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»Sams Zentralnervensystem ist fast verschwunden«, sagte Whitling liebevoll. »Aber wir machen Fortschritte. Die Regeneration des Nervensystems ist natürlich äußerst.« Ich hörte nicht mehr zu. Ich starrte auf Sams grinsenden Mund, auf die schwarzen, gebrochenen Zähne. »Die Auswirkung einer Diät«, erklärte Whitling, der meinem Blick auch diesmal gefolgt war.

»Okay«, sagte ich. »Ich habe genug gesehen. Ich möchte verschwinden, bevor ich noch zum Windelwechseln antreten muß. Commander Whitling, ich danke Ihnen. Wo geht's hinaus?«

4

Ich wollte nicht in Habers Büro zurückkehren. Ich hatte Angst vor dem Gespräch, das dort vielleicht stattfinden würde. Aber ich mußte mich über den Fortgang unserer Arbeit informieren, und ich mußte was essen.

Also nahm ich Candace in meine Hotelsuite mit und bestellte den Lunch beim Zimmerkellner.

Ich stand am Thermalfenster und blickte auf die Stadt hinab, während Candace das Büro anrief. Ich hörte nicht einmal zu, denn sie wußte, was ich in Erfahrung bringen wollte. Ich stand nur da und beobachtete, wie Beiport zu meinen Füßen einen langweiligen Durchschnittsmontag abwickelte. Beiport war eine Radialstadt, mit einem urbanen Zentralgewirr aus den pilzförmigen Gebäuden, die vor zwanzig Jahren beliebt gewesen waren. Auch das Hotel gehörte dazu, und von meinem Fenster aus sah ich drei andere, die mich überragten oder nur bis zu meinen Füßen reichten, rechts und links, und dahinter erhoben sich die Kathedraltürme der Wohnblöcke. Ich sah eine Schlange aus bunten Autos, die auf einer der Verkehrsstraßen langsam dahinkroch, mit den bunten Aufklebern unserer Pro-ReferendumKampagne verziert - oder mit den Aufklebern der Opposition. Aus vierhundert Fuß Höhe betrachtet, schien das keine Rolle mehr zu spielen.

»Weißt du, Schätzchen«, sagte ich, als Candace das 3-V-Telefon abschaltete, »das alles hat keinen Sinn. Ich gebe zu, daß die Kinder arm dran sind und daß das sehr traurig ist. Wer kann schon kranken Kindern widerstehen. Aber sie haben überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob die Arcturer draußen auf dem See eine Telemetrie- und Gemüsebaustation errichten dürfen oder nicht.«

»Bist du nicht der Mann, der mir mal erzählt hat, daß Logik überhaupt nichts mit Public Relations zu tun hat?« Candace kam zu mir ans Fenster, setzte sich aufs Sims und las mir ihre Notizen vor: »Statistikindex um einen weiteren halben Punkt gesunken. Haber besteht darauf, daß ich dir sage, dies sei als Sieg zu betrachten. Ohne die Arcturus-Katzen wären es zwei Punkte gewesen. Die Briefe an die Geschäftsleute sind abgeschickt. Chicago hat nichts dagegen, daß wir das Budget überziehen. Das wäre alles.«

Es klingelte an der Tür, und sie ging hin, um den Kellner mit unserem Lunch hereinzulassen. Ich beobachtete sie ohne Appetit, abgesehen von dem Faktor, der nichts mit unserem Menü zu tun hatte - Candace selbst. Aber ich versuchte zu essen.

Candace schien es ziemlich egal zu sein, ob ich was zu mir nahm oder nicht, denn sie tat nichts, um meinen Appetit zu fördern. Sie tat sogar etwas, das überhaupt nicht zu ihr paßte. Während des ganzen Essens redete sie unaufhörlich über ein einziges Thema - die Kinder. Ich erfuhr, daß Nina fünfzehn gewesen war, als man sie in die Donnegan-Klinik eingeliefert hatte. Sie hatte die Marsbesetzung vom Anfang bis zum Ende mitgemacht, wollte mit niemandem sprechen und schrie, wenn man ihr nicht erlaubte, sich unter ihrem Bett zu verkriechen. »Nach sechs Monaten haben sie ihr eine Puppe gegeben, und mit der hat sie schließlich gesprochen.«

»Wieso weißt du das alles?« fragte ich.

»Tom hat es mir erzählt. Und dann die keimfreien Kinder.«

Sie berichtete von den vielen Injektionen und Knochenmarktransplantationen, die erforderlich gewesen waren, um die Abwehrreaktionen in den Körpern dieser Kinder wiederherzustellen, ohne die Patienten zu töten. Und sie erzählte von den Kindern mit den zerstörten Gehörnerven und Stimmbändern. Offenbar hatten die Arcturer die Frage untersucht, ob die Menschen ohne die Fähigkeit, Wörter zu artikulieren, vernünftig denken können. Und da waren die induzierten Bluter. Die Kinder ohne Tastsinn, die Kinder mit dem Muskelschwund.

