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Cindira hatte die ganze Zeit über neben Marcian gestanden. Einige der Huren, mit denen sie noch bis vor wenigen Wochen unter einem Dach gewohnt hatte, waren zu ihr getreten, hatten sie eine Verräterin genannt und ihr ins Gesicht gespuckt. Unter Tränen bat Cindira ihren Geliebten, sein Urteil zurückzunehmen, doch der Inquisitor hörte nicht auf sie. Seine Kälte und sein grausames Handeln entsetzten sie, so daß sie schließlich nichts mehr zu sagen wagte und mit ihm zusah, wie langsam die Lichter im Turm verloschen. Erst als auch die letzte Hure Lancorians Bordell verlassen hatte und sie gemeinsam durch die dunklen Straßen zur Garnison zurückgingen, wagte Cindira zu flüstern: »In dieser Nacht hast du einen Freund verloren.«

Doch auch jetzt sagte Marcian nichts; er tat, als höre er sie nicht, und ging mit starrem Blick und unbewegter Miene weiter, so als weilten seine Sinne nicht mehr in dieser Welt. Ja, als folge er einer Vision, die nur er allein erblickte und die dennoch der ganzen Stadt zum Schicksal werden mochte.

Zerwas zog weite Kreise über dem Hauptlager der Orks. Der Alchimist, der schon lange ohnmächtig geworden war, schien immer schwerer in seinen Armen zu werden. In der vorangegangenen Nacht hatte der Vampir Sharraz Garthai besucht und mit dem General der Schwarzpelze einen Pakt geschlossen. Er würde ihm helfen, doch dafür sollte bei der Eroberung der Stadt kein Pardon gegeben werden. Alle Männer im wehrfähigen Alter mußten sterben, alle anderen würden in die Sklaverei geführt werden, und falls es gelang, Marcian lebend zu fangen, sollte der Kommandant ihm überlassen werden. Dafür hatte der Vampir dem Orkgeneral nicht nur seine Unterstützung angeboten, sondern auch die Hilfe eines Alchimisten, der Sharraz eine Wunderwaffe verschaffen sollte, die das Schicksal der Stadt besiegeln würde.

Im Lager der Orks war alles ruhig. Die Lagerfeuer begannen in der ersten Morgendämmerung zu erlöschen. Unbemerkt konnte Zerwas hinter dem prächtigen Zelt des Sharraz Garthai landen. Den bewußtlosen Promos legte er sich über die Schulter. Vorher starrte er ihm einen Augenblick lang ins Gesicht. Armer alter Mann. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Dann schob Zerwas vorsichtig die Lederplanen am Eingang auseinander und stieg über die Wächter hinweg, die dort schliefen. Überall waren noch die Spuren des großen Festes zu sehen, das man in der Nacht gefeiert hatte. Erschöpfte Zecher lagen schnarchend am Boden, und einige Hunde, die sich um Bratenreste balgten, zogen mit eingezogenen Schwänzen das Weite, als sie den Vampir witterten. Zerwas setzte den alten Promos neben die lange Feuergrube in der Mitte des Zeltes, über der an einem rußgeschwärzten Spieß das Gerippe eines Ochsen hing.

Der Greis war steifgefroren. Die Nachtluft draußen war so eisig gewesen, daß sich während ihres Fluges Rauhreif in seinem Bart gebildet hatte. Apathisch kauerte der Greis auf dem Schemel am Feuer. Fast mochte man meinen, es wäre kein Leben mehr in ihm.

»Füge dich in dein Schicksal, oder deine Tochter Marina wird deine Unvernunft bereuen«, flüsterte ihm Zerwas ins Ohr.

Die Lippen des alten Mannes erbebten. »Bitte ...«, flüsterte er mit tonloser Stimme. »Bitte verschone mein Kind.«

»Erfülle deinen Auftrag und ich werde Marina nicht zu Boron schicken«, wisperte der Vampir ihm ins Ohr.

»Ja, ich werde tun, was das Schicksal mir auferlegt hat.« Dem Alchimisten rannen Tränen über die Wangen. Immer noch blickte er in die verlöschende Glut des Feuers.

Zerwas wandte sich ab und ging quer durch das Zelt. Auf der anderen Seite fand er inmitten eines Berges von Kissen und Fellen Sharraz Garthai. Eine rothaarige Sklavin mit einer Haut so weiß wie Stutenmilch lag an seiner Seite. Mit gebrochenen, gelben Augen starrte sie zur Zeltdecke. Ein Kranz dunkelblauer Würgemale lief um ihren Hals.

Zerwas tastete nach ihrer Hand. Noch war die Wärme des Lebens nicht völlig aus ihrem Körper gewichen. Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, seit der General sie seinen Göttern geopfert hatte.

Der Vampir leckte sich über die Lippen. Die Anstrengungen der letzten Tage hatten ihn erschöpft. Er hatte Durst. Doch noch mußte er seine Gier nach Blut unterdrücken.

