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Ich wußte, daß Zat Arrras es nicht wagte, die Leute so nahe an uns heranzulassen, da er fürchtete, ihre Liebe zu Carthoris und mir würde sie ihr abergläubisches Entsetzen über das Verbrechen, dessen wir angeklagt wurden, vergessen lassen. Welche Pläne er hatte, konnte ich nur ahnen, doch daß er nichts Gutes im Schilde führte, wurde daran deutlich, daß uns auf dem Flug zum Tempel der Vergeltung nur seine engsten Vertrauten begleiteten.

Man brachte uns in einem Raum auf der Südseite des Tempels unter, von dem man die Promenade der Vorfahren bis zum etwa fünf Meilen entfernten Tor der Jeddaks überblicken konnte. Die Menschen auf dem Vorplatz und im Umkreis von einer Meile hatten sich so dicht aneinander gedrängt, wie es nur möglich war. Sie benahmen sich sehr diszipliniert – es gab weder Spott noch Beifall, und viele von denen, die uns an den Fenstern über sich erblickten, schlugen die Hände vors Gesicht und weinten.

Spät am Nachmittag traf ein Bote von Zat Arrras ein, um uns mitzuteilen, daß eine Gruppe von unparteiischen Edelleuten zur ersten Zode[1] des Folgetages oder ungefähr 8 Uhr vierzig in der Frühe nach Erdenzeit, in der großen Halle des Tempels über uns richten würde.

17. Das Todesurteil

Einige Minuten vor der festgelegten Zeit erschien am folgenden Morgen eine mehrere Mann starke Wache von Zat Arras’ Offizieren bei unserer Unterkunft, um uns in die große Halle des Tempels zu geleiten.

In Zweierreihen betraten wir die Halle und schritten den sogenannten ›Gang der Hoffnung‹ entlang, auf das Podium in der Mitte des Saales zu. Vor und hinter uns marschierten bewaffnete Wachen, während vom Eingang bis zum Podium Soldaten aus Zodanga in drei dichten Reihen zu beiden Seiten des Ganges standen.

Als wir vor der Erhöhung angekommen waren, erblickte ich unsere Richter. Wie auf Barsoom Brauch, mußten es einunddreißig sein, Angehörige der Adelsklasse – denn Adlige standen vor Gericht – die per Los ausgewählt worden waren. Doch zu meinem Erstaunen sah ich nicht ein freundliches Gesicht unter ihnen. In Wirklichkeit stammten alle aus Zodanga, und meiner Person hatte Zodanga die Niederlage durch die Hände der grünen Marsmenschen sowie die darauffolgende Unterwerfung durch Helium zu verdanken. Somit konnte es für John Carter oder seinen Sohn kaum Gerechtigkeit geben, auch nicht für den großen Thark, der die Angehörigen der wilden Stämme befehligt hatte, die die breiten Promenaden von Zodanga verwüsteten und plünderten, in ihnen brandschatzten und mordeten.

Um uns herum war jeder Platz des riesigen Kolosseums besetzt. Alle Klassen, Altersgruppen und beide Geschlechter waren vertreten. Mit unserem Eintreten wurde das gedämpfte Brummen der Unterhaltungen zusehends leiser, bis wir vor dem Podest oder dem ›Thron der Gerechtigkeit‹ stehenblieben. Dann herrschte Totenstille unter den zehntausend Zuschauern.

Die Richter saßen am Rand des runden Podestes. Man hieß uns mit dem Rücken zu einer kleinen Erhöhung in seiner Mitte Platz nehmen, so daß wir sowohl den Richtern als auch den Zuschauern ins Gesicht blickten. Jeder würde auf die kleine Erhöhung treten, sobald sein Fall verhandelt wurde.

Zat Arrras hatte in dem goldenen Stuhl des Vorsitzenden Richters Platz genommen. Als wir uns hingesetzt und unsere Wachen am Fuße der Podestes Aufstellung bezogen hatten, erhob er sich und rief mich auf.

»John Carter, nimm deinen Platz auf dem Podest der Wahrheit ein, damit über deine Handlungen unvoreingenommen geurteilt und deine Strafe festgelegt werden kann«, sagte er mit lauter Stimme. Dann wandte er sich an die Zuschauer und schilderte meine Vergehen, von deren Schwere die Bestrafung abhing.

»So wisset, o Richter und Volk von Helium, daß John Carter, einst Prinz von Helium, nach seiner eigenen Aussage aus dem Tal Dor und sogar vom Tempel Issus selbst zurückgekehrt ist«, sagte er. »In Gegenwart vieler Männer von Helium lästerte er den Heiligen Fluß Iss, das Tal Dor, das Verlorene Meer Korus, die Heiligen Therns selbst und sogar Issus, Göttin des Todes und Ewigen Lebens. Und wisset weiterhin, wie euch eure eigenen Augen mitteilen, die ihn hier auf dem Podest der Wahrheit erblicken, daß er wahrhaft von diesen heiligen Orten zurückgekehrt ist, unseren uralten Bräuchen zuwiderhandelnd, und somit gegen die Unverletzlichkeit unserer uralten Religion verstößt. Derjenige, der einst tot war, darf nicht wieder leben. Derjenige, der diesen Versuch unternimmt, muß für immer zum Schweigen gebracht werden. Richter, eure Pflicht liegt klar vor euch – kein Beweis kann diese Wahrheit widerlegen. Welche Strafe soll John Carter für die begangenen Handlungen zuteil werden?«

»Tod!« rief einer der Richter.

