«Und es ist meine Frau, «sprach Athos.
D'Artagnan bebte, denn er begriff, daß Athos seiner Rache sicher war, da er ein solches Geheimniß enthüllte; Porthos und Aramis schauten sich erbleichend an; Lord Winter glaubte, Athos sei verrückt.
«Zieht Euch nun zurück, «sagte Athos,»und laßt mich machen. Ihr seht wohl, daß die Sache mich als den Gatten betrifft. Nur gebt mir das Papier, d'Artagnan, wenn Ihr es nicht verloren habt, das aus dem Hute jenes Mannes gefallen ist, und worauf der Name der Stadt geschrieben steht.«
«Ah!«rief d'Artagnan,»ich begreife, der von ihrer Hand geschriebene Name…«
«Du siehst wohl, «sprach Athos,»daß es einen Gott im Himmel gibt!«
XXXVI Der Rothmantel
Die Verzweiflung von Athos hatte einem tiefen innern Schmerz Platz gemacht, der die glänzenden Eigenschaften dieses Mannes noch leuchtender hervortreten ließ.
Nur mit einem Gedanken beschäftigt, nämlich an das Versprechen, das er geleistet, und an die Verantwortlichkeit, die er übernommen hatte, zog er sich zuletzt in sein Zimmer zurück, bat den Wirth, ihm eine Karte von der Gegend zu verschaffen, beugte sich über diese, betrachtete die auf derselben gezogenen Linien, fand, daß vier verschiedene Wege von Bethune nach Armentières führten, und ließ die Bedienten rufen.
Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin erschienen und erhielten klare, pünktliche und ernste Befehle von Athos. Sie sollten mit Tagesanbruch abgehen und sich jeder auf einem andern Wege nach Armentières begeben. Planchet, der Gescheiteste von allen, sollte denselben einschlagen, wie der Wagen, auf welchen die drei Freunde geschossen hatten, und der, wie man sich erinnert, von dem Bedienten Rocheforts begleitet war.
Athos ließ die Bedienten zuerst ins Feld rücken, einmal weil er, seitdem diese Leute in seinem und seiner Freunde Dienst standen, bei jedem von ihnen verschiedenartige und wesentliche Eigenschaften erkannt hatte, und dann, weil Bedienten, wenn sie sich nach etwas erkundigen, den Bauern weniger Mißtrauen einflößen, als ihre Herren, und mehr Sympathie bei denjenigen finden, an welche sie sich wenden. Endlich kannte auch Mylady die Herren, während ihr die Knechte fremd waren.
Alle vier sollten sich am andern Tag um elf Uhr an einem bezeichneten Orte einfinden. Wenn sie den Aufenthalt Myladys entdeckt hätten, sollten drei zu ihrer Bewachung zurückbleiben, der vierte aber sollte wieder nach Bethune kommen, um Athos Kunde zu geben und den drei Freunden als Führer zu dienen.
Als diese Anordnungen getroffen waren, gingen auch die Bedienten schlafen.
Athos erhob sich nun von seinem Stuhl, gürtete sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und verließ die Herberge; es war zehn Uhr, um zehn Uhr finden sich bekanntlich in der Provinz nur selten Menschen auf den Straßen. Athos aber suchte offenbar irgend Jemand, an den er eine Frage richten könnte. Endlich ging ein Verspäteter vorüber, er näherte sich ihm und sagte einige Worte. Der Mann, an den er sich wandte, wich erschrocken zurück; er beantwortete jedoch die Frage des Musketiers durch ein Deuten. Athos bot diesem Menschen eine halbe Pistole, wenn er ihn begleiten würde, aber er schlug es aus.
