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Sie sagte, daß sie den Staub verabscheue und daß es hier nicht besser sei als dort, in New York, und wie viele der Staub zugrunde richtete, daß keiner darüber redete, über die Toten. Sie wollte Tee. Es wurde Dezember, im neuen Jahr, sagte Jim, würden sie aus der Stadt weggehen, ein neues Leben beginnen, sobald er genug Geld hatte, aufs Land ziehen. Sie wollte Tee trinken und daß er Scones mitbrachte und Kuchen. Die Baustelle um King’s Cross breitete sich immer weiter aus, sogar das Midland Grand wurde renoviert. Albert behauptete, in ein paar Jahren würde es eine gute und wohlhabende Gegend sein, sie würden dankbar sein, in der Field Street zu wohnen. Jim sagte, wenn Mae nicht bald zum Arzt ginge, mit den Tabletten aufhörte, würde sie keine Wohnung mehr brauchen.

Meistens saßen sie vor dem Fernseher, und Mae schlief ein. Er wußte nicht wo, war sich aber sicher, daß es eine Falle gab. Ihr Gesicht. Er ging, zog die Tür hinter sich zu, lauschte, stieg die Treppen hinunter, stand auf der Straße. Lauschte. Eisiger Wind trieb Papierchen, Staub vor sich her. Plastiktüten. Eine Zigarettenschachtel. Ein Junge linste aus einem Eingang, winkte. Der Januar verging. Aber der Krieg ist längst zu Ende, sagte er ihr, die Türme, die Toten, verschleierte Frauen, zusammengerollt lag sie auf dem Sofa, weinte. Ben kam alle paar Tage. Sie leugnete es, aber Jim war sich sicher. Und nur, wenn Jim neben ihr saß, im Halbdunkel des Fernseherlichts, und ihr erzählte, daß sie einen Garten haben würden, eine Mauer, die er selber hochziehen würde, mit seinen eigenen Händen, und daß er wisse, wovon er spreche, weil sein Vater Maurer gewesen sei, und wie die Rosen blühen würden, im Sommer, nur dann sah sie ihn an und lächelte. Sie könnten im Garten Tee trinken, unter einem Kirschbaum, einem Nußbaum, unser Leben, wollte er ihr sagen, und daß sie daran denken solle, an den Garten und wie sie Tee trinken würden, unter einem Kirschbaum oder Nußbaum, von der Küche mit dem Tablett direkt in den Garten, der Kirschbaum in voller Blüte. Es war noch kalt, aber bald könnten sie spazierengehen, sie könnten nach Richmond oder Kew fahren, die Themse entlang spazierengehen, er würde sie nach Kew Garden’s führen, sie waren beide noch nie dort gewesen, aber es sollte so schön sein, sagten alle. Ihr Gesicht war dünner geworden, sie aß fast nichts, sie rauchte zuviel, sagte er, aber er rauchte auch, und Ben kam, brachte ihr Tabletten. Amphetamine, Valium, sobald Jim aus dem Haus war. Jim packte sie an den Schultern, schüttelte sie. Das Leben, wollte er ihr sagen, er wollte vernünftig mit ihr reden, damit sie Ben nicht mehr hereinließ, und nur noch ein paar Wochen oder Monate, bis sie wegkonnten, aus London weg, und irgendwo auf dem Land würden sie neu anfangen, vielleicht sogar heiraten. Das war das Leben: neu anzufangen. Das war das Leben: nicht zu sterben. Sie konnten nach Richmond oder nach Kew fahren, sie konnten ans Meer fahren. Aber Mae sagte, daß er voller Haß sei, und dann vergaß er ihren Geburtstag.

Ben hatte ihr, argwöhnte Jim, von Alice erzählt. Es war nicht der Verrat, der ihn aufbrachte, sondern etwas Tieferes, das er nicht ausdrücken konnte, ebensowenig, wie er sagen konnte, warum er Mae sah und dachte, daß er zu weit entfernt war, daß er vergeblich ihren Namen rief. Schlimmer war, daß sie nicht gerne mit ihm schlief. Nie gerne mit ihm geschlafen hatte, dachte er. Alice war etwas anderes gewesen, sie hatte sich ihm gegeben, sie mochte ihn, sie verhöhnte ihn, und dann hatte sie ihm dreihundert Pfund gestohlen. Betrunken, verludert. Es gab so viel, das man liebte, das man haßte, aber man konnte es nicht erklären. Alice war eine Schlampe gewesen, mit dem Gesicht eines kleinen Tieres, spitz, verschlagen, und wie sie es geschafft hatte, ihn zu betrügen. Sie hatte es nicht besser verdient. Ihr Zimmer in der Arlington Road hatte ihn geekelt, mit dem schmutzigen Geschirr, den Nadeln, mit dem Radio, das sie nie abstellte. Wie ein Tier, sagte er zu Albert, wütend, weil Ben behauptete, er habe ihr etwas angetan.

— Wer bist du, daß du dich über andere erhebst? Ausgerechnet Albert sagte es. Mae war fünfundzwanzig geworden, Jim hatte ihren Geburtstag vergessen. — Du bist voller Haß, sagte Mae. Er wollte mit ihr ins Kino gehen. Daß alles voller Polizisten sei, überall Kontrollen, sagte sie, daß sie nicht mit der U-Bahn fahren würde. — Was soll uns, so wie wir aussehen, denn passieren? Sehe ich denn arabisch aus? Oder du? fragte er sie. Voller Haß sei er, wiederholte Mae, und Ben kam, stand dabei und hörte alles. Zwei Tage später schaffte Jim es nicht, ein simples Haustürschloß zu öffnen, und sie waren unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Albert hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und laut gelacht, bis Jim sie abschüttelte und aufgebracht losrannte. Albert hatte ihm seinen Anteil nie ausbezahlt, — bewahre ich für dich auf, alles sorgfältig aufgeschrieben, beschwichtigte er Jim, noch ein bißchen Geduld, hielt ihn zum Narren. Zahlte die Wohnung, das kleine, stinkende Loch, eure Wohnung, und sie sollten dafür noch dankbar sein. Es war aber fast wie ein Zuhause gewesen, trotz der undichten Fenster, trotz des Gestanks, nur lag Mae zusammengerollt auf dem Sofa, behauptete, daß sie noch immer die Toten sehe, die Lebenden, die aus den Fenstern sprangen, in die Tiefe, daß sie ihre Schreie hören könne, daß sie hören könne, was die Leute redeten, die in den Aufzügen und in den Fluren eingeschlossen waren. Und der Haß, sagte Mae, der Zorn, der auch sie treffen würde, sie beide, — wie konnten wir nicht wissen, daß sie uns aus tiefster Seele hassen? Er schwieg. Die Sirenen heulten die Straße entlang, von rechts nach links, und kehrten wieder um. — Und die Toten, sagte Mae, die wir vergaßen, rufen nach uns. Jim riß das Fenster auf, damit frische Luft hereinkam. Es war Februar. Man hörte die Baumaschinen bis ins Zimmer. Einmal gingen sie spazieren, zum Kanal, liefen am Kanal entlang, wollten bis zum Park und zur Voliere laufen, aber Mae schaffte es nicht, sie setzte sich auf eine Bank am Kanal und sagte, daß sie es nicht weiter schaffte, und er ging alleine weiter.