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John Norman

Die Blutsbrüder Von Gor

1

»Dort ist sie«, sagte Grunt und deutete schräg nach vorn. »Siehst du sie?«

»Ja«, antwortete ich. »Und ich fühle sie.« Deutlich spürte ich das Beben der Erde durch die Pfoten und Beine meiner geschmeidigen, hochmütigen Kaiila.

»Bisher habe ich sie erst einmal gesehen«, bemerkte er.

Ich stellte mich in den Steigbügeln auf, die die Vibrationen weitergaben. Vorhin, als wir noch nicht aufgestiegen waren, hatten wir die Hände flach auf den Boden gelegt und eine erste Vorahnung der Erscheinung wahrgenommen, aus einer Entfernung von etwa zwanzig Pasangs.

»Sie kommen!« hatte Cuwignaka fröhlich gerufen.

»Ich bin ein wenig verwirrt«, äußerte Grunt. »Sie kommt früh, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Cuwignaka, der links von mir im Sattel seiner Kaiila saß.

Wir schrieben den Mond des Takiyuhawi, den Mond, in dessen Verlauf der Tabuk sich paart.

»Sie ist eigentlich erst im Kantasawi fällig.« Dies war der Mond, bei dem die Pflaumen rot werden, im Ödland die heißeste Zeit des Jahres, gegen Ende des Sommers.

»Ich weiß nicht, warum sie so früh kommt«, sagte Cuwignaka.

Unsere Kaiila bewegten sich unruhig hin und her. Das Gras der Anhöhe reichte ihnen bis zu den Knien.

»Vielleicht irren wir uns«, meinte ich. »Vielleicht kommt die Vibration von etwas anderem.«

»Dabei gibt’s keinen Irrtum«, sagte Grunt.

»Nein«, fügte Cuwignaka fröhlich hinzu.

»Könnte es sich um eine andere handeln?« fragte ich.

»Nein«, antwortete Cuwignaka.

»Diese Dinge sind wie Sommer und Winter«, erklärte Grunt, »wie die Mondphasen, wie Tag und Nacht.«

»Warum kommt sie dann aber so früh?« wollte ich wissen.

»War sie jemals früh hier?« wandte sich Grunt an Cuwignaka.

»Solange ich zurückdenken kann, nicht«, antwortete dieser. »In den alten Überlieferungen ist die Rede davon, daß sie einmal zu spät kam, doch an ein frühes Eintreffen erinnere ich mich nicht.«

»Sieht aus, als ob es dort drüben regnet«, bemerkte ich.

»Das ist Staub, der vom Wind bewegt wird«, erklärte Cuwignaka. »Die Hufe lassen ihn aufsteigen.«

»Sie ist da«, sagte Grunt. »Es gibt keinen Zweifel mehr.«

Ich schaute in die Ferne. Es war wie ein Fluß aus Hörnern und Fellen.

»Wie lange ist sie?« fragte ich, denn ich vermochte das Ende nicht zu erkennen.

»Wahrscheinlich etwa fünfzehn Pasangs«, erwiderte Grunt. »Und vier bis fünf Pasangs breit.«

»Es würde fast einen Tag dauern, sie zu umreiten«, stellte Cuwignaka fest.

»Wie viele Tiere machen eine solche Gruppe aus?« fragte ich.

»Wer zählt die Sterne, wer die Grashalme?« fragte Cuwignaka.

»Die Größe«, sagte Grunt, »wird auf zwei bis drei Millionen Tiere geschätzt.«

»Sicher die größte Gruppe ihrer Art im Ödland«, meinte ich.

»Nein«, sagte Grunt. »Es gibt größere. Boswell behauptet, eine Gruppe beobachtet zu haben, die für das Durchschwimmen eines Flusses fünf Tage brauchte.«

»Wie lange würde diese Gruppe dazu brauchen?«

»Zwei bis drei Tage.«

»Ich verstehe«, sagte ich. Der Boswell, von dem er sprach, war mit dem Mann identisch, nach dem der Boswell-Paß in den Thentis-Bergen benannt war. Er war einer der ersten Erforscher des Ödlandes, zu denen auch Diaz, Hogarthe und Bento zählten.