Athos wandte sich nach einer Straße, die ihm der Befragte mit dem Finger bezeichnet hatte, aber als er auf einen Kreuzweg gelangte, gerieth er abermals in eine sichtbare Verlegenheit. Da er jedoch auf diesem Kreuzweg mehr als irgendwo einem Menschen zu begegnen hoffen durfte, so blieb er stille stehen. Bald kam auch wirklich ein Nachtwächter. Athos wiederholte die Frage, die er bereits an die erste Person, die er getroffen, gerichtet hatte. Der Nachtwächter gab denselben Schrecken kund, weigerte sich ebenfalls, Athos zu begleiten, und zeigte ihm mit der Hand den Weg, den er einzuschlagen hatte.
Athos ging in der ihm angegebenen Richtung vorwärts und erreichte die am entgegengesetzten Ende liegende Vorstadt. Hier schien er abermals unruhig und verlegen und stand zum dritten Male still.
Zum Glück kam ein Bettler vorüber, der sich Athos näherte und ihn um ein Almosen bat. Athos bot ihm einen Thaler an, wenn er ihn begleiten würde. Der Bettler zögerte einen Moment, aber beim Anblick des in der Dunkelheit schimmernden Geldstückes entschloß er sich und marschirte Athos voraus.
Als sie die Ecke einer Straße erreicht hatten, zeigte er ihm von ferne ein kleines, einsam gelegenes düsteres Haus. Athos eilte auf dasselbe zu, während der Bettler, nachdem er seine Belohnung erhalten hatte, aus Leibeskräften davonlief.
Athos ging rings um das Haus, ehe er die Thüre unter der rothen Farbe unterscheiden konnte, mit der es angemalt war. Kein Licht schien durch die Spalten der Fensterläden, kein Geräusch ließ vermuthen, daß es bewohnt wurde; es war stumm und traurig wie ein Grab.
Athos klopfte dreimal, ohne daß man antwortete; bei dem dritten Schlag näherten sich im Innern Tritte, die Thüre öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchse, bleicher Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und schwarzem Barte erschien.
Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann von hohem Wuchse dem Musketiere ein Zeichen, daß er eintreten könne. Athos benützte sogleich diese Erlaubniß und die Thüre schloß sich hinter ihm.
Der Mann, den Athos in so großer Entfernung aufgesucht und nur mit Mühe gefunden hatte, ließ ihn in ein Laboratorium eintreten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skelets mit Eisendraht an einander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf allein lag noch auf dem Tische.
Alles übrige Geräthe deutete an, daß der Mann, bei dem man sich befand, sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte; es waren hier gläserne Gefäße voll von Schlangen mit Aufschriften nach den Gattungen, getrocknete Eidechsen glänzend wie Smaragde in großen Rahmen von Holz; Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern, ohne Zweifel mit Eigenschaften und Kräften ausgerüstet, die dem großen Haufen unbekannt waren, hingen an der Decke und in den Ecken der Stube.
Keine Familie, kein Gesinde war zu bemerken; der Mann von hohem Wuchse bewohnte das Haus allein.
Athos warf einen kalten, gleichgültigen Blick auf alle diese Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes, den er aufgesucht hatte, zu diesem.
Er erklärte ihm die Ursache seiner Erscheinung und den Dienst, den er von ihm forderte; aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich und Gehorsam verweigerte. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf welches zwei mit einer Unterschrift uns einem Siegel versehene Zeilen geschrieben waren, und bot es demjenigen dar, welcher zu frühzeitig Zeichen des Widerstrebens kundgab. Der Mann von hohem Wuchse hatte kaum diese zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweise, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und zu gehorchen bereit sei.
Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, wieder durch die Straßen, kehrte in das Hotel zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.
Mit Tagesanbruch trat d'Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu thun sei.
«Warten, «antwortete Athos.
Einige Augenblicke nachher ließ die Aebtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung des Opfers von Mylady um die Mittagsstunde stattfinden solle. Von der Giftmischerin hatte man keine Kunde. Nur wußte man, daß sie durch den Garten entflohen war, man hatte auf dem Boden die Spur ihrer Tritte erkannt und die Thüre wieder geschlossen gefunden; der Schlüssel war verschwunden.