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Unsere Damen drängten sich, heiter und spöttisch miteinander tuschelnd, am Gitter zusammen. Sie schoben die Knienden und alle andern Besucher beiseite oder traten vor sie hin und verdeckten ihnen den Blick; nur bei dem Gutsbesitzer gelang ihnen dies nicht, der hartnäckig an seinem Platze blieb und sich sogar mit den Händen am Gitter festhielt. Sie richteten vergnügte Blicke voll neugieriger Spannung auf Semjon Jakowlewitsch; ja sie sahen auch durch Lorgnetten, Pincenezs und sogar durch Operngläser nach ihm hin; wenigstens benutzte Ljamschin ein solches. Semjon Jakowlewitsch überschaute sie ruhig und lässig mit seinen kleinen Augen.

»Liebäugler, Liebäugler!« rief er halblaut mit seiner heiseren Baßstimme.

Die Unsrigen fingen alle an zu lachen: »Was heißt das: Liebäugler?« Aber Semjon Jakowlewitsch versank in Schweigen und aß seine Kartoffeln weiter. Endlich wischte er sich mit einer Serviette den Mund, und es wurde ihm Tee gereicht.

Er trank den Tee gewöhnlich nicht allein, sondern ließ auch den Besuchern welchen eingießen, aber bei weitem nicht einem jeden; gewöhnlich bezeichnete er selbst denjenigen von ihnen, der beglückt werden sollte. Diese Anordnungen überraschten immer dadurch, daß sie völlig unberechenbar waren. Manchmal befahl er mit Übergehung der Reichen und Vornehmen, einem Bauer oder einer hinfälligen alten Frau Tee zu reichen; ein andermal überging er die geringen Leute und bedachte irgendeinen wohlgenährten, reichen Kaufmann. Der Tee wurde auch in verschiedener Weise gereicht; die einen erhielten ihn mit Zucker darin; anderen wurde ein Stück Zucker zum Abbeißen dazugelegt; wieder andere bekamen ihn ganz ohne Zucker. Diejenigen, die diesmal beglückt wurden, waren der fremde Mönch, der ein Glas Tee mit Zucker darin erhielt, und der alte Wallfahrer, dem er ganz ohne Zucker gegeben wurde. Dagegen wurde dem dicken Mönche aus unserem Kloster, dem mit der Sammelbüchse, aus unverständlichem Grunde überhaupt kein Tee gereicht, obgleich dieser bisher täglich sein Glas erhalten hatte.

»Semjon Jakowlewitsch, sagen Sie mir doch etwas; ich habe schon so lange gewünscht, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte in singendem Tone, lächelnd und die Augen ein wenig zusammenkneifend, die elegante Dame aus unserem Wagen, die vorhin bemerkt hatte, daß man keine Zerstreuung von der Hand weisen dürfe, wenn sie nur interessant sei.

Semjon Jakowlewitsch blickte gar nicht nach ihr hin. Der kniende Gutsbesitzer seufzte laut und tief, so daß es klang, wie wenn ein großer Blasebalg angehoben und niedergedrückt wurde.

»Mit Zucker darin!« befahl Semjon Jakowlewitsch plötzlich, auf den Kaufmann mit den hunderttausend Rubeln weisend.

Dieser trat nach vorn und stellte sich neben den Gutsbesitzer.

»Gib ihm noch mehr Zucker!« befahl Semjon Jakowlewitsch, als das Glas schon eingegossen war; es wurde noch ein Stück hineingelegt. »Noch mehr, noch mehr!« Es wurde zum dritten Male und zuletzt auch noch zum vierten Male Zucker hineingetan.

Der Kaufmann begann ohne Widerspruch seinen Sirup zu trinken.

»O Gott!« flüsterten die einfachen Leute und bekreuzten sich.

Der Gutsbesitzer seufzte wieder laut und tief.

»Väterchen! Semjon Jakowlewitsch!« rief auf einmal die ärmliche Dame, welche die Unsrigen an die Wand gedrückt hatten, mit kummervoller Stimme, die aber schärfer klang, als man hätte erwarten können. »Eine ganze Stunde lang warte ich schon auf deine Wohltat, Liebster, Bester! Sprich zu mir Ärmsten, entscheide mein Schicksal!«

»Frage sie!« befahl Semjon Jakowlewitsch dem Kirchendiener.

Dieser trat an das Gitter heran.

»Hast du das ausgeführt, was dir Semjon Jakowlewitsch das vorige Mal befohlen hat?« fragte er die Witwe leise und gemessen.

»Wie konnte ich es denn ausführen, Väterchen Semjon Jakowlewitsch? Wie soll man es denn ausführen, wenn die so sind?« heulte die Witwe. »Menschenschinder sind sie; sie machen eine Eingabe gegen mich beim Bezirksdirektor und drohen mir mit dem Senat; so benehmen sie sich gegen ihre leibliche Mutter!«

»Gib ihr den!« befahl Semjon Jakowlewitsch, auf einen Hut Zucker weisend.