»Ein prächtiger, eindrucksvoller Anblick«, sagte ich. »Reiten wir näher heran!«

»Aber mit Vorsicht«, sagte Cuwignaka. Er stieß einen Freudenschrei aus, hieb seiner Kaiila die Fersen in die Flanke und galoppierte den Hang hinab.

Grunt und ich sahen uns an und grinsten. »Er ist noch ein Kind«, sagte Grunt.

Wir folgten Cuwignaka. Etwa zur Mittagsstunde zügelten wir unsere Tiere neben ihm auf einer anderen Anhöhe. Die Tiere, die unter uns dahinzogen, waren nur noch drei oder vier Pasangs entfernt.

»Es ist die Pte!« rief Cuwignaka fröhlich und schaute zu uns zurück.

»Ja«, sagte Grunt.

Wir konnten die Tiere deutlich riechen. Mein Reittier, eine hochgewachsene schwarze Kaiila mit seidigem Fell, trippelte nervös hin und her. Sie hatte die Nüstern gebläht und die Sturmlider geschlossen, die den großen runden Augen eine gelbliche Färbung verliehen. Die Kaiila, vor einigen Wochen in der Stadt Kailiauk in der Grenzzone erstanden, hatte wohl noch nie solche Tiere gerochen, und auf keinen Fall in solcher Zahl. Staub umwallte uns, und ich mußte blinzeln. Die Nähe solcher Ungeheuer war beeindruckend. Ich wagte mir nicht vorzustellen, wie es wäre, dieser Herde noch näher zu kommen. Will man einzelne Tiere aus der Masse töten, muß man beinahe auf Berührungsnähe heran, damit die Lanze fest genug gestoßen werden kann oder der Pfeil tief genug eindringt.

»Gibt es immer soviel Staub?« fragte ich und mußte ein wenig die Stimme heben, so laut bellten die Ungeheuer und dröhnten die Hufe.

»Nein«, antwortete Cuwignaka ebenso laut. »Im Augenblick ist die Herde in Marsch und grast nicht.«

»Sie ist früh dran«, wiederholte ich.

»Ja«, sagte Grunt. »Das ist interessant. Sie muß mehr als normal in Bewegung gewesen sein.«

»Ich schaue mir die Tiere mal an«, sagte Cuwignaka.

»Sei vorsichtig!« ermahnte Grunt.

Wir schauten zu, wie Cuwignaka seine Kaiila den Hang hinabtrieb. Er würde sich nicht zu dicht an die Tiere heranbegeben, wofür es grundlegende traditionelle Gründe gab.

»Die Tiere gleichen einer Flut«, sagte ich, »einem gewaltigen Erdrutsch; sie sind wie Wind oder Donner: ein Naturereignis.«

»Ja«, sagte Grunt.

Die Bewegung dieser Herde war im Lager der Isbu-Kaiila, der Kleine-Steine-Bande des Kaiila-Stammes, seit gut zehn Tagen auf einer primitiven Karte verfolgt worden, mit eingekerbten Stöcken, deren Markierungen die Tage angaben und deren Position das Vorrücken der Tiere am fraglichen Tag darstellten. Kundschafter der Sleensoldaten, einer Kriegergemeinschaft der Isbu, behielten die Tiere im Auge, seit sie vor gut zwei Wochen Kaiila-Gebiet erreicht hatten. Es war ein Monat, in dem die Sleensoldaten im Lager die Polizeigewalt innehatten mit der Verantwortung für viele verschiedene Dinge: Kundschafterei und Wachestehen, Aufsicht im Lager und das Schlichten kleiner Streitigkeiten. Zu den anderen Pflichten der Sleensoldaten gehörten natürlich die Planung, Organisation und Überwachung der großen Wanasapi, der großen Jagd.

Wenige Ehn später zügelte Cuwignaka seine schweißbedeckte Kaiila neben uns; obwohl er schwitzte, war er bester Laune.

