Mann, der für die Unsterblichkeit geschrieben, sollte schon jetzt vergessen sein? Hat er denn nicht alles in sich vereinigt, was anzieht und unterhält, tiefen Ernst und Humor, Wehmut und Satire, Empfindsamkeit und leichten Scherz?“

„Wer leugnet das?“ erwiderte der kleine Mann. „Alles hat er in sich vereint, um die verschiedensten Gaumen zu befriedigen. Aber er hat die Zutaten klein gehackt, wunderlich gemischt und mit einer pikanten Soße gekocht. Als es fertig war und das Publikum kostete, fand man es wohlschmeckend, delikat. Aber es widerstand dem Magen, weil niemand seine Kraftbrühen, den sonderbaren dunkeln Stil ertragen konnte. Dort stehen alle seine Gerichte unberührt, und nur einige Feinschmecker im Lesen nehmen hier und da ein ‚Kampanertal‘ oder einen ‚Titan‘ nach Hause und schmecken allerlei Feines heraus, das ich und mein Publikum nicht verstehen. Sehen Sie in jener Ecke die lange Reihe mit den neuen grünen Schildchen? Das ist Herder; auch dieser - doch hier kommt ein lebendiges Beispiel die Straße herauf. Kennen Sie Fräulein Rosa von Milben?“

„Gewiß; ich sah sie zuweilen und fand in ihr eine Dame von feinstem Geschmack und sehr belesen; zwar etwas empfindsam und idealisch, aber dabei von einer liebenswürdigen Unbefangenheit.“

„Des Fräuleins Kammermädchen wird gleich eintreten. Da haben Sie die beste Gelegenheit, den feinen, empfindsamen Geschmack der Dame kennenzulernen.“

„Ich wollte erraten, von welcher Art ihre Lektüre ist,“ erwiderte ich, „etwa ‚Rosaliens Nachlaß‘ oder Jakobs ‚Frauenspiegel‘, Tiedges ‚Urania‘ oder ‚Agathokles‘ von Karoline Pichler!“

„Stellen Sie sich nur ruhig an die Seite. Wir werden sogleich sehen.“

Ich tat, wie er mir sagte. Ich nahm ein Buch aus dem Schrank und stellte mich in eine Ecke, scheinbar mit Lesen beschäftigt. Das Mädchen trat in das Gewölbe, richtete eine freundliche Empfehlung von dem Fräulein aus, sie lasse fragen, ob man denn Nr. 1629 noch immer nicht haben könne.“

„Nicht zu Hause“, antwortete er nach einem flüchtigen Blick auf die Bücherschränke. „Hier ist eine andere Nummer für Ihr Fräulein. Sie soll sich nur gut unterhalten.“ Das Mädchen ging. „Schnell, einen Katalog,“ rief ich, „lassen Sie mich sehen, was 1629 ist!“ Mit ironischem Lächeln reichte mir der Alte den Katalog. Ich blätterte eilig, fand, und mein Herz erstarrte vor Verwunderung. Nr. 1629 war „Leben und Meinungen Erasmus Schleichers von Cramer!“ „Wie! Dieses, um wenig zu sagen, gemeine Buch darf Fräulein Rosa, die liebenswürdige Einfalt, lesen?“ sprach ich unwillig. „Und wenn keine Gouvernante, keine Mutter ihre Lektüre ordnet, darf sie sich selbst etwas der Art erlauben? Doch es ist ein Irrtum, die Zahlen sind falsch aufgeschrieben!“

„Wertbester Herr,“ erwiderte der Bibliothekar, „Sie trauen den Menschen zuviel Gutes zu. Hier ist ein Zettelchen, das ich heimlich aus dem Körbchen des Kammermädchens nahm. Erasmus Schleicher ist es und kein anderer. An deinen Kameraden kennt man dich! Hier stehen die übrigen Nummern, nach denen das Herz des Fräuleins verlangt. Vergleichen Sie!“

