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Eine Weile war es still. Dann räusperte sich die Tochter des Alchimisten und hauchte ganz leise, so daß man die Worte kaum verstehen konnte: »Auch Ihr seid schön, Fremder.«

»Du schmeichelst nur.« Der Vampir hatte den Kopf schief gelegt und lächelte. »Wie kann schön sein, was so alt ist wie ich? Wahre Schönheit ist immer mit Jugend und einem unverdorbenen Geist gepaart. Sieh mich an. Mein Körper ist nur eine trügerische Hülle. Die Schönheit meines Geistes habe ich schon vor Jahrhunderten verloren.«

»Das kann ich nicht glauben.«

»Und doch ist es so. Deine Vollkommenheit ist mir für immer verlorengegangen, es sei denn ...«

Zerwas blickte traurig. »Man sagt, die Liebe einer Jungfrau könnte der vom Atem der Ewigkeit gepeinigten Seele eines Unsterblichen Frieden geben.«

Wieder war es lange still, dann kam Marina vorsichtig näher und beugte sich herab, um dem Vampir scheu die Stirn zu küssen.

Entsetzt sprang Zerwas aus seinem Stuhl. »Keine Almosen! Verhöhnt mich nicht. Ich will Euer Mitleid nicht.«

Marina wich vor ihm zurück. »Entschuldigt, wenn ich etwas Falsches getan habe. Ich wollte nur ... Wollte Euch ein wenig Eurer Einsamkeit nehmen. Ihr saht so traurig aus.«

»Ich brauche Deinen Trost nicht«, erwiderte Zerwas verbittert.

»Aber ich möchte Euch all Eure edlen Taten vergelten. Ihr habt mich und meinen Vater vor der Gefahr gerettet, auch wenn mir davor graust, vielleicht für lange Zeit in diesem Gewölbe bleiben zu müssen ... Meine Jugend hier weitab von allen anderen Menschen zu verlieren und nie auf eine erfüllte Liebe hoffen zu dürfen. Soll mein Leib denn verdorren, ohne jemals die Freuden der Liebe kennengelernt zu haben?« Marina schluchzte.

Zerwas nahm sie in den Arm und streichelte ihr sanft über ihr langes, blondes Haar.

Das Mädchen schmiegte sich an ihn. »Bitte, weist mich nicht zurück«, flüsterte sie flehend. »Meine Unschuld soll mein Geschenk für Eure noble Tat sein. — Bitte weist das einzige, womit ich Euch meine Dankbarkeit zeigen kann, nicht zurück.«

Zerwas ließ seinen Umhang von der Schulter gleiten und griff nach Marinas Hand. Behutsam zog er sie zu dem großen Bett, in dem er erst vor wenigen Wochen mit Sartassa gelegen hatte. Doch was für einen Unterschied es zwischen den beiden gab. Die dunkelhaarige, in allen Spielen der Liebe erfahrene Halbelfe ... Und jetzt Marina, die in einem einsamen Haus am Meer unter der Obhut eines alten Mannes aufgewachsen war. Zärtlich streifte der Vampir ihr Kleid ab und nahm sie wieder in den Arm. Marina zitterte.

»Du brauchst keine Angst vor den Wonnen der Liebe zu haben. Zuerst wirst du einen kleinen Schmerz spüren, doch danach erfährst du einen Sinnestaumel, der dich alles andere vergessen läßt ...«

Der Duft ihrer Haut raubte dem Vampir fast den Verstand. Noch immer schien der salzige Wind des Meeres in ihren Haaren gefangen.

Scheu erwiderte sie seinen ersten Kuß.

Erst streichelte er sie lange und ließ seine Hände über ihr Gesicht, ihre kleinen, runden Brüste fahren, um schließlich sanft zwischen ihre Schenkel zu gleiten.

Dann drang er in sie ein. Marina stöhnte auf, bäumte sich zurück, schaute ihn aus großen, angstgeweiteten Augen an.

»Gleich ist der Schmerz vorbei. Vertraue mir ...«

Der Duft des jungfräulichen Blutes raubte ihm schier den Verstand. Jahrhunderte waren vergangen, seit er das letztemal so etwas genossen hatte, und noch nie war es ihm freiwillig geschenkt worden. Dann beugte er sich vor und sah nur noch den vollendet geformten Hals des Mädchens ... Die zarten blauen Adern, durch die das Leben pulsierte.

Kurz nach der Abenddämmerung hatte Zerwas das unterirdische Versteck verlassen. Jetzt flog er in seiner Dämonengestalt nach Süden, gen Ferdok. Er hatte Marina alles genommen, was sie zu geben hatte. Ihre Unschuld und ihr Blut. Wenn sie erwachte, wäre sie ein Vampir.

Er malte sich ihren Schrecken aus, wenn sie feststellte, daß sie allein war. Und den unbeschreiblichen Hunger, der sie bald verzehren würde. Doch auch sie war jetzt unsterblich. Ihr Blutdurst mochte sie foltern, töten konnte er sie nicht! Vielleicht würde sie Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte in dem unterirdischen Versteck verbringen. Das hing ganz von ihrem Verstand ab.

Hunderte von Büchern lagen in dem Versteck unter der Stadt. Manche davon hatte Zerwas sogar selber verfaßt.

Langsam würde Marina bei ihrer Lektüre begreifen, was sie nun war; ein Wesen der Nacht.

Sie würde selber erfahren, was er ihr erst vor wenigen Stunden über eine Ewigkeit voller Einsamkeit erzählt hatte. Ihr würde klar werden, welche Bewandtnis es mit dem seltsamen Medaillon in der Wand hinter dem Bett hatte. In ewigem Zyklus wurde es strahlend hell und verdunkelte sich wieder. Ganz wie die Sonne, die es darstellte und die Marina nie wieder sehen würde. Es sei denn, sie wäre bereit, bei ihrem Anblick zu sterben. Am schwierigsten für das Mädchen wäre es jedoch aus dem unterirdischen Gewölbe zu entkommen. Sie mußte dazu an der richtigen Stelle stehen, ein Zauberwort flüstern und ein magisches Zeichen schlagen. Dann würde sie Kraft der Magie auf die oberste Stufe im verfallenen Henkersturm getragen.

Doch dieses Geheimnis zu ergründen mochte Jahre dauern! Erst sollte sie Hunger leiden, damit sie auch das letzte ablegte, was an ihr noch menschlich war. Zerwas frohlockte bei der Vorstellung, daß sie wie ein Raubtier, halb wahnsinnig vor Hunger, mordend durch die Straßen der Stadt ziehen würde.

Marina war sein Vermächtnis an Greifenfurt. Ein Schrecken, der eines fernen Tages seinen Weg aus dem dunklen Verlies finden mußte. Vermutlich waren die Belagerung und der Orkkrieg dann schon Geschichte. Der erste, subtilere Teil seiner Rache war mit dieser Tat vollendet. Als nächstes galt es nun direktere Schritte einzuleiten. Doch dazu mußte er zurück nach Ferdok, um in der Rolle des Ritters Roger ins Gefolge des Prinzen zu gelangen.

Darrag war dem Totenvogel Golgari noch einmal entkommen. Doch der Schmied hatte keine Freude an diesem Sieg. Er saß auf einem kleinen Schemel vor dem Sterbezimmer, in dem er noch vor einigen Tagen selber gelegen hatte.

Meister Gordonius war dort drinnen, um noch, einmal nach Darrags Sohn zu sehen.

Die Augen des Schmieds waren gerötet. Der große, starke Mann sah unheimlich aus. Sein Gesicht war unrasiert, und er stank nach billigem Fusel. Zwanzig Goldstücke, mehr als zwei gute Schwerter wert waren, hatte er ausgegeben, um von einem Schwarzhändler einige Flaschen Wein zu bekommen.

Früher hatte er nur selten getrunken, doch seit Misiras Tod fühlte er sich verloren. Zerwas, der ihm nach Misiras Tod beigestanden hatte, weilte nicht mehr unter den Lebenden. Von dem tollkühnen Angriff auf die Stellungen der Orks war er nicht mehr zurückgekehrt.

Auch seine anderen Freunde waren fast alle tot. Und nun lag sein Sohn im Sterben: Marrad, den er in seiner Verzweiflung wochenlang vernachlässigt hatte. O ihr Götter! Warum mußte der Junge sterben?

Dunkel erinnerte Darrag sich, daß sein Sohn häufig mit eingeschlagener Nase oder zerschundenen Händen nach Hause gekommen war. Nie hatte Darrag ihn gefragt, was passiert war. Er war ein schlechter Vater gewesen! In seinem Schmerz hatte er seihe eigenen Kinder vergessen. Ob Misira ihm das jemals verzeihen würde?

Darrag weinte. Er gab sich keine Mühe mehr, seine Tränen zurückzuhalten. Dieser Krieg hatte sein Leben vernichtet. Nichts war mehr wie früher. Auch wenn es den Orks bislang nicht gelungen war, die Stadt zu erobern, so verwandelten sie Greifenfurt doch langsam in eine gespenstische Trümmerlandschaft. Alles, was er einmal geliebt hatte, war tot...

Nein! So durfte er nicht denken. Seine Ignoranz war schuld daran, daß Marrad jetzt im Sterbezimmer lag. Hätte er sich nur mehr um ihn gekümmert! Sicher hätte er ihm ausreden können, durch den Fluß zu schwimmen. Wenn sein Sohn jetzt starb, dann war es einzig und allein seine Schuld. Die Tür zum Sterbezimmer öffnete sich. Meister Gordonius trat heraus. Der stämmige Therbunit blickte ihn lange an.