»Herrlich!« rief er.

»Gut«, sagte Grunt, der sich über die Begeisterung des jungen Mannes freute.

Wer diese Dinge nicht genau kennt, wird kaum begreifen, welche Bedeutung der Pte oder Kailiauk für die roten Wilden hat. Sie verehren und lieben dieses Tier, das für sie eine wichtige Rolle spielt; ein großer Teil ihres Lebens kreist darum. Der Kailiauk ist für sie mehr als Fleisch für den Magen und Kleidung für den Rücken; das Tier ist ein Mysterium und eine besondere Wesenheit; es ist überladen mit Medizin, es ist eine Gefahr, es bietet Sport, es ist eine Herausforderung – und eine Herzensfreude, wenn man es frühmorgens jagt, eine Lanze oder einen Bogen in der Hand, eine schnelle, eifrige Kaiila zwischen den Knien.

»Schaut!« sagte Grunt und deutete nach rechts.

In schnellem Galopp näherte sich ein Reiter, ein roter Wilder. Er trug Lendenschurz und Mokassins. Vor der Brust baumelte eine Kette aus Sleenklauen. Er hatte keine Federn im Haar, und weder er noch sein Tier waren bemalt. Er hatte auch keine Lanze und keinen Schild bei sich. Er war nicht in kriegerischer Absicht unterwegs, obwohl an seinem Sattel ein Bogenetui mit Köcher baumelten und an seiner Hüfte eine perlenbesetzte Scheide mit einem Tauschmesser hing.

»Das ist Hci«, sagte Cuwignaka. Es gab eigentlich keine genaue Übersetzung für den Ausdruck ›Hci‹. Am ehesten konnte man ihn noch als Scharte übersetzen, wie sie beispielsweise in der Schneide einer Axt entsteht. Im weiteren Sprachgebrauch bedeutet das Wort ›Kerbe‹, wie man sie mit einer Axt in einen Baum schlägt, oder auch ›Narbe‹. Und aus dieser Bedeutung leitet sich der Name offensichtlich her. Hcis linke Gesichtshälfte war von einer unregelmäßigen, gezackten Narbe entstellt, etwa zwei Zoll lang. Zugezogen hatte er sie sich vor mehreren Jahren, mit siebzehn, bei seinem zweiten Einsatz auf dem Kriegspfad. Ein Gelbmesserkrieger hatte sie ihm im Verlauf eines berittenen Kampfes mit einem langgriffigen Steintomahawk beigebracht. Zuvor ein zugänglicher junger Mann, hatte er auf eigenen Wunsch den Namen Hci erhalten und war mürrisch und grausam geworden. Er hatte sich auf die Kameradschaft und die Rituale und Zeremonien der Sleensoldaten geworfen und schien von nun an keinen anderen Lebensinhalt mehr zu haben als Überfälle und Kampf. Mitglieder der eigenen Gemeinschaft hatten Angst, mit ihm zu reiten, so schnell, so energisch setzte er sich ein, ungeachtet jeder Gefahr. Bei einem Kampf gegen Flieher-Krieger war er einmal von der Kaiila gesprungen und hatte die Lanze durch seine eigene, am Boden schleifende Kampfschärpe getrieben, wie seine Organisation sie zu tragen pflegte. Auf diese Weise hatte er sich praktisch inmitten der angreifenden Flieher bewegungsunfähig gemacht. »Ich gebe diesen Boden nicht preis!« hatte er gebrüllt. Die fliehenden Angehörigen seiner Kampfgemeinschaft hatten sich bei diesem Anblick ein Herz gefaßt und die Flieher angegriffen, obwohl sie zahlenmäßig unterlegen waren. Die Flieher hatten schließlich den Kampfschauplatz verlassen, da ihnen der Preis des Sieges über solche Kämpfer zu hoch erschien. Beim Abrücken hatten sie vor dem jungen Krieger grüßend die Lanzen erhoben. Ein solcher Mut findet im Ödland Anerkennung – sogar durch den Feind.