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Als ich über diesen Anblick nachdachte, fragte ich mich, wo denn nun eigentlich mein Körper war. Die Verbindungsstücke, die es mir gestatteten, alles zu betrachten und daran zu arbeiten, unterschieden sich nicht von den Komponenten, die meine Augen und Hände mit meinem Gehirn verbanden. Ersetzten die Präzisionsinstrumente für die Dauer des Experiments nicht meine Hände? Und waren die Vergrößerungslinsen am Ende des Periskops nun nicht meine Augen? Ich war eine umgestülpte Person, und mein kleiner, fragmentierter Körper befand sich in der Mitte meines eigenen Gehirns. In dieser unwahrscheinlichen Anordnung begann ich damit, mich selbst zu erforschen.

Ich wandte mein Mikroskop einem der Komponentencluster zu, die meine Erinnerungen enthielten, und studierte seine Gestalt. Ich erwartete nicht, meine Erinnerungen entziffern zu können, sondern wollte lediglich in Erfahrung bringen, wie sie aufgezeichnet wurden. Wie ich angenommen hatte, fand ich keine Anordnung unzähliger Blattmetallseiten vor, konnte aber zu meiner Überraschung auch keine Zahnräder oder Schalter erkennen. Stattdessen schien der Komponentencluster fast vollständig aus einer Reihe von Luftröhrchen zu bestehen. In den Zwischenräumen zwischen den Röhrchen erhaschte ich einen Blick auf Wellen, die sich durch das Innere fortbewegten.

Bei stärkerer Vergrößerung und sorgfältiger Betrachtung sah ich, wie sich die Röhrchen zu Kapillaren verzweigten, die mit einem engen Drahtgeflecht verwoben waren, an welchem Goldplättchen hingen. Die aus den Kapillaren austretende Luft hielt diese Plättchen in unterschiedlicher Position. Das waren keine Schalter im herkömmlichen Sinn, denn ohne den steten Luftstrom verharrten sie nicht in ihrer Stellung, aber ich vermutete, dass dies die Vorrichtung war, nach der ich gesucht hatte – das Medium, das Erinnerungen aufzeichnete. Die Wellenbewegungen, die ich sehen konnte, mussten Erinnerungsvorgängen entsprechen, bei dem das Arrangement der Plättchen ausgelesen und zurück an den Denkapparat übermittelt wurde.

Mit diesen neuen Erkenntnissen gewappnet, richtete ich das Mikroskop nun auf den Denkapparat selbst. Hier konnte ich ebenfalls ein Drahtgeflecht erkennen, das aber keine in einer bestimmten Position gehaltene Plättchen trug; stattdessen bewegten sich die Plättchen hier ständig vor und zurück, fast zu schnell, um den Bewegungen folgen zu können. Tatsächlich schien das Innere des Denkapparates in ständiger Bewegung zu sein und mehr aus Plättchen denn aus Luftkapillaren zu bestehen, und ich fragte mich, wie die Luft auf sinnfällige Weise zwischen all den Goldplättchen verteilt wurde. Viele Stunden lang untersuchte ich die Plättchen, bis ich begriff, dass sie selbst die Rolle von Luftkapillaren spielten. Die Plättchen bildeten temporäre Leitungen und Ventile, die lange genug bestanden, um Luftströme auf andere Plättchen zu übertragen, bis sie sich wieder auflösten. Das hier war eine Maschine, die sich im ständigen Wandel befand, ja, die sich während ihrer Operationen sogar selbst modifizierte. Das Drahtgeflecht war nicht so sehr eine Maschine, sondern eher eine Seite, auf der die Maschine geschrieben wurde und auf die sich die Maschine selbst unablässig schrieb.

Mein Bewusstsein wurde sozusagen durch die Positionierung der feinen Plättchen bestimmt, aber noch präziser wäre es zu sagen, dass mein Bewusstsein auf dem sich stetig wandelnden Muster der diese Plättchen bewegenden Luft beruhte. Während ich die oszillierenden Goldplättchen längere Zeit beobachtete, stellte ich fest, dass die Luft, anders, als vermutet wurde, nicht einfach nur der Antrieb unserer Gedanken ist. Die Luft ist vielmehr selbst das Medium unserer Gedanken. Alles, was uns ausmacht, gründet auf einem Muster aus Luftströmungen. Meine Erinnerungen wurden weder durch Riefen auf Folien, noch durch die Ausrichtung von Schaltern bestimmt, sondern durch ununterbrochene Argonströme.

