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»Das war nur ein Augenblick des Kleinmutes, ein Augenblick des intimen Gespräches!« rief er bekümmert aus. »Aber können Sie denn wirklich, wirklich um so kleinlicher Empfindungen willen alle Bande zerreißen? Ist denn wirklich nach so langen Jahren nichts von unseren Beziehungen übriggeblieben?«

»Sie sind ein kluger Rechner; Sie möchten es immer so darstellen, als ob ich noch in Ihrer Schuld wäre. Als Sie aus dem Auslande zurückkamen, da sahen Sie mich von oben herab an und erlaubten mir nicht, auch meinerseits ein Wort zu sagen, und als ich selbst ins Ausland gefahren war und nachher mit Ihnen über den Eindruck zu reden anfing, den mir die Madonna gemacht hatte, da hörten Sie mich nicht zu Ende und begannen hochmütig in Ihre Krawatte hineinzulächeln, als ob ich nicht ebensolche Empfindungen haben könnte wie Sie.«

»Das verhielt sich nicht so, wahrscheinlich verhielt sich das nicht so ... J'ai oublié.«

»Nein, das verhielt sich genau so; und dabei hatten Sie gar keinen Anlaß, sich vor mir zu brüsten; denn das war ja alles dummes Zeug und nur Einbildung von Ihnen. Heutzutage gerät kein Mensch, kein Mensch mehr über die Madonna in Entzücken, und niemand verliert mehr seine Zeit damit außer ein paar verstockten alten Herren. Das ist bewiesen.«

»Auch schon bewiesen?«

»Sie ist zu nichts zu gebrauchen. Dieser Krug ist nützlich, weil man Wasser hineingießen kann, und dieser Bleistift ist nützlich, weil man mit ihm alles mögliche schreiben kann; aber jenes gemalte Frauengesicht hat geringeren Wert als alle anderen, wirklichen Gesichter. Machen Sie die Probe: zeichnen Sie einen Apfel, und legen Sie hier einen wirklichen Apfel daneben; welchen werden Sie nehmen? Sie werden gewiß nicht fehlgreifen. Solche Resultate haben unsere Theorien jetzt bereits gezeitigt, wo sie soeben der erste Strahl der freien Forschung erleuchtet hat.«

»Ja, ja.«

»Sie lächeln ironisch. Aber was haben Sie mir zum Beispiel vom Almosengeben gesagt? Und doch ist der Genuß, den man beim Almosengeben empfindet, ein hochmütiger, unmoralischer Genuß, die Freude des Reichen über seinen Reichtum, über seine Macht und über seine gesellschaftliche Stellung im Vergleich mit der des Armen. Das Almosengeben verdirbt sowohl den Gebenden als auch den Nehmenden und erfüllt überdies nicht einmal seinen Zweck, da es die Bettelei nur vermehrt. Faule Menschen, die nicht arbeiten wollen, drängen sich um die Gebenden wie Spieler um den Spieltisch in der Hoffnung zu gewinnen. Und dabei reichen die kläglichen paar Groschen, die man ihnen hinwirft, nicht im entferntesten für ihre Bedürfnisse aus. Haben Sie in Ihrem Leben schon viel Geld weggeben? Wohl nicht mehr als etwa acht Zehnkopekenstücke; denken Sie einmal darüber nach! Suchen Sie sich einmal zu erinnern, wann Sie zum letztenmal ein Almosen gegeben haben; das wird wohl schon zwei Jahre, vielleicht vier Jahre zurückliegen. Sie machen nur törichtes Geschrei und schaden der Sache. Das Almosengeben müßte auch schon im jetzigen Staate gesetzlich verboten werden. In dem neu geordneten Staate wird es überhaupt keine Armen geben.«

»Oh, welch eine Reproduktion fremder Gedanken! Also sind Sie auch schon bis zur Neuordnung des Staates gelangt? Sie Unglückliche, möge Ihnen Gott helfen!«

»Ja, dahin bin ich gelangt, Stepan Trofimowitsch; Sie haben sorgsam alle neuen Ideen vor mir verborgen gehalten, die jetzt schon allen Leuten bekannt sind, und haben das einzig und allein aus Egoismus getan, um über mich eine Macht zu besitzen. Jetzt ist mir sogar diese Julija meilenweit voraus. Aber jetzt sind mir die Augen aufgegangen. Ich habe Sie verteidigt, Stepan Trofimowitsch, soviel ich nur konnte; denn geradezu alle erheben Anklagen gegen Sie!«

»Genug!« sagte er und stand von seinem Platze auf. »Genug! Und was kann ich Ihnen nun noch anderes wünschen als Reue?«

