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»Blumenhaus«, sagte Mama. »Sein Schiff hieß Mariposa. Schmetterling. Und er war schon ein paar Jahre auf den Inseln unterwegs, lange genug, um so zu sprechen, dass man ihn für einen Ecuadorianer hielt. Er hatte natürlich dunkles Haar, das hat geholfen …«

»Dein Professor«, sagte Papa. »Du glaubst, Casaflora war Professor Blumenhaus? Der, der das Buch über die Inseln geschrieben hat? Dein Vorbild?«

»Ja«, sagte Mama und plötzlich klang sie traurig. »Mein Vorbild hat sich verwandelt. In den Zeichner einer lebensgefährlichen Karte. In einen deutschen Spion. In einen verbitterten alten Mann. Oder vielleicht war er immer so. Ich wusste es nur nicht.«

Marit streichelte den gelben Hund, auf dessen Kopf sich Carmen gerade zu einem Nickerchen einrollte. Loco stand mit seinen großen blauen Füßen schon eine Zeit lang auf dem Tisch und pickte Kuchenkrümel auf.

»Er hat sich vielleicht zurückverwandelt«, sagte Marit leise. »Dein alter Professor. Ganz am Ende. Er hat uns gerettet, weißt du. Vor dem Vulkanausbruch. Als er gestorben ist, war er wieder ein Vorbild.«

Mama nickte. »Und das andere Schiff … das Schiff von Tom … hieß noch einmal wie?«

»Mariposa Nocturna«, antwortete Marit. »Nachtfalter.«

Sie sah von Papa zu Mama und zurück.

»Mission Nachtfalter«, murmelte Papa. »Die Mission hatte eine Menge Mitarbeiter. Nicht jeder wusste, was der andere tat. Könnte es sein, dass Tom nicht das war, was wir dachten?«

»Vielleicht nicht«, sagte Marit. »Aber ich fürchte, er ist genauso tot wie Casaflora. Er hat zu spät gemerkt, dass der Vulkan ausbricht. Als wir losgesegelt sind, lag sein Nachtfalter-Schiff noch immer vor Anker.« Und sie legte ihre Arme ganz schnell um Loco und drückte ihn an sich, weil das vielleicht gegen die Traurigkeit half. Sie wollte nicht mehr traurig sein. Sie war genug traurig gewesen. Gab es denn nie ein Ende der Traurigkeit?

Dann fiel ihr etwas ein und sie sprang auf. »José!«, rief sie. »Mein Bruder! Ich muss ihm alles erzählen! Ich habe ihn beinahe vergessen. Er weiß nicht, dass ich aus Deutschland komme. Er hasst alle Deutschen. Vielleicht können wir ihm erklären, wir wären aus London?«

Papa schüttelte langsam den Kopf. »Einen Bruder kann man nicht ewig belügen«, sagte er. »Denk an Thomas, den Bruder deiner Mutter. Du siehst, was dabei herauskommt, wenn Geschwister sich belügen. Hol deinen José her. Hol ihn her und erklär ihm alles.«

Marit verbarg ihr Gesicht im Federkleid des Blaufußtölpels. Vielleicht, dachte sie, würde dies das Schwerste auf ihrer ganzen Reise werden.

Schließlich stand sie auf und hob Loco hoch. »Ich weiß nicht, ob du das kannst«, flüsterte sie ihm zu. »Aber wir versuchen es. Hol José her. José, hörst du? Meinen Bruder José. Hol ihn hierher.« Damit warf sie Loco in die Luft, so wie sie es einmal vor langer Zeit bei einem Falkner und seinem Falken gesehen hatte. Loco war kein Falke und strampelte verwundert mit den blauen Füßen, doch dann breitete er seine Schwingen aus und stieg in den fußblauen Himmel empor. Er flog eine Runde über dem Bougainvillea-überwucherten Haus und strich über die Baumwipfel davon.

José hatte nichts und niemanden im Wald gefunden. Auch Marit war nicht mehr bei der Quelle gewesen. Nur der leere Panzer einer Riesenschildkröte hatte dort in der Sonne gelegen, ein Panzer, der zuvor nicht da gewesen war.

Schließlich war José zur Piratenhöhle zurückgekehrt und nun saß er dort seit einer ganzen Weile allein und machte sich Sorgen. Es war besser, dachte er, bei der Höhle zu bleiben, falls Marit zurückkam, damit sie sich nicht am Ende gegenseitig suchten und aneinander vorbeirannten. Er war sich inzwischen fast sicher, dass er sich die Schreie eingebildet hatte, genau wie die Männer mit den Fackeln nachts.

Er wusste nicht, wie viele Stunden vergangen waren, als etwas vor seinen Füßen landete. Etwas mit sehr blauen Füßen. Loco.