»Und das hat Tom dir alles erzählt?«

»Noch viel mehr, Gunner. Du darfst nicht vergessen, daß das die Überlebenden sind. Einige Kinder wurden absichtlich.«

»Wie lange kennst du Tom schon?«

Sie legte ihre Gabel auf den Tisch, tat Zucker in ihren Kaffee, rührte darin, dann sah sie mich über den Tassenrand hinweg an.

»Oh, seit ich hier bin. Zwei Jahre. Damals waren die Kinder noch nicht hier.«

»Vermutlich kennst du ihn sehr gut.«

»O ja.«

»Er scheint diese Kinder wirklich zu mögen. Das habe ich ihm angesehen. Und du magst sie auch.« Ich trank von meinem Kaffee, der wie verdünnte Schweineschlempe schmeckte, griff nach einer Zigarette und sagte: »Ich glaube, ich habe zu lange gewartet. Ich meine, was die Situation hier betrifft. Findest du nicht auch?«

»Ja, Gunner«, sagte sie vorsichtig. »Ich glaube, du hast den Anschluß verpaßt.«

»Ich werde dir erzählen, was ich noch denke, Schätzchen. Ich glaube, du willst mir irgendwas sagen, und es hat nicht das geringste mit Punkt vier auf dem Wahlzettel nächste Woche zu tun.«

Und sie erwiderte: »Du hast recht, Gunner. Ich werde Tom Whitling am Weihnachtstag heiraten.«

Ich schickte sie ins Büro zurück und streckte mich auf meinem Bett aus, rauchte und beobachtete, wie der Rauch von den Wandventilatoren eingesogen wurde. Es war still und friedlich, denn ich hatte dem Empfangschef mitgeteilt, daß ich bis auf weiteres keine Anrufe wünschte, und ich fühlte überhaupt nichts.

Vollkommenheit ist so selten, daß es interessant ist, eine Situation zu finden, in der man sich von Anfang bis Ende vollkommen falsch verhalten hat.

Hätte ich meine kleine Liste hervorgeholt, ich hätte alle Punkte abhaken können, so oder so. Ich hatte Haber nicht gefeuert, und das wollte ich auch gar nicht mehr, denn er hatte sich bei diesem Spezialjob nicht viel dümmer angestellt als ich. Das war durch den Lagebericht erwiesen worden. Ich hatte das Kinderproblem untersucht. Ein bißchen zu spät. Ich hatte mit Connick gesprochen, dem Oppositionsvertreter Nummer eins, und was ich über ihn erfahren hatte, würde ihm weh tun, okay. Aber ich hatte wirklich keine Ahnung, wie das unserem Job dienlich sein sollte. Und ich würde Candace Harmon ganz gewiß nicht heiraten.

Und wenn ich schon dabei bin, dachte ich, während ich mir eine neue Zigarette am Stummel der alten anzündete, da war noch ein fünfter Punkt auf der Liste. Den hatte ich auch vermasselt.

Die klassischen Beispiele der Public Relations zeigen deutlich, wie wenig Vernunft mit Meinungsforschung zu tun hat, und doch war ich in die älteste und schwachsinnigste Falle getappt, die für Flunkerer aufgestellt wird. Denken Sie doch mal an die historischen Flunkerglanzstücke: »Die Juden stachen Deutschland in den Rücken.« - »Achtundsiebzig (oder neunundfünfzig oder hundertdrei) stimmberechtigte Kommunisten im Außenministerium!« - »Ich will nach Korea!« Es genügt nicht, daß ein Thema rational ist. Es ist sogar schlecht, wenn es rational ist -falls man damit die Drüsen der Menschen in Bewegung setzen will, weil es in erster Linie neu und frisch erscheinen muß und so revolutionär einfach, daß es ein ungeheures, verwirrtes und widerwärtiges Problem mit ungeahntem, hoffnungsvollem Licht umstrahlt. Zumindest muß der Durchschnittsmensch diesen Eindruck gewinnen. Und da er viele, trübe, angsterfüllte Stunden mit der Überlegung verbracht hat, wie er angesichts eines bankrotten Deutschlands oder einer drohenden Zerrüttung oder eines sinnlosen Krieges seine Haut retten kann, wird man dieser Problematik niemals mit einer rationalen Lösung begegnen können. Weil er die rationalen Lösungen alle schon überdacht und festgestellt hat, daß sie unbrauchbar sind oder mehr kosten würden, als er zu zahlen bereit ist.