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Alles war so verlaufen, wie Allan es vorausgesagt hatte. Allan hatte verstanden, er wusste genau, wie Rupert sich fühlte. Er hatte beobachtet, wie sich Ruperts Empfindungen während jener Wochen im Spätsommer allmählich von Leidenschaft in Verlegenheit wandelten. Er hatte geduldig abgewartet, während Rupert versuchte, sich von ihm zu lösen, ihn Tage hintereinander ignorierte, nur um ihm schließlich mit mehr Leidenschaft denn je wieder zu erliegen. Er war mitfühlend und verständnisvoll gewesen. Und im Gegenzug war Rupert vor ihm geflohen.

Der Beginn seines Sinneswandels kam Anfang September. Rupert und Allan waren zusammen die Broad Street entlanggegangen, zwar nicht Händchen haltend, aber ihre Arme hatten sich berührt, sie hatten miteinander getuschelt, sich wie Liebende angelächelt. Und dann rief jemand Ruperts Namen.

»Rupert! Hi!«

Er riss den Kopf hoch. Ben Fisher stand auf der anderen Straßenseite und grinste ihn an, ein Junge, der in seiner alten Schule eine Klasse unter ihm gewesen war. Plötzlich erinnerte Rupert sich an einen Brief seines Vaters, den er ihm ein paar Wochen vorher geschrieben hatte. An dessen wehmütige Hoffnung, dass Rupert einen Teil der Ferien nach Hause kommen möge, die triumphierende Neuigkeit, ein weiterer Junge aus der kleinen Schule in Cornwall würde sich bald zu ihm nach Oxford gesellen.

»Ben!«, rief Rupert aus und eilte über die Straße. »Herzlich willkommen! Hab schon gehört, dass du kommst.«

»Ich hoffe, du führst mich hier ein bisschen herum«, erwiderte Ben und blinzelte mit seinen dunklen Augen. »Und stellst mich ein paar Mädchen vor. Hinter dir muss doch die ganze Stadt her sein, du Frauenheld!« Dann wanderte sein Blick neugierig zu Allan, der noch immer auf der anderen Straßenseite stand. »Wer ist das?«, fragte er. »Ein Freund?«

Ruperts Herzschlag setzte kurz aus. In plötzlicher Panik sah er sich mit den Augen seiner Freunde aus Cornwall. Seiner Lehrer. Seines Vaters.

»Oh, der?«, erwiderte er nach einer Pause. »Niemand Besonderes. Bloß einer der Tutoren.«

Am nächsten Abend ging er mit Ben in eine Bar, trank Tequila und flirtete wild mit ein paar hübschen Italienerinnen. Bei seiner Rückkehr wartete Allan in seinem Zimmer auf ihn.

»Einen schönen Abend gehabt?«, erkundigte er sich freundlich.

»Ja«, antwortete Rupert, unfähig, seinem Blick zu begegnen. »Ja, ich war mit … Freunden unterwegs.« Er zog sich rasch aus, legte sich ins Bett und schloss die Augen, als Allan sich ihm näherte. Als sie miteinander schliefen, verdrängte er alle Schuldgefühle, alles Grübeln.

Aber am nächsten Abend ging er wieder mit Ben aus, und dieses Mal zwang er sich, eines der hübschen Mädchen zu küssen, die ihn umschwirrten wie Motten das Licht. Sie ging sofort auf ihn ein, ermutigte ihn, seine Hände über ihren weichen, unvertrauten Körper wandern zu lassen. Am Ende des Abends lud sie ihn ein, mit in das Haus in der Cowley Road zu kommen, das sie mit anderen zusammen bewohnte.

Er hatte sie langsam und unbeholfen entkleidet, hatte sich an Filmszenen orientiert, in der Hoffnung, ihre offensichtliche Erfahrung würde auch ihn mit durchbringen. Irgendwie schaffte er es, die Sache erfolgreich hinter sich zu bringen; er hatte keine Ahnung, ob ihre lustvollen Schreie echt oder vorgetäuscht waren, und es war ihm auch egal. Am nächsten Morgen erwachte er in ihrem Bett, an ihren glatten Frauenkörper geschmiegt, und atmete ihren femininen Duft ein. Er küsste ihre Schulter, wie er immer Allans Schulter küsste, langte versuchsweise um sie herum und berührte ihre Brust – und stellte zu seiner Überraschung fest, dass er erregt war. Er wollte den Körper dieses Mädchens berühren. Er wollte sie küssen. Der Gedanke, wieder mit ihr zu schlafen, erregte ihn. Er war normal. Er konnte normal sein.

