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Plötzlich glaubte er, weinend zusammenzubrechen. Doch stattdessen ging er unsicher zum Barschrank und holte eine Flasche Whisky heraus. Als er den Verschluss aufschraubte, erhaschte er im Spiegel einen Blick von sich. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Wangen gerötet, das Gesicht voll Kummer und Angst. Schlechter hätte er nicht aussehen können.

Bete, hatte Francesca gesagt. Bitte Gott um Vergebung. Rupert umklammerte die Flasche fester. Herr, versuchte er. Gott, Vater, vergib mir. Aber die Worte kamen nicht; der Wille dazu fehlte. Er wollte nicht bereuen. Er wollte nicht erlöst werden. Er war ein elender Sünder, und es war ihm gleich.

Gott hasst mich, dachte Rupert, während er sein Spiegelbild betrachtete. Gott existiert nicht. Beides schien gleichermaßen wahrscheinlich.

Etwas später kam Francesca wieder herunter. Sie hatte sich das Haar gebürstet, das Gesicht gewaschen und eine Jeans und einen Pullover angezogen. Rupert sah vom Sofa auf, auf dem er mit seiner Whiskyflasche immer noch saß. Sie war halb leer, und alles in seinem Kopf drehte sich, aber besser fühlte er sich trotzdem nicht.

»Ich habe mit Tom gesprochen«, sagte Francesca. »Er kommt nachher vorbei.« Rupert riss den Kopf herum.

»Tom?«

»Ich habe ihm alles erzählt.« Francescas Stimme zitterte. »Er sagt, wir sollen uns keine Sorgen machen. So was hört er nicht zum ersten Mal.« In Ruperts Kopf begann es zu hämmern.

»Ich will ihn nicht sehen.«

»Er möchte helfen!«

»Ich will gar nicht, dass er davon weiß! Das geht ihn doch gar nichts an!« Ein Anflug von Panik schlich sich in Ruperts Stimme. Nur zu gut konnte er sich Toms Gesicht vorstellen, wie er ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Ekel ansah. Tom würde mit Ekel reagieren. Alle würden das.

»Er möchte helfen«, wiederholte Francesca. »Und, Schatz …« Ihr Tonfall veränderte sich, und Rupert sah überrascht auf. »Ich möchte mich entschuldigen. Es war falsch, so heftig zu reagieren. Ich bin einfach in Panik geraten. Tom hat gesagt, das sei völlig normal. Er hat gesagt …« Francesca hielt inne und biss sich auf die Lippe. »Na, egal. Wir können damit fertig werden. Mit viel Unterstützung und Gebeten …«

»Francesca …«, begann Rupert. Sie hob die Hand.

»Nein, warte.« Langsam ging sie auf ihn zu. Rupert starrte sie an. »Tom hat gesagt, ich müsse zusehen, dass meine Gefühle …«, sie hielt inne, »unserer körperlichen Liebe nicht im Wege stehen. Ich hätte dich nicht abweisen dürfen. Ich habe meinen eigenen selbstsüchtigen Empfindungen nachgegeben, und das war falsch von mir.« Sie schluckte. »Es tut mir leid. Bitte verzeih mir.«

Sie kam weiter auf ihn zu, bis sie nur wenige Zentimeter vor ihm stand.

»Es ist nicht an mir, mich dir zu verweigern«, flüsterte sie. »Du hast jedes Recht, mich zu berühren. Du bist mein Mann. Ich habe vor Gott versprochen, dich zu lieben, dir zu gehorchen und mich dir hinzugeben.«

Rupert starrte sie an. Er brachte vor Schock kein Wort heraus. Langsam hob er die Hand und legte sie sanft auf ihren Ärmel. Ein Hauch von Abscheu huschte über ihr Gesicht, aber sie sah ihn weiter unverwandt an, als sei sie entschlossen, es durchzustehen; als hätte sie keine andere Wahl.

»Nein!«, sagte Rupert unvermittelt und zog seine Hand zurück. »So geht es nicht. Das ist falsch! Francesca, du bist kein Opferlamm! Du bist ein Mensch!«

»Ich möchte unsere Ehe retten«, entgegnete sie mit bebender Stimme. »Tom hat gesagt …«

»Tom hat gesagt, wenn wir zusammen ins Bett gingen, würde alles wieder gut werden, nicht?« Ruperts Stimme triefte vor Sarkasmus. »Tom hat dir geraten, mach einfach die Augen zu und denk an Jesus.«

»Rupert!«

»Ich lasse es nicht zu, dass du dich so unterwirfst. Francesca, ich liebe dich! Ich respektiere dich!«

»Nun, wenn du mich liebst und respektierst«, sagte Francesca in plötzlich grimmigem Tonfall, »warum hast du mich dann angelogen?« Ihre Stimme brach. »Mit dem Wissen um deinen Zustand, wieso hast du mich geheiratet?«

»Francesca, ich bin immer noch ich! Ich bin immer noch Rupert!«

»Bist du nicht! Nicht für mich!« Tränen traten ihr in die Augen. »Ich kann dich nicht mehr sehen. Alles, was ich noch sehen kann, ist …« Sie erschauerte leicht vor Ekel. »Wenn ich daran denke, wird mir schlecht …«

Rupert sah sie unglücklich an.