Vorsichtig griff er nach Sharraz Garthai und schüttelte ihn sanft. Stöhnend richtete sich der General auf. Als er aber den Vampir erblickte, war er sofort hellwach. Ein unterdrückter Schrei entwand sich seiner Kehle. Zerwas preßte ihm seine klauenbewehrte Hand auf den Mund.

»Sei still!« hallte seine Stimme im Hirn des Orks. »Neben dem Feuer sitzt das Geschenk, das ich dir versprochen habe. Achte gut auf den Mann, beschaffe ihm alles, was er sich von dir wünscht, und er wird dir einen Sieg schenken, von dem die Menschen noch in hundert Wintern mit banger Ehrfurcht reden werden. Die Götter selbst werden deinen Namen kennen, Sharraz, wenn du tust, was er dir sagt. Und du kannst dir der Gunst des Sadrak Whassoi für jetzt und alle Zeiten gewiß sein, wenn du den Alten behandelst wie einen Fürsten. Doch verberge ihn vor den Blicken der Menschen und des Zwerges. Vielleicht würden sie ihm etwas antun.« Sharraz nickte stumm. Dann erhob er sich schwerfällig und ging zu der Feuergrube inmitten des Zeltes.

Promos erschauerte, als er zum ersten Mal seinen neuen Herrn sah. »Komm«, flüsterte der Ork mit rauher Stimme und packte den alten Mann am Arm, um ihn aus dem Zelt zu zerren.

Zerwas sah ihnen lange nach. Der Orkgeneral würde dem Alchimisten ein eigenes Zelt geben und es Tag und Nacht bewachen lassen. Schon morgen mochten Boten in das ferne Khezzara aufbrechen, um in den hohen Hallen, in denen die Beute dieses Krieges verwahrt wurde, nach seltsamen Geräten Ausschau zu halten. Andere würden versuchen, gelben Schwefel und schwarzes Pech zu beschaffen und all die unheiligen Ingredienzien, die nötig waren, um das zu erschaffen, wofür die Alchimisten von Hylailos berühmt waren.

Zerwas lächelte. Die Greifenfurter mochten denken, das Ende Deres wäre gekommen, wenn seine Rache Gestalt annahm. Bis dahin würde er über Promos und Sharraz wachen, denn sie sollten seine Henker sein. Sie sollten in Marcians Seele ein Feuer entfachen, das den Inquisitor innerlich verzehren würde. Er sollte dasselbe fühlen, wie es Zerwas gefühlt hatte, als Sartassa sterbend in seinen Armen lag: die ohnmächtige Verzweiflung, trotz aller Macht unfähig zu sein, das zu retten, was er liebte.

Vorsichtig stieg der Vampir über die schlafenden Orks. Die Erinnerung an Sartassa hatte ihm die Freude an seiner Rache genommen.

Neben dem Ausgang des Zeltes hatte Sharraz Garthai auf hölzernen Gestellen die Rüstungen erschlagener Gegner ausgestellt. Auch zwei auf Speere aufgespießte Köpfe waren dort zu sehen. Der Vampir erkannte das von dunklen Locken gerahmte Haupt Gernot Brohms. Vorsichtig löste er es von der Speerspitze und betrachtete es.

Der Junge hätte Händler werden sollen und nicht Krieger. Wo war er den Orks wohl in die Hände gefallen?

Zerwas erinnerte sich, wie er vor Monaten im Hause der Brohms zu Gast gewesen war und gemeinsam mit Gernot und seinem dicken, alten Vater Glombo an einer Tafel gesessen hatte. Der alte Brohm besaß eine große Bibliothek und war in der Geschichte der Stadt bewandert. Seine Urahnin war vor langen Jahrhunderten einmal Zerwas' Geliebte gewesen und hatte dafür auf dem Scheiterhaufen gebrannt.

Ob der Alte wohl gewußt hatte, mit wem er im letzten Winter an einer Tafel saß? Kaum! Dennoch waren später die beiden Magier, Odalbert und Riedmar, im Dienste Marcians bei dem Patrizier ein und aus gegangen. Zerwas war sich sicher, daß der alte Mann ihnen das Geheimnis um den Henker verraten hatte, den der Großinquisitor Ahriman vor dreihundert Jahren unter dem Altarstein des Praiostempels einmauern ließ.

Dafür sollte der dicke Glombo Brohm nun büßen. Er wäre der erste, der die Rache für den Verrat zu spüren bekäme.

Zerwas zerrte noch einen goldbestickten, schwarzen Umhang von einem Ständer, auf dem die zerschlagene Rüstung eines Ritters hing, dann trat er aus dem Zelt. Die Morgendämmerung tauchte den Horizont in Rot und Gold, als er seine Flügel ausbreitete und in den Himmel aufstieg. Ohne Mühe war der Vampir in das Patrizierhaus am Platz der Sonne eingedrungen. Kein Diener hatte ihn kommen hören, und mittlerweile stand er in einem kleinen, dunkel getäfelten Zimmer neben dem Bett des alten Patriziers. Der feiste Mann schnarchte leise.