Zürnend nahm ich das Blättchen, auf dem zierlich die Worte: „Für Fräulein von Milben“ und eine lange Reihe von Zahlen geschrieben waren. Ich fing mit der ersten Nummer an und fand Leute, welchen freilich die Nachbarschaft des alten Erasmus keine Schande brachte: 1585 der deutsche Alcibiades, 2139 der Geist Erichs von Sickingen und seine Erlösung, 2995 Historien ohne Titel, 1544 der Blutschatz von H. Clauren, 1531 bis 1540 Scherz und Ernst von H. Clauren. Nein, weiter mochte ich die Herzensgeheimnisse nicht entziffern.

„Welche Heuchlerin ist dieses Mädchen!“ rief ich. „Das ist ihre Lektüre, und ich glaubte, sie werde nur die Stunden der Andacht lesen!“

„Da müßten Sie wahrlich einen guten Teil unserer jungen Damen Heuchlerinnen nennen; denn Clauren und Cramer und dergleichen sind ihre angenehmste Lektüre. Und daß sie nicht darüber sprechen, ist noch keine Heuchelei.“

„Aber, mein Gott, warum lesen denn wohlerzogene Leute so schlechte Bücher, von denen sie ohne Erröten nicht sprechen dürfen? Wahrhaftig, der Umgang mit schlechten Büchern ist oft gefährlicher als der Umgang mit schlechten Menschen.“

„Warum?“ entgegnete der Büchermann lachend. „Warum? Das ist einmal der Geschmack der Zeit.“

3. Der große Unbekannte

Ein Bedienter unterbrach uns. „Die Frau Gräfin von Langsdorf läßt sich ein Buch ausbitten“, sprach er.

„Was für eine Nummer?“

„Das hat sie nicht gesagt. Aber ich glaube, sie will eine Geistergeschichte.“

„Geistergeschichte?“ fragte der kleine Bibliothekar umhersuchend, „darf es auch eine Rittergeschichte sein? Die Geister sind alle ausgeblieben.“

„Ja, nur etwas recht Schauerliches, das hat sie gerne,“ erwiderte der Diener, „so wie das letzthin: ‚Die schwarzen Ruinen oder das unterirdische Gefängnis‘. Das hat uns sehr gut gefallen.“

„Liest Er denn auch mit?“ fragte der kleine Mann mit Staunen.

„Nachher, wenn die Frau Gräfin einen Band durchhat, lesen wir ihn auch im Bedientenzimmer.“

„Gut. Will Er lieber das Geisterschloß, die Auferstehung im Totengewölbe oder das feurige Racheschwert von Hildebrand?“

„Da tut mir die Wahl weh“, erwiderte er. „Was müssen das für schöne Bücher sein! Nu - ich will diesmal das feurige Racheschwert nehmen. Behalten Sie das Geisterschloß für das nächste Mal auf.“

Kaum hatte sich der Diener der Gräfin, die gern Schauergeschichten las, entfernt, so trat gemessenen Schrittes ein Soldat ein.

„Für den Herrn Leutnant Flunker beim fünfzehnten Regiment den blinden Torwart vom alten Schott.“

„Freund, hat Er auch recht gehört?“ fragte der Leihbibliothekar.

„Den blinden Torwart vom alten Schott? Ich kenne keinen Autor dieses Namens.“

„Es soll auch kein Auditor sein,“ entgegnete der Soldat vom Fünfzehnten, „sondern ein Buch. Der Herr Leutnant sind auf der Wache und wollen lesen.“

„Wohl! Aber vom alten Schott? Es steht weder ein alter noch ein junger im Katalog.“

„Es ist, glaub’ ich, derselbe, der soviel gedruckt hat und den sich alle Korporals und Wachtmeister um zwei Groschen gekauft haben.“

„Walter Scott!“ rief der Kleine mit Lachen. „Und das Buch wird Quentin Durward heißen.“