Kurt, Oskar und Uwe hatten mit José gewartet, und nun beäugten auch sie verwundert den Tölpel, der einen seltsamen Tanz auf der Stelle vollführte. Er stampfte mit den blauen Füßen auf den Boden, legte den Kopf in den Nacken und reckte den Schnabel zum Himmel, wankte hin und her, breitete die Flügel aus und faltete sie wieder zusammen …

»Loco«, sagte José streng. »Hör auf damit. Bist du betrunken?«

Da flog der Tölpel auf, flog auf José zu und riss mit dem Schnabel an seinem Hemd. Danach flatterte er in die Bäume. Kurt und Uwe schienen sich anzusehen und folgten ihm in den Wald. José schüttelte den Kopf.

»Ihr meint, ich soll ihm ebenfalls folgen?«, fragte er.

Und plötzlich hatte er es eilig. Immerhin hatte Marit Loco mitgenommen. Vielleicht war ihr etwas passiert. Vielleicht lag sie irgendwo im Wald und brauchte Hilfe und Loco würde ihn zu ihr führen. Er ballte die Fäuste. Gab es doch Deutsche auf der Isla Maldita? Hatten sie Marit eingefangen wie ein wildes Tier? Und was hatten sie mit ihr angestellt?

Wie er sie hasste! Diese Deutschen, die den Krieg begonnen hatten. Die die ganze Welt besitzen wollten. Sie waren alle gleich.

Sie saßen lange auf der Veranda und warteten darauf, dass Loco wiederkam. Niemand von ihnen sagte, dass es vermutlich nicht funktionierte, weil ein Tölpel eben kein Falke ist.

Und dann kam ein riesiger weißer Vogel aus dem Wald auf die Lichtung hinausgewatschelt.

»Ein Albatros«, sagte Mama verwundert.

»Kurt!«, rief Marit und sprang auf. Nach Kurt kam Uwe der Wasserleguan. Und nach Uwe trat José aus dem Wald, im Arm den Pinguin Oskar, auf seiner Schulter den Blaufußtölpel. Marit lief ihm entgegen.

»José!«, rief sie. »Ein Glück, dass Loco dich gefunden hat! Es ist alles so unglaublich! So unglaublich unglaublich!«

Julia kam ihr nachgerannt. »Hallo, José!«, rief sie und, über die Schulter, auf Deutsch: »Mama, Papa! Wollt ihr nicht Marits Bruder Hallo sagen?«

José war zwischen den Beeten stehen geblieben. Marit konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Sie blieb ebenfalls stehen, plötzlich unsicher. Als sie sich umdrehte, standen Mama und Papa hinter ihr. Felipe war auf der Veranda geblieben.

»Das«, sagte Marit, »sind meine Eltern. Sie sind es, die hier wohnen. Nur sie. Sie sind gar nicht verbrannt, damals, bei dem Bombenangriff …«

»In London«, sagte José, und sie hörte, dass er es nicht länger glaubte. Julia hatte deutsch gesprochen.

»In Hamburg«, sagte Mama sanft. »Es war Hamburg, in Deutschland. Wir müssen eine Menge erklären. Komm doch und setz dich zu uns auf die Veranda.«

José sah von Marit zu ihren Eltern, zu Julia und zurück zu Marit. »Deutsche«, sagte er dann. Er spuckte ihr das Wort vor die Füße wie einen Schluck Gift. »Ihr seid Deutsche. Du hast mich belogen. Die ganze Zeit.«

»Ich …«, begann Marit. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es musste etwas geben, irgendetwas, das richtig war, doch es fiel ihr nicht ein, und so hob sie nur hilflos die Arme.

»Die Funkstation der Deutschen ist hier«, sagte José. »Wie ich gesagt habe. Und dein Vater betreibt sie.«

»Nein!«, rief Marit. »Was für ein Unsinn!«

»Wir haben eine Farm, José«, sagte Papa. »Oder den kläglichen Beginn einer Farm. Mais und Gemüse. Ein paar Hühner. Das ist alles. Wir haben nichts mit dem Krieg zu tun. Ich bin vor dem Krieg weggelaufen. Die Deutschen würden mich töten, wenn sie es wüssten.«

José trat einen Schritt zurück.

»Nein«, sagte er, »nein, das glaube ich nicht. Ich bin die ganze Zeit belogen worden. Warum sollte mir jetzt jemand die Wahrheit sagen? Marit hat mir erzählt, Sie wären tot, und ich habe ihr geglaubt. Ich hatte Mitleid mit ihr. Ich Idiot.«

»Aber ich dachte doch, sie wären tot!«, rief Marit verzweifelt. »Ich dachte es bis vor ein paar Stunden! Es ist alles so kompliziert, ich …« Und endlich fiel ihr ein, was sie sagen musste. Die Worte, die José dazu bringen würden, mit auf die Veranda zu kommen und sich alles in Ruhe anzuhören.