»Setzen Sie sich noch auf einen Augenblick, Stepan Trofimowitsch! Ich wollte Sie noch etwas fragen. Es ist Ihnen die Aufforderung überbracht worden, bei der literarischen Matinee etwas vorzulesen; das ist durch meine Vermittelung erfolgt. Sagen Sie, was werden Sie denn vorlesen?«

»Gerade etwas über diese Königin der Königinnen, über dieses Ideal der Menschheit, die Sixtinische Madonna, die Ihrer Ansicht nach nicht soviel wert ist wie ein Glas oder ein Bleistift.«

»Also nichts Historisches?« fragte Warwara Petrowna unangenehm überrascht. »Aber da werden Sie keine aufmerksamen Zuhörer haben. Verschonen Sie uns mit dieser Madonna! Wie kann es Ihnen nur Vergnügen machen, alle einzuschläfern! Seien Sie überzeugt, Stepan Trofimowitsch, daß ich nur in Ihrem Interesse rede. Das Richtige wäre, wenn Sie ein kurzes, interessantes, mittelalterliches Hofhistörchen aus der spanischen Geschichte nähmen, oder besser gesagt eine Anekdote, und diese dann noch mit eigenen Anekdoten und geistreichen Bemerkungen farcierten. Es hat dort üppige Hofhaltungen gegeben und zweifelhafte Damen und Vergiftungen. Karmasinow sagt, es würde sonderbar sein, wenn Sie aus der spanischen Geschichte nicht etwas Interessantes zum Zwecke der Vorlesung herausfänden.«

»Karmasinow, dieser Dummkopf, der sich ausgeschrieben hat, sucht für mich Themata!«

»Karmasinow, dieser Mann mit dem großartigen Verstande! Sie lassen Ihrer Zunge zu sehr den Zügel schießen, Stepan Trofimowitsch!«

»Ihr Karmasinow ist ein altes, wütendes Weib, das sich ausgeschrieben hat! Chère, chère, haben Sie sich schon lange in die Knechtschaft dieser Menschen begeben? O Gott!«

»Ich kann ihn jetzt auch nicht leiden wegen seiner Wichtigtuerei; aber ich lasse seinem Verstande Gerechtigkeit widerfahren. Ich wiederhole, ich habe Sie aus all meiner Kraft verteidigt, soviel ich nur konnte. Und wozu wollen Sie sich denn durchaus als einen lächerlichen, langweiligen Menschen hinstellen? Treten Sie doch lieber mit einem würdevollen Lächeln an das Rednerpult als der Vertreter eines vergangenen Zeitalters, und erzählen Sie drei Anekdoten mit all Ihrem Witz, erzählen Sie sie so, wie nur Sie manchmal zu erzählen verstehen! Mögen Sie auch ein alter Mann sein, mögen Sie auch einem Zeitalter angehören, das sich überlebt hat, mögen Sie endlich auch hinter den Männern von heute rückständig sein; aber Sie werden das selbst in der Vorrede lächelnd einräumen, und alle werden sehen, daß Sie eine liebenswürdige, gutherzige, geistreiche Ruine sind, kurz, ein Mensch von altem Witz und Verstand, ein Mensch, der so weit vorgeschritten ist, daß er die ganze Torheit mancher Anschauungen, in denen er bisher befangen gewesen ist, selbst zu beurteilen vermag. Also, tun Sie mir den Gefallen; ich bitte Sie darum.«

»Chère, genug! Bitten Sie mich nicht; ich kann es nicht tun. Ich werde über die Madonna lesen; aber ich werde einen Sturm erregen, der entweder sie alle zu Boden wirft oder mich allein vernichtet!«

»Sicherlich Sie allein, Stepan Trofimowitsch.«

»Das ist dann eben mein Schicksal! Ich werde von dem gemeinen Knechte, von dem übelriechenden, liederlichen Bedienten erzählen, der als der erste mit einer Schere in der Hand auf die Leiter steigen und das göttliche Antlitz dieses Ideals zerschneiden wird, im Namen der Gleichheit, des Neides und ... der Verdauung. Möge mein Fluch wie ein Donner erschallen, und dann, dann ...«

»Ins Irrenhaus?«

»Vielleicht. Aber jedenfalls, mag ich nun unterliegen oder als Sieger hervorgehen, jedenfalls werde ich gleich an jenem Abend meinen Sack, meinen Bettelsack nehmen, werde alle meine Habseligkeiten, alle Ihre Geschenke, alle Pensionen und Versprechungen künftiger Wohltaten zurücklassen und zu Fuß davonwandern, um mein Leben bei einem Kaufmann als Hauslehrer zu beschließen oder irgendwo an einem Zaune zu verhungern. Weiter habe ich nichts mehr zu sagen. Alea jacta est!«