Nachdem ich die Funktionsweise des Geflechts begriffen hatte, suchte eine rasche Folge von Erkenntnissen mein Bewusstsein heim. Die erste und banalste war die Antwort auf die Frage, warum Gold, das formbarste und biegsamste Metall überhaupt, das einzige Material war, aus dem unsere Gehirne bestehen konnten. Nur die feinsten Folienplättchen konnten sich schnell genug bewegen, um einen solchen Mechanismus zu bilden, und nur die filigransten Drähte konnten als Aufhängung für sie dienen. Besser und schneller als mit jeder denkbaren Anordnung von Schaltern oder Rädchen ließen sich in diesem Medium Informationen aufzeichnen oder löschen. Verglichen mit den Goldplättchen sind die Kupferspäne, die entstehen, während ich mit meinem Stift diese Worte graviere, so grob und schwer wie Schrott.

Als Nächstes wurde mir klar, warum jemand, der gestorben war, durch das Einsetzen neuer Lungen nicht wiederbelebt werden konnte. Die Plättchen innerhalb des Drahtgeflechts blieben im Gleichgewicht, weil zahllose Luftpolster sie dort hielten. Auf diese Weise wurden die Plättchen rasch vor und zurück bewegt, was aber auch bedeutete, dass alles gelöscht wurde, wenn der Luftstrom ausblieb. Alle Plättchen fielen dann in die gleiche Ruhestellung, und das Muster, welches das Bewusstsein hervorbrachte, war unwiederbringlich verloren. Eine Wiederherstellung des Luftstromes konnte das nicht rückgängig machen. Das war der Preis für die Schnelligkeit, mit der sie ihren Zweck erfüllten. Ein stabileres Medium für die Speicherung von Mustern hätte zur Folge, dass unser Bewusstsein weit langsamer wäre.

Nun konnte ich mir auch erklären, woher die Unstimmigkeiten mit den Turmuhren rührten. Ich begriff, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die Goldplättchen bewegten, davon abhing, dass sie von Luftströmen getragen wurden. Bei ausreichender Luftströmung konnten die Plättchen fast reibungslos ihre Position wechseln. Wenn sie sich nun langsamer bewegten, lag das daran, dass sie einer erhöhten Reibung ausgesetzt waren, und die Ursache dafür konnte nur sein, dass die Luftpolster dünner wurden und die durch das Drahtgeflecht strömende Luft sich mit geringerer Kraft bewegte.

Nicht die Turmuhren liefen schneller. Unsere Gehirne arbeiteten langsamer. Die Turmuhren wurden durch Pendel oder das Fließen von Quecksilber angetrieben, und weder der Takt der Pendel, noch die Fließgeschwindigkeit des Quecksilbers konnte sich verändern. Unsere Gehirne allerdings hängen ganz von Luftströmungen ab, und wenn diese sich langsamer bewegen, verlangsamen sich auch unsere Gedanken, wodurch die Uhren schneller zu laufen scheinen.

Ich hatte schon befürchtet, dass unsere Gehirne langsamer gehen könnten, und das war auch der Grund, weshalb ich meine Selbstsezierung gewagt hatte. Doch ich war davon ausgegangen, dass unsere Denkapparate zwar von Luft angetrieben würden, letztendlich aber mechanischer Art waren, und dass die Verminderung ihrer Geschwindigkeit darauf beruhte, dass sich einige Bestandteile dieses Mechanismus durch Abnutzungserscheinungen verformt hätten. Zwar wäre das furchtbar gewesen, aber zumindest hätten wir hoffen dürfen, dass es uns gelingen könnte, den Mechanismus zu reparieren und die ursprüngliche Arbeitsgeschwindigkeit unserer Gehirne wiederherzustellen.

Beruhten unsere Gedanken allerdings lediglich auf Luftmustern, und nicht auf der Bewegung von Zahnrädern, war das Problem um einiges schwerwiegender, denn was konnte die Ursache dafür sein, dass die Geschwindigkeit der Luftströmungen in unseren Gehirnen abnahm? Es konnte unmöglich daran liegen, dass der Luftdruck in unseren Füllstationen gesunken war, denn der Druck in unseren Lungen ist so stark, dass er von einer Reihe von Regulatoren abgemindert werden muss, bevor die Luft unsere Gehirne erreicht. Meine Vermutung lautete, dass das Absinken des Drucks woanders seinen Ursprung hatte: Der uns umgebende Atmosphärendruck nahm zu.