»Sag mir, was ich tun soll«, sagte er schließlich. »Möchtest du, dass ich ausziehe?«

»Nein«, erwiderte Francesca sofort. »Nein.« Sie zögerte. »Tom hat vorgeschlagen …«

»Was?«

»Er hat«, sie schluckte leicht, »eine öffentliche Beichte vorgeschlagen. Beim Abendgottesdienst. Wenn du der Gemeinde und Gott deine Sünden laut beichtest, dann kannst du vielleicht neu anfangen. Ohne weitere Lügen. Ohne Sünde.«

Rupert starrte sie an. Alles in ihm wehrte sich gegen ihren Vorschlag.

»Tom hat gesagt, dass dir vielleicht noch nicht völlig klar ist, was für ein Unrecht du begangen hast«, fuhr Francesca fort. »Aber wenn das erst mal der Fall ist, und wenn du das Ganze erst mal richtig bereut hast, dann werden wir neu anfangen können. Wir beide.« Sie sah auf und wischte die Tränen weg. »Was meinst du? Was meinst du dazu, Rupert?«

»Ich werde nichts bereuen«, erwiderte Rupert unwillkürlich.

»Was?« Francesca machte ein schockiertes Gesicht.

»Ich werde nichts bereuen«, wiederholte Rupert zittrig. Er grub die Fingernägel in die Handflächen. »Ich werde mich nicht öffentlich hinstellen und sagen, dass das, was ich getan habe, unrecht war.«

»Aber …«

»Ich habe Allan geliebt. Und er mich. Und was wir getan haben, war weder unrecht noch schlecht. Es war …« Mit einem Mal brannten Tränen in Ruperts Augen. »Es war eine schöne, liebevolle Beziehung. Was auch immer die Bibel dazu sagt.«

»Meinst du das im Ernst?«

»Ja.« Rupert atmete erschauernd aus. »Ich wünschte, um unser beider willen, es wäre nicht so. Aber ich meine es ernst.« Er sah ihr direkt in die Augen. »Was ich getan habe, bedaure ich nicht.«

»Dann bist du krank!«, schrie Francesca. Panik schlich sich in ihre Stimme. »Du bist krank! Du warst mit einem Mann zusammen! Wie kann das schön sein? Ekelhaft ist das!«

»Francesca …«

»Und was ist mit mir?« Ihre Stimme wurde schriller. »Wie war das, als wir zusammen im Bett waren? Hast du dir da die ganze Zeit gewünscht, er wäre es?«

»Nein!«, schrie Rupert. »Natürlich nicht.«

»Aber du sagst, du hättest ihn geliebt!«

»Das habe ich auch. Aber damals war mir das nicht klar.« Er hielt inne. »Francesca, es tut mir so leid.«

Einen schmerzlichen Augenblick lang sah sie ihn schweigend an, dann wich sie zurück, langte blind nach einem Stuhl.

»Ich verstehe das nicht«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Bist du wirklich homosexuell? Tom meinte, du seist es nicht. Er sagte, viele junge Männer schlügen erst den falschen Weg ein.«

»Woher will Tom das denn wissen?«, rief Rupert. Er fühlte sich in die Enge getrieben.

»Also – bist du es?«, hakte Francesca nach. »Bist du homosexuell?«

Eine lange Pause trat ein.

»Ich weiß es nicht«, meinte Rupert schließlich. Er ließ sich aufs Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich weiß nicht, was ich bin.«

Als er nach ein paar Minuten wieder aufsah, war Francesca verschwunden. Noch immer zwitscherten draußen die Vögel; in der Ferne brausten Autos. Alles war wie vorher. Nichts war wie vorher.

Rupert blickte auf seine zitternden Hände. Auf den Siegelring, den Francesca ihm zur Hochzeit geschenkt hatte. Mit einem Mal erinnerte er sich wieder an das Glück, das er an jenem Tag empfunden hatte, seine Erleichterung, als er mit ein paar schlichten Worten Teil der legitim verheirateten Massen geworden war. Als er Francesca aus der Kirche führte, war es ihm, als gehöre er endlich dazu, als sei er endlich normal. Und genau das wollte er. Er wollte nicht schwul sei. Er wollte keiner Minderheit angehören. Er wollte einfach so sein wie alle anderen auch.