Und dann sprang ein Mann im Zuschauerraum auf, hob den Arm hoch und rief: »Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!«

Es war Kantos Kan, und als alles zu ihm blickte, setzte er an den Soldaten Zodangas vorbei auf die Erhöhung.

»Welche Art von Rechtsprechung ist das?« rief er Zat Arrras zu. »Man hat den Angeklagten weder angehört, noch konnte er jemanden zu seiner Fürsprache herbeirufen. Im Namen des Volkes von Helium verlange ich, daß dem Prinzen von Helium eine gerechte und unparteiische Behandlung zuteil wird.«

Es wurde laut in den Zuschauerreihen, dann hörte man: »Gerechtigkeit! Gerechtigkeit! Gerechtigkeit!« Zat Arrras wagte nicht, das zu ignorieren.

»So sprich!« herrschte er mich an. »Doch lästere nicht Dinge, die auf Barsoom heilig sind.«

»Menschen von Helium«, wandte ich mich an die Zuschauer, über die Köpfe meiner Richter hinweg. »Wie kann John Carter von den Menschen aus Zodanga Gerechtigkeit erwarten? Er kann es nicht, auch bittet er nicht darum. Es sind die Menschen aus Helium, denen er seinen Fall darlegt, doch auch von ihnen erfleht er keine Gnade. Er spricht nicht in seiner Sache – sondern in eurer, im Sinne eurer Frauen und Töchter oder eurer noch ungeborenen Frauen und Töchter. Es geht darum, ihnen die unsagbar abscheulichen Erniedrigungen zu ersparen, die vor meinen Augen den schönen Frauen von Barsoom angetan wurden, an jenem Ort, den die Menschen Tempel Issus nennen. Ich will sie vor der saugenden Umarmung der Pflanzenmenschen oder vor den Zahnen der großen weißen Affen von Dor bewahren, vor der grausamen Wollust der Heiligen Therns, vor all jenen Dingen, zu denen der kalte, tote Iss sie von ihren Heimen voll Liebe, Leben und Glückseligkeit fortträgt. Jeder der hier Anwesenden kennt die Geschichte von John Carter: Wie er von einer anderen Welt zu euch kam, Gefangener bei den grünen Menschen war, gequält und verfolgt wurde, bis er schließlich in die allerhöchsten Kreise von Barsoom aufstieg. Nie habt ihr erlebt, daß John Carter zu seinem Vorteil gelogen oder etwas geäußert hat, das den Menschen von Barsoom schadete, geschweige denn abfällig über ihre seltsame Religion urteilte, die er, ohne sie zu verstehen, akzeptierte. Es gibt weder hier noch sonstwo auf Barsoom einen Menschen, der sein Leben nicht jener meiner Handlungen verdankte, in der ich mich und die Glückseligkeit meiner Prinzessin opferte, damit ihr leben konntet. Und so, Menschen von Helium, glaube ich ein Recht darauf zu haben, daß man mich anhört, meinen Worten Glauben schenkt und mir gestattet, euch zu dienen und euch vor dem falschen Jenseits von Dor und Issus zu retten, so, wie ich euch an jenem anderen Tage vor dem Tode gerettet habe. Ihr Menschen aus Helium seid es, an die ich mich wende. Wenn ich geendet habe, sollen die Menschen von Zodanga ihren Willen haben. Zat Arras hat mir mein Schwert genommen, so brauchen mich die Menschen von Zodanga nicht länger zu fürchten. Werdet ihr mich anhören?«

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Wo immer John Carter auch die Zeit-, Gewichts-, Entfernungsmessung u. ä. vom Mars angewendet hat, habe ich sie so genau wie möglich in ihre irdische Entsprechung übertragen. Seine Niederschriften enthalten viele Tabellen vom Mars und eine Unmenge wissenschaftlicher Daten, doch wahrend die Internationale Astronomische Gesellschaft gegenwärtig dabei ist, diese unzähligen, bemerkenswerten und wertvollen Informationen auszuwerten, einzuordnen und nachzuprüfen, habe ich gespürt, daß es die Geschichte von Hauptmann Carter nicht interessanter machen wird oder der Vergrößerung des menschlichen Wissensvorrates dient, wenn man sich diesbezüglich allzu strikt an das Original hält. Es könnte den Leser verwirren und seine Aufmerksamkeit von der Geschichte lenken. Jenen, die dennoch Interesse haben, möchte ich erklären, daß ein Tag auf dem Mars eine Kleinigkeit länger ist als 24 Stunden 37 Minuten (Erdenzeit). Diesen teilen die Marsmenschen in zehn gleiche Abschnitte, den Tag ungefähr um 6 Uhr beginnend. Die Zodes bestehen aus fünfzig kürzeren Zeiträumen, von denen ein jeder aus zweihundert kurzen Zeitabschnitten besteht, ungefähr von der Dauer einer Erdensekunde. Der Zeitkalender auf Barsoom, wie unten zu finden, stellt nur einen Auszug der vollständigen Tabelle dar, wie sie in Hauptmann Carters Niederschriften erscheint.

Tabelle

200 Tals = 1 Xat

50 Xats = 1 Zode

10 Zodes = 1 Umdrehung des Mars um seine eigene Achse