Der Knabe sprang herzu, nahm den Hut Zucker und trug ihn zu der Witwe hin.

»Ach, Väterchen, deine Gnade ist groß. Was soll ich denn mit soviel?« fing die Witwe wieder an.

»Noch einen, noch einen!« befahl Semjon Jakowlewitsch zur Belohnung.

Es wurde noch ein Hut Zucker zu ihr hingeschleppt. »Noch einen, noch einen!« ordnete der Gottesmann an, und es wurde ein dritter und schließlich ein vierter hingetragen. Die Witwe war von allen Seiten mit Zuckerhüten umstellt. Der Mönch aus dem Kloster seufzte; all dies hätte gleich heute nach dem Kloster gebracht werden können, wie das früher geschehen war.

»Aber was soll ich denn mit soviel?« stöhnte die Witwe demütig. »Es wird mir ja übel werden, wenn ich das allein verzehren soll! ... Liegt darin vielleicht eine Prophezeiung, Väterchen?«

»Gewiß, darin liegt eine Prophezeiung,« sagte jemand in der Menge.

»Noch ein Pfund, noch ein Pfund!« befahl Semjon Jakowlewitsch, der nicht müde wurde zu schenken.

Auf dem Tische war noch ein ganzer Hut Zucker übriggeblieben; aber Semjon Jakowlewitsch hatte nur befohlen, ein Pfund zu geben, und so gab man denn der Witwe ein Pfund.

»O Gott, o Gott!« seufzte das Volk und bekreuzte sich. »Eine deutliche Prophezeiung!«

»Versüßen Sie zuerst Ihr Herz durch Güte und Freundlichkeit, und dann kommen Sie her, um sich über Ihre eigenen Kinder zu beklagen, die doch Bein von Ihrem Bein und Fleisch von Ihrem Fleisch sind! Das ist, wie man annehmen muß, die Bedeutung dieses Sinnbildes,« sagte der dicke, mit dem Tee übergangene Mönch aus dem Kloster leise, aber selbstzufrieden, indem er in einem Anfall gereizter Eitelkeit die Ausdeutung auf sich nahm.

»Aber was redest du da, Väterchen!« erwiderte die Witwe, die auf einmal zornig wurde. »Sie haben mich mit einem Fangstrick ins Feuer schleppen wollen, als es bei Werchischins brannte. Sie haben mir eine tote Katze in meinen Kasten gelegt, und so sind sie zu jeder Schändlichkeit bereit ...«

»Jage sie weg, jage sie weg!« rief Semjon Jakowlewitsch mit einer entsprechenden Handbewegung.

Der Kirchendiener und der Knabe eilten durch die Tür im Gitter nach dem äußeren Teile des Zimmers. Der Kirchendiener faßte die Witwe unter den Arm; sie hatte sich wieder beruhigt und ließ sich zur Tür ziehen, wobei sie sich nach den ihr geschenkten Hüten Zucker umsah, die der Knabe ihr nachschleppte.

»Einen wegnehmen! Nimm ihr einen wieder weg!« befahl Semjon Jakowlewitsch dem bei ihm zurückgebliebenen Arbeiter.

Dieser eilte den Hinausgehenden nach, und nach einiger Zeit kehrten alle drei Diener zurück und brachten einen Hut Zucker mit, der der Witwe zuerst geschenkt und nun wieder abgenommen war; die drei andern trug sie jedoch mit sich fort.

»Semjon Jakowlewitsch,« erscholl eine Stimme von hinten, ganz von der Tür her. »Mir hat von einem Vogel geträumt, von einer Dohle; die kam aus dem Wasser geflogen und flog ins Feuer. Was hat der Traum zu bedeuten?«

»Kälte,« antwortete Semjon Jakowlewitsch.

»Semjon Jakowlewitsch, warum haben Sie mir denn nichts geantwortet? Ich interessiere mich doch schon so lange für Sie,« begann unsere Dame wieder.

»Frage ihn!« befahl Semjon Jakowlewitsch, ohne auf sie zu hören, und wies auf den knienden Gutsbesitzer.

Der Mönch aus dem Kloster, an den der Befehl zum Fragen gerichtet war, trat gemessenen Ganges an den Gutsbesitzer heran.

»Womit haben Sie gesündigt? Und war Ihnen nicht befohlen worden, etwas auszuführen?«

»Ich sollte nicht schlagen, sollte meine Hände im Zaum halten,« antwortete der Gutsbesitzer heiser.

»Haben Sie das getan?« fragte der Mönch.

»Es ist mir nicht möglich; meine eigene Kraft trägt den Sieg über mich davon.«