»Läufst du vor mir davon?«, fragte Allan ein paar Tage später, als sie zusammen Nudeln aßen. »Brauchst du etwas Freiraum?«

»Nein!«, erwiderte Rupert allzu nachdrücklich. »Alles in Ordnung.« Einen Augenblick sah Allan ihn schweigend an, dann legte er seine Gabel ab.

»Bitte keine Panik.« Er langte nach Ruperts Hand und zuckte zusammen, als Rupert sie fortzog. »Gib nichts auf, was wunderschön sein könnte, nur weil du Angst hast.«

»Ich habe keine Angst!«

»Natürlich hast du Angst. Jeder hat Angst. Ich auch.«

»Du?« Rupert versuchte, nicht trotzig zu klingen. »Wieso in aller Welt hast du Angst?«

»Ich habe Angst«, erwiderte Allan langsam, »weil ich verstehe, was du tust, und ich weiß, was das für mich bedeutet. Du versuchst zu fliehen. Du versuchst, von mir loszukommen. In ein paar Wochen gehst du auf der Straße an mir vorbei und siehst weg. Habe ich recht?«

Er schaute Rupert mit dunklen Augen an und wartete darauf, dass er ihm widersprach. Aber Rupert schwieg.

Danach war es schnell bergab gegangen. Eine Woche vor Beginn des neuen Semesters führten sie eine letzte Unterhaltung in einer kaum besuchten Bar des Keble College.

»Ich kann einfach nicht …«, murmelte Rupert, steif vor Befangenheit, ein Auge auf den gleichgültigen Barkeeper gerichtet. »Ich bin nicht …« Er beendete den Satz nicht, trank stattdessen einen großen Schluck Whisky. »Du verstehst nicht.« Er sah flehend zu Allan auf, dann rasch wieder fort.

»Nein«, sagte Allan leise, »ich verstehe nicht. Wir waren glücklich miteinander.«

»Es war ein Fehler. Ich bin nicht schwul.«

»Du fühlst dich von mir also nicht angezogen?«, fragte Allan und heftete die Augen auf Ruperts. »Ist es das? Du fühlst dich von mir nicht angezogen?«

Rupert erwiderte seinen Blick und hatte dabei das Gefühl, etwas würde in ihm entzweireißen. In einem Pub warteten Ben und zwei Mädchen auf ihn. Diese Nacht würde er fast sicher mit einer von ihnen schlafen. Aber er wollte Allan mehr als jedes Mädchen.

»Nein«, sagte er schließlich. »Tu ich nicht.«

»Gut«, sagte Allan wütend. »Lüg mich an. Lüg dich an. Heirate. Bekomm ein Kind. Tu so, als seist du hetero. Aber du wirst fühlen, dass du es nicht bist, und ich fühle es auch.«

»Bin ich aber«, entgegnete Rupert schwach und sah Allans Augen verächtlich aufblitzen.

»Was auch immer.« Sein Glas war leer, und er stand auf.

»Wirst du klarkommen?«, fragte Rupert, der Allan beobachtete.

»Tu nicht so gönnerhaft«, rief Allan hitzig zurück. »Nein, ich komme nicht klar. Aber ich komme darüber hinweg.«

»Es tut mir leid.«

Allan hatte nichts mehr erwidert. Rupert hatte wortlos beobachtet, wie er die Bar verließ, eine oder zwei Minuten lang empfand er nichts als rohen Schmerz. Doch nach zwei weiteren Whiskys fühlte er sich ein wenig besser. Wie ausgemacht traf er Ben in dem Pub, trank ein paar Pints und noch eine ganze Menge Whisky. Später an diesem Abend, nachdem er mit dem hübscheren der beiden Mädchen, die Ben aufgerissen hatte, geschlafen hatte, lag er wach und sagte sich immer wieder, er sei normal, er sei wieder auf Kurs, er sei glücklich. Und noch eine ganze Weile war es ihm gelungen, das zu glauben.

»In ein paar Minuten wird Tom da sein.« Francescas Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück. Rupert blickte auf. Sie stand an der Tür, in den Händen ein Tablett. Darauf die cremefarbene Teekanne, die sie für ihre Hochzeitsliste ausgewählt hatten, dazu Tassen, Untertassen und ein Teller mit Schokoladenkeksen.

»Verdammt, Francesca«, sagte Rupert matt. »Wir veranstalten doch keine Teeparty.« Sie machte ein verletztes, schockiertes Gesicht, dann fing sie sich wieder und nickte.