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»Was ist? Wird er leben? Konntest du ihm helfen?«

Der Therbunit blickte zu Boden. Er räusperte sich, versuchte etwas zu antworten, doch seine Stimme versagte ihm.

»So rede doch, Mann! Was ist mit meinem Sohn?« Darrag war aufgesprungen; er hatte Gordonius bei den Schultern gepackt und schüttelte ihn. Schließlich fand der Therbunit seine Stimme wieder. Leise flüsterte er: »Geh jetzt zu deinem Sohn. Darrag. Er braucht dich ... Ich habe getan, was in meiner Macht stand ... doch noch vor der Mittagsstunde wird ihn Boron in seine dunklen Hallen rufen.«

»Nein! Das darf nicht sein!« Darrag schrie gellend auf und schlug mit der Faust gegen die Wand. Schluchzend packte er wieder den Medicus. »Warum mein kleiner Junge?«

»Faß dich, Mann.« Gordonius blickte ihn streng an. »Es steht uns nicht zu, die Gerechtigkeit der Götter in Frage zu stellen. Hör jetzt auf zu weinen, oder willst du so vor deinen Sohn treten. Los, sei ein Mann, Darrag. — Auch wenn es dir in dieser Stunde nicht leichtfällt«, setzte Gordonius hinzu. »Komm zu mir, wenn es vorbei ist. Du wirst dann mit jemandem reden müssen.«

Gordonius wandte sich ab und ging vor Müdigkeit gebeugt die Treppe hinunter.

Die ganze Nacht hatte er um Marrads Leben gekämpft, dachte der Schmied. Und jetzt würde bald die Sonne aufgehen. Darrag wischte sich die Tränen vom Gesicht und schritt durch die niedrige Tür in die kleine Kammer. Verloren sah der schmächtige Körper seines Jungen in dem großen Bett aus. Obwohl das Fenster geöffnet war, roch es säuerlich in dem Zimmer. Marrads Augen waren von tiefen dunklen Rändern umgeben. Sein Gesicht wirkte so bleich wie die Opferkerzen im Praiostempel.

Jetzt schlug er die Augen auf. »Vater ...«

»Ja, mein Sohn, ich bin bei dir.« Sanft strich der Schmied mit seiner großen schwieligen Hand über Marrads blondes Haar.

»Vater, werde ich jetzt sterben?«

Darrag hatte einen Kloß im Hals. Was sollte er nur sagen? Die Wahrheit? Er hob den Kopf und blickte zum Fenster.

Hinter den Festungswällen färbte sich der Himmel rosa. Bald würde die rot glühende Scheibe des Praiosgestirns zu sehen sein.

»Vater ...?«

Marrad starrte ihn mit großen fiebrigen Augen an. Das Reden schien ihm seine letzten Kräfte zu kosten. Am liebsten wäre Darrag davongelaufen. Nach Hause, zu seiner kleinen Tochter Jorinde, um die sich jetzt ihre alte Amme kümmerte.

Dann nahm der Schmied seinen ganzen Mut zusammen. »Ja, du wirst sterben«, flüsterte er leise.

»Gut«, seufzte der Knabe. »Gordonius hatte mir gesagt, mit meiner Schulter könne ich niemals mehr ein Schwert fuhren ... Werde ich Mutter sehen?«

»Bestimmt wartet sie schon auf dich ...« Leise begann der Schmied zu weinen.

Warum sein Sohn? Warum mußte das Kind sterben? Es hatte doch niemandem etwas getan. Nur das Schlüsselbein sei gebrochen, hatten ihm die Therbuniten gesagt, als man Marrad aus dem Fluß gezogen und ins Lazarett der Garnison gebracht hatte. In ein paar Wochen sei das alles überstanden. Doch dann hatte der Junge Fieber bekommen. Gordonius war ein großer Heiler, doch gegen den Wundbrand hatten auch seine Kräfte nichts mehr verrichten können.

Darrags letzte Hoffnung war Lancorian gewesen, aber der Magier war noch zu schwach, um zu helfen.

»Vater ... bist du stolz ... auf mich?« Marrads Stimme wurde immer schwächer.

»Ja, das bin ich. Du hast den Mut eines Kriegers bewiesen ...« Der Schmied schluchzte. »Aber du hättest dafür nicht zur Bastion schwimmen brauchen. Ich bin immer stolz auf dich gewesen.«

Marrad rollte mit den Augen. »Nicht schwimmen ...?« hauchte er schwach. »Du hast mich ... doch verachtet. Hast mich für ... einen Feigling gehalten ... hast dich meinetwegen ... geschämt ...« Die Stimme des Jungen brach ab.

»Ich weiß, ich habe dir nicht genug Liebe gegeben. Bitte verzeih mir. Stirb nicht! Ich werde alles wieder gutmachen. Hörst du?«

Marrad flüsterte etwas, doch seine Stimme war so leise, daß der Schmied es nicht mehr verstand. Darrag beugte sich über das Bett, brachte sein Ohr ganz nahe an den Mund des Jungen.

»Ein Vogel ... hörst du das Flügelschlagen?« hauchte Marrad.

»Bitte geh nicht!« schrie Darrag.

Einige Augenblicke spürte er noch den warmen Atem des Kindes an seiner Wange. Dann war Marrad tot.

Ein kalter Luftzug wehte vom Fenster her durch das Zimmer und ließ die hölzernen Läden klappern. Kurz glaubte auch der Schmied Flügelschlagen zu hören. Dann war es still.

Darrag blickte zum Fenster und faßte die leblose Hand seines Sohnes. Wie eine Scheibe rotglühenden Eisens war die Sonne über der Festungsmauer emporgestiegen. Doch ihre Strahlen brachten keine Wärme mehr in das Zimmer Darrag küßte immer wieder die Hand seines toten Sohns, und schluchzend murmelte er: »Dein Sterben wird nicht ungesühnt bleiben, das verspreche ich dir!«

Himgi blickte vom Bergfried in den oberen Hof der Garnison. Der Scheiterhaufen dort unten war fast in sich zusammengesunken. Nur Darrag und sein kleines Töchterchen standen noch vor den matt glimmenden Holzscheiten. Marcian hatte befohlen, dem toten Jungen ein Begräbnis wie einem Helden zu bereiten. Ein großer Haufen harzgetränkter Hölzer war am Mittag fast drei Schritt hoch im Burghof aufgeschichtet worden. Alle Krieger der Garnison hatten den Befehl erhalten, sich bei Sonnenuntergang auf dem Hof und den umliegenden Mauern und Trümmern zu versammeln. Jeder von ihnen hatte einen Becher Wein bekommen, und als Darrag die Fackel in den Scheiterhaufen stieß, tranken sie auf das Wohl des toten Jungen.

Himgi schüttelte den Kopf. Eine Heldenfeier für ein Kind. Marrad hatte zwar ungewöhnlichen Mut bewiesen, doch dieses Begräbnis war ein wenig zu pompös.

Auch die seltsame Geste, mit der Marcian von dem Knaben Abschied genommen hatte, verstand der Zwerg nicht. Als der Körper des Jungen schon ganz hinter Flammen verschwunden war, hatte Marcian seinen roten Umhang von den Schultern genommen und ins Feuer geworfen.

Der Zwerg drehte sich um. Sein Bein schmerzte wieder in dieser Nacht. Es war elend kalt, auf dem höchsten Turm der Stadt. Hinkend schritt er über die Plattform, um auf der anderen Seite des Turms zum Fluß hinabzuschauen.

Wie ein Band aus Silber glänzte die Breite am Fuß des Bergfrieds. Ob sie wohl zufrieren würde? Dann waren sie verloren.

Wilde Kapriolen schlagend schwebten die ersten Schneeflocken aus dem Nachthimmel. Der Winter hatte begonnen, und von Marcian wußte Himgi, daß höchstens noch für sechs Wochen genug zu essen vorhanden war. Sechs Wochen! Bis dahin mußte sich ihr Schicksal entschieden haben. Vor Hunger sterben würde er jedenfalls nicht. Eher wollte er alleine das Lager der Orks bestürmen und im Pfeilhagel zugrunde gehen. Aber verhungern ... Nein!

Schon jetzt hatten seine Männer ganz ausgemergelte Gesichter. Und die Menschen seines Regiments klagten darüber, daß sie sich ganz schwach fühlten. Die Zwerge waren zu stolz, um eine Klage vorzubringen.

Himgi blickte wieder den Fluß hinab nach Süden. Gerade wollte der Zwerg gehen, da sah er ein mattes Leuchten über dem Fluß. Er kniff die Augen zusammen, um im Schneetreiben noch etwas zu erkennen.

Plötzlich stand eine gewaltige Flammenwand über dem Fluß. Dem Zwerg war, als würde er Hunderte von Todesschreien hören. Dunkle Holzstangen schienen zwischen den Flammen in die Höhe zu ragen, und über allem lag der Gestank von Blut und Tod. Himgi stockte der Atem.

Dann war das Schreckensbild wieder verschwunden.

Unter ihm lag in kaltem silbernen Licht der Fluß.

Spielten seine Sinne ihm einen Streich? Was hatte er da gesehen? Himgi kniete sich in den Schnee und betete zu Angrosch. Er flehte den Gott der Schmiede und des Feuers an, nicht zuzulassen, daß diese Vision Wahrheit wurde.

Aber die ganze Zeit über, in der seine Lippen immer und immer wieder die gleichen, stummen Worte formten, mußte er an das denken, was seine Mutter einmal vor langer Zeit in einem Augenblick des Zorns gesagt hatte: Die Götter hörten jedes Gebet, und sie mochten jeden noch so geheimen